Ausgabe

In Sachen Jesu

Michael Bittner

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Inhalt

Bodenheimer, Max: In Sachen Jesu. Ein jüdisches Theaterstück über Leben und Tod des Nazareners. Herausgegeben von Nathanael Riemer.

Königshausen & Neumann: Würzburg 2024.

Broschiert, 180 Seiten, Euro 14,80.-

ISBN 978-3-8260-8797-4.

 

Max Bodenheimer war Zionist der ersten Stunde, bei uns, in der Heimat Theodor Herzls, nicht besonders bekannt, war der Kölner Rechtsanwalt doch ein Vordenker und zäher Kämpfer für den jüdischen Staat. Das vorliegende Theaterstück erschien 1933, zu spät, um vom Publikum noch rezipiert werden zu können, der Autor emigrierte in die Niederlande und von dort nach Palästina, er starb 1940 in Jerusalem.

 

Ein jüdisches Stück über Jesus war damals ein Unikat, heute gibt es auch jüdisches Interesse am historischen Christus, antiquarisch sozusagen, wie das Buch vom Rabbiner Walter Homolka von 2020[1], um nur eine Publikation zu nennen, verwunderlich in einer Zeit der fortschreitenden Bedeutungslosigkeit des Katholizismus. Zu Bodenheimers Zeit war das Christentum weltweit die beherrschende Religion, man war wieder katholisch, passend zur Gegen-Aufklärung, die seit der Romantik im Gange war (und bis heute andauert, siehe Impfgegner und Aluhut-Träger). Die Intention jüdischer Intellektueller damals war, durch historische Forschung das Etikett der „G‘ttesmörder“ loszuwerden.

 

Auf dieser Prämisse beruht auch das Stück von Max Bodenheimer. Er war über die neuen historischen Erkenntnisse seiner Zeit informiert, dennoch vermied er es, den „Messias“ als bedeutungslosen Wanderprediger darzustellen, dessen Aufstieg zum „Superstar“ Jahrhunderte nach seinem Tod durch eine balkanische Beislwirtin erzeugt wurde, deren Sohn zufällig Kaiser (Konstantin) wurde.

 

Beginnt man zu lesen, wähnt man sich zuerst in einer Version des faustischen Prologs im Himmel[2], doch dann entspinnen sich interessante Dialoge zwischen den historischen und erfundenen Charakteren. Jesus spricht als charismatischer Rabbi Zitate aus den Evangelien, dagegen kommen die Pharisäer schlecht weg, obwohl diese ja um die Erneuerung des Judentums besorgt waren, hier schneidet sich der Autor ins jüdische Fleisch und übernimmt die christliche Propaganda.

 

Seine Sprache ist für ein Stück mit biblischem Stoff sehr alltäglich, er verwendet keine antiquiertes Bibeldeutsch, wie dies Oscar Wilde bei seiner „Salome“[3] (auf Englisch, gewiss) getan hatte oder Hofmannsthal bei seinem moralisierenden „Jedermann“[4]. So entsteht eine Distanz zwischen Jesus, der teilweise Evangelien-Texte spricht, die oft hoch traben, teilweise in Reimen, sowie den übrigen Personen, die oft das Deutsch des 20. Jahrhunderts sprechen.

 

Wenngleich historisch fundiert, ist es ein Stück Fiktion, mit einem überraschenden Ende, das auch Christen gefallen haben dürfte. Bodenheimer hat den Stoff frei, mit Mut zur Lücke, bearbeitet. Vergeblich suchte ich die Legende vom „Ewigen Juden“, die im Mittelalter als Ausschmückung der Kreuztragung entstanden war, ähnlich der sagenhaften Heiligen Veronika, schade, denn diese Figur („Ahasver“) ist auch zum jüdischen Allgemeingut geworden.

 

Wie würde Bodenheimer heute schreiben? Er benützte schon damals die aberwitzige Kreuzigungsversion aus dem Koran (Sure 4, V. 157-158), vielleicht wäre es heute möglich, auf Augenhöhe im Sinne einer Gleichberechtigung der Religionen zu bleiben und nicht Jesus unbedingt als den „Guten“ und die Juden als die „Bösen“ zu zeichnen. Leider ist dieses Stück nicht radikal, nicht selbstbewusst genug, um für die heutige Zeit geeignet zu sein, es wirkt zu konziliant, zu anbiedernd an die christliche Mehrheit. Zu denken gab mir auch das letzte Wort der Jünger (Seite 150), wenn man das Entstehungsjahr 1933 bedenkt. Jedenfalls ist „In Sachen Jesu“ ein hochinteressantes Zeitdokument.

 

Noch ein Hinweis: Vor der Lektüre das hervorragende Nachwort des Herausgebers Nathanael Riemer lesen, es vermittelt fundierte Information und bringt das Werk dem Leser sehr nahe.

 

 

 

 

[1]Walter Homolka: Der Jude Jesus. Eine Heimholung. Herder Verlag Freiburg 2020