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Die Synagoge Mikvé Israel-Emanuel in Curaçao, 1732–2022

Marie-Louise Weissenböck

Die Mikvé Israel-Emanuel Synagoge oder Snoa, wie sie auch genannt wird, liegt in der Karibik, im alten Zentrum von Willemstad, der Hauptstadt von Curaçao. Ihre Gemeinde bezeichnet sie stolz als älteste Synagoge der westlichen Hemisphäre, die bis heute durchgehend in Gebrauch sei. 
 

Inhalt

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Die Mikvé Israel-Emanuel Synagoge in Willemstad, Curaçao Foto: Shutterstock.
 

Die Snoa (kurz für Esnoga, ein altes Ladino-Wort für Synagoge) stammt aus dem Jahr 1732. Ihr architektonisches Vorbild war die Portugiesische Synagoge in Amsterdam – sie ist allerdings viel kleiner und bietet rund sechshundert Menschen Platz.

Eine Besonderheit findet man in Curaçao: Der Boden der Synagoge ist mit Sand bedeckt. Das hat drei Gründe: einen biblischen, wonach dies die Wüste symbolisieren soll, die die Juden vierzig Jahre lang durchwandert haben. Die zweite Herleitung bezieht sich auf die Ankündigung G‘ttes an den hochbetagten Abraham, er werde einen Sohn und Nachkommen so zahlreich wie der sprichwörtliche Sand am Meer bekommen. Der dritte Grund wird so erklärt: Sefardische Juden, die nach Curaçao kamen, hatten ihren Glauben in Spanien und Portugal im Geheimen ausüben müssen. Also hatten sie auf die Dachböden der Häuser, wo sie sich zum Beten trafen, Sand gestreut – um ihre Schritte zu dämpfen und den Inquisitoren zu entgehen. Daran wollten sie sich auch auf Curaçao erinnern.

Entstehung der Gemeinde
Die sefardische Gemeinde blickt auf eine stolze, mehr als 370-jährige Geschichte zurück. Der erste Jude, der auf Curaçao ankam, war Samuel Cohen. Er diente als Dolmetscher an Bord der Flotte der Niederländischen Westindien-Kompanie, die die Insel 1634 von den Spaniern eroberte. Einige Jahre später, im Jahr 1651, brachte Joao d‘Ylan zehn bis zwölf jüdische Familien aus der portugiesischen Gemeinde von Amsterdam nach Curaçao, wo sie auf der Plantage De Hoop (Die Hoffnung) lebten und arbeiteten. Sie waren entschlossen, in der fernen Karibik an ihrer jüdischen Lebensweise festzuhalten. Gemeinsam gründeten sie die Gemeinde Mikvé Israel (Hoffnung Israels).

Eine zweite Gruppe jüdischer Siedler folgte 1659 unter der Schirmherrschaft von Isaac da Costa und brachte ein Geschenk der Amsterdamer Synagoge mit: eine Thorarolle, die noch heute in der Synagoge von Mikvé Israel-Emanuel benutzt wird. Die meisten dieser Juden stammten ursprünglich aus Spanien und Portugal. Sie waren vor der Inquisition geflohen und hatten zunächst in den Niederlanden, dann in Nordbrasilien und später auf Curaçao Zuflucht gefunden. Anfangs versuchten sie, ihren Lebensunterhalt in der Landwirtschaft zu verdienen, was sich aufgrund klimatischer und geologischer Aspekte als äusserst schwierig erwies. Sie verlegten sich immer mehr auf Handel und Schifffahrt und zogen Ende des 17. Jahrhunderts in die von Mauern umgebene Stadt Willemstad, wo sie an verschiedenen Orten ihre G‘ttesdienste abhielten. Im Laufe der Jahrhunderte florierten die Juden von Curaçao in den Bereichen Handel, Schifffahrt, Gewerbe und Bankwesen und prägten praktisch alle Facetten des Lebens auf der Insel.

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Die Mikvé Israel-Emanuel Synagoge hat eine Besonderheit: Der Boden der Synagoge ist mit Sand bedeckt Foto: Privat.
 

Tatsächlich befand sich ab 1660 auf nahezu jedem Schiff, das die Insel erreichte, mindestens eine jüdische Familie. Schon Ende des 17. Jahrhunderts lebten auf Curaçao rund 2.000 Juden – fast die Hälfte der weissen Bevölkerung. Zunächst reichten ihnen einige Wohnhäuser, um ihren Glauben ausüben zu können; irgendwann bedurfte es einer richtigen Synagoge. Das erste Synagogengebäude wurde 1674 erworben.  Die letzte und endgültige Synagoge, die Mikvé Israel-Emanuel Synagoge (1732) in Willemstad, ist die sechste Synagoge in der Geschichte der Gemeinde. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war die jüdische Gemeinde die grösste, wohlhabendste und dynamischste aller jüdischen Gemeinden in der Neuen Welt. Ihre Beiträge unterstützten junge jüdische Gemeinden in Nord- und Südamerika. 

Mitte des 19. Jahrhunderts gab es eine Abspaltung. Anhänger des Reformjudentums waren mit der orthodoxen Ausrichtung der Gemeinde unzufrieden und gründeten 1864 einige Strassen weiter eine eigene Gemeinde, die sich an der Philosophie der jüdischen Reformbewegung orientierte. Genau einhundert Jahre später schlossen sich die Gemeinden wieder zu einer Gemeinde zusammen. Es wurde entschieden, den Ritualen der Reconstructionist Federation of America zu folgen, um einige der historischen und traditionellen Bräuche beider Gemeinden zu bewahren.

Die Abspaltung brachte eine weitere Herausforderung mit sich: Der damalige Rabbiner wollte die G‘ttesdienste beleben und schrieb einen Brief nach Amsterdam mit der Bitte um Erlaubnis, eine Orgel bauen zu lassen. 1866 wurde das Instrument eingeweiht, jedoch nur selten genutzt; ab den 1950er Jahren verstaubte es vollends. Erst zum 350. Geburtstag der Gemeinde, im Jahr 2002, erklang die Orgel wieder. Heute dient sie unter anderem dazu, Geld für die Erhaltung der Synagoge einzuspielen. 

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Die Tafel an der Synagoge, die darauf hinweist, dass die Synagoge ab 1732 bis heute durchgehend in Gebrauch ist. Foto: Privat.
 

Die derzeitige Gemeinde besteht zu etwas mehr als der Hälfte aus Mitgliedern, die seit mindestens acht Generationen sefardischer Abstammung sind, während die andere Hälfte überwiegend aschkenasische Juden sind, die seit den 1950er Jahren als Mitglieder aufgenommen wurden. Die Gemeinde ist in den letzten Jahrzehnten erheblich geschrumpft, auch, weil die junge Generation ausserhalb Curaçaos studiert und arbeitet. So zählt die Synagogengemeinde inzwischen nur mehr rund zweihundert Mitglieder.

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Der Eingang der Synagoge Foto: Privat.
 

Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung 
Marie-Louise Weissenböck.