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Ich bin zwei mal geboren In Memoriam Gertrude Pressburger s.A. (1927 – 2021)

Monika Kaczek

Nach langer schwerer Krankheit starb am 31. Dezember 2021 die Wiener Holocaust-Überlebende Gertrude Pressburger im Alter von 94 Jahren. Vor dem österreichischen Präsidentschaftswahlkampf 2016 wurde sie mit einem Facebook-Video als Frau Gertrude zu einer öffentlichen Figur, die für Toleranz und gegen Hass eintrat. 
 

Inhalt

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Gertrude Pressburger mit der Journalistin Marlene Groihofer (li.) während eines Interviews mit der Austria Presse Agentur (APA) am 12. Dezember 2017 in Wien. Foto: Herbert Neubauer. Quelle: APA, mit freundlicher Genehmigung, Credit: HERBERT NEUBAUER/APA/picturedesk.com

Gertrude Pressburger wurde am 11. Juli 1927 in Wien geboren, wo sie in einer Zimmer-Küche-Wohnung im Wiener Arbeiterbezirk Meidling mit ihren beiden jüngeren Brüdern als Tochter eines Tischlers aufwuchs. Anfang der 1930er Jahre konvertierte die Familie vom Judentum zum Katholizismus. 

Nach der Annexion Österreichs durch das Deutsche Reich 1938 durfte Gertrude nicht mehr die Schule besuchen und ihr Vater verlor seine Arbeitsstelle. Obwohl der Vater nie politisch aktiv war, wurde er von der Gestapo wegen angeblicher Betätigung im Untergrund als Kommunist verhaftet und gefoltert. 

Nach seiner Haftentlassung konnte die Familie durch einen Zufall ein Visum für Jugoslawien bekommen. Im September 1938 erreichten die Flüchtlinge Zagreb, über Italien wollten sie nach Frankreich weiter. Doch der Plan misslang. 

Zurück in Jugoslawien, wurde die Familie 1944 festgenommen und nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Bei der Selektion an der Rampe sah die 16-Jährige ihre Eltern und ihre Geschwister das letzte Mal.

Kurz vor Kriegsende kam Gertrude Pressburger mit Hilfe eines Gefangenaustausches frei, der vom schwedischen Grafen Bernadotte organisiert wurde. In Schweden lernte sie Bruno Kreisky kennen, der damals Vorsitzender der Österreichischen Vereinigung in Schweden war. 
Obwohl Bruno Kreisky sie vor einer Rückkehr ins Nachkriegswien warnte, fuhr Gertrude Pressburger in ihre Heimatstadt zurück. 

In Wien stand sie mutterseelenallein da:
„Ich bin zweimal geboren, das erste Mal 1927, und dann 1945, ohne einen Groschen Geld, ohne ein Dokument.“ Später lernte sie Erich kennen und heiratete ihn 1961. Als Gertrude Pressburger 34 Jahre alt war, kam ihre Tochter Christine zur Welt. […] Über die Vergangenheit sprach sie erstmals mit Christine, als sie etwa 13 Jahre alt war – „ich wollte sie ja nicht zu sehr belasten“.1

Bekannt wurde Pressburger als Frau Gertrude in einer Videobotschaft, die wenige Tage vor dem österreichischen Präsidentschaftswahlkampf 2016 bekannt wurde:
„Die zunehmende Polarisierung Österreichs im Präsidentschaftswahlkampf brachte Pressburger dazu, sich in einem fünfminütigen Facebook-Video an junge Leute zu wenden, vor politischem Hass zu warnen und sie aufzufordern, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. „Ich habe einfach das gesagt, was ich mir gedacht habe. Das war’s. Und das hat eingeschlagen. Ich habe nie verstanden, warum“, sagte sie danach in einem APA-Interview.2

Im Januar 2018 veröffentlichte Gertrude Pressburger in Kooperation mit der Journalistin Marlene Groihofer im Zsolnay Verlag ihre Autobiografie Gelebt, erlebt, überlebt. 

Bei der Buchpräsentation zollte Bundespräsident Alexander Van der Bellen Pressburger „meine allerhöchste Wertschätzung und meinen vollen Respekt“ dafür, dass sie sich im hohen Alter entschlossen habe, ihre Erfahrungen weiterzugeben.3

Gertrude Pressburger starb am 31. Dezember 2021 in Wien.


Anmerkungen

1 https://www.spiegel.de/fotostrecke/gertrude-pressburger-ich-bin-zweimal-geboren-worden-fotostrecke-157700.html
2 https://wien.orf.at/stories/3136854/
3 https://www.derstandard.at/story/2000132259943/holocaust-ueberlebende-frau-gertrude-pressburger-gestorben