Ausgabe

Geradezu legendäre Sammelleidenschaft Der Waldviertler Heimatforscher Josef Höbarth

Thomas Soxberger

Begriffe wie „Heimat“ und „Brauchtum“ und „Volkskunst“ sind nicht denkbar ohne die zugehörigen Forscher und Forscherinnen. Sehr oft waren es Enthusiasten, die sich der Sammlung und Bewahrung der „Schätze ihrer Heimat“ verschrieben haben. Anton Distelberg hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein besonders bemerkenswertes Exemplar der Spezies „Heimatforscher“ dem Vergessen zu entreissen, den Waldviertler Sammler, Archäologen und Museumsgründer Joseph Höbarth.

Inhalt

Als Bibliothekar an der Fachbereichsbibliothek für Archäologie an der Universität Wien kennt Anton Distelberger das Fach und seine Geschichte und weiss Josef Höbarth entsprechend zu würdigen. Ergebnis ist die detailreiche Biographie „Josef Höbarth. Fährtenleser im Waldviertel. Eine Lebensgeschichte“. Auf insgesamt 518 Seiten mit 1.873 Fussnoten (dazu kommen noch ein zwanzigseitiges Literaturverzeichnis und ein „Anhang mit Quellentexten“) folgt er den Spuren, die Höbarths Leben hinterlassen hat, und fördert dabei auch einige historische Altlasten zutage.

 

Josef Höbarth wurde 1891 in Reinprechtspölla als Sohn eines Schmiedemeisters in relativ einfache Verhältnisse hineingeboren. Der wissbegierige Junge zeigte keine Ambitionen, dem Vater ins Handwerk nachzufolgen. Seinen Broterwerb fand er bei der Österreichischen Post. Der Beruf liess ihm genug Raum für seine eigentliche Leidenschaft, die Heimatforschung, die im Aufbau einer immer grösseren Sammlung resultierte. Mit grosser Zähigkeit ging er an die Schaffung eines Museums für seine Sammelstücke, was ihm 1930 mit Unterstützung der Stadtgemeinde von Horn auch gelang. Höbarth war dabei, wie Distelberger betont, eine weitaus komplexere Persönlichkeit, als das Bild des geradezu legendären „Kauzes“ und „Sonderlings“, das die Nachwelt von ihm überliefert hat, vermuten lässt. Er war katholisch, grossdeutsch und – wie Distelberger unter anderem anhand eines „close reading“ von Höbarths Korrespondenz mit seiner langjährigen Verlobten Maria Felmerer, mit der er dann Jahre verheiratet war, plausibel darstellt – mit grösster Wahrscheinlichkeit homosexuell.

 

Titel und Umfang des Werks mögen als Hinweise darauf gelesen werden, was Distelberger bewogen hat, ein wahrhaftes Mammutexemplar von biographischem Werk vorzulegen: Höbarths lebenslange Tätigkeit bestand darin, allen erdenklichen Spuren der fernen und fernsten Vergangenheit seiner Heimat – dem unteren Waldviertel an der Grenze zum Weinviertel – nachzugehen. Der Bogen spannte sich von der Geologie bis zum Bemühen, eine bäuerliche Lebenswelt zu dokumentieren, die im Zuge wirtschaftlicher und sozialer Umwälzungen gerade im Begriff war, für immer zu verschwinden. Aus der unermüdlichen „Fährtensuch“, wie Distelberger es nennt, resultierte unter anderem der Fund eines fossilen Seeigels und seine Benennung ihm zu Ehren als Scutella höbarthi. Höbarths Lebenswerk kulminierte im 1930 eröffneten heimatkundlichen Museum der Stadt Horn, dem Höbarthmuseum, das er bis zu seinem Tod 1952 leitete.

 

Distelberger unternimmt nichts weniger als den Versuch einer Rehabilitierung Höbarths, über dessen Lebenswerk die Zeit hinweggegangen ist. Ab den 1980er Jahren wurde ihm von Vertretern der Fachwissenschaft der Ruf des unzuverlässigen Fabulierers, ja sogar der eines „Raubgräbers“, der mehr zerstörte als erforschte, wenn er Fundstätten „ausräumte“, verpasst. Die Art und Weise, wie Höbarth sich mit seinen Fundstücken zu inszenieren pflegte, wurde als Zeichen des „Parvenüs“ und „Emporkömmlings“ gewertet. Wie Distelberger darstellt, stand Höbarth aber mit seinen Methoden und der Auswertung der Funde durchaus auf der Höhe seiner Zeit. In Distelbergers Erzählung der Lebensgeschichte Höbarths erscheint diese Abwertung damit weniger als Ergebnis einer tatsächlichen kritischen Auseinandersetzung des Fachs mit der eigenen Geschichte. Viel eher, so lässt sich schliessen, war es die Verstossung eines Aussenseiters der Zunft und seine Reduktion zur Fussnote. Nicht so sehr die Tatsache, dass Höbarth sich 1938 (erfolgreich, aber darin keine Ausnahme) dem Nationalsozialismus anbiederte, scheint dabei ausschlaggebend gewesen zu sein. Eher wurde er der ideale Sündenbock des belasteten Fachs, das sich mit der Aufarbeitung der Geschichte bis in die jüngste Zeit schwer tat. Zu viele „verehrte Lehrer“ hätten von ihren Schülern und Schülerinnen – hier sei nur auf Oswald Menghin, Rektor der Universität Wien, prominentes Mitglied der „Bärenhöhle“ hingewiesen, des akademischen Bundes, der sich zur Aufgabe gemacht hatte, alle als „Juden“ oder als „politische Gegner“ identifizierten Personen von akademischen Karrieren fernzuhalten.

 

Wichtigstes Vorbild Höbarths war der Pionier der Erforschung der Ur- und Frühgeschichte, der Geologe Johann Krahuletz, dessen Sammlung im Krahuletzmuseum Eggenburg erhalten ist. Distelberger identifiziert auch ein weiteres, durchaus unerwartetes Vorbild für Höbarth, den burgenländischen Weinhändler, Kunstsammler und Mäzen Sándor Wolf, der einer bedeutenden Eisenstädter jüdischen Familie entstammte und auf dessen Initiative 1926 die Gründung des Burgenländischen Landesmuseums erfolgte. An dieses Museum wurde 1938 einer der wichtigsten Förderer Höbarths, der Wiener Ur- und Frühgeschichtler Richard Pittioni, als aus Sicht des NS-Regimes „politisch belastet“ versetzt. Pittioni konnte dann als einziger nicht nationalsozialistisch „belasteter“ Ur- und Frühgeschichtler das Fach nach 1945 wieder aufbauen.

 

Die Gründung des burgenländischen Landesmuseums 1926 ist nicht nur als Vorbild des wenige Jahre später, 1930 entstandenen Höbarthmuseums von Interesse. Sie bietet auch einen Hinweis auf das Zeitfenster, das Höbarth nützen konnte. Die österreichische Erste Republik war auf der Suche nach einer Identität. Der Begriff „Heimat“ erlebte eine bemerkenswerte Karriere. Der Aufbau eines „Österreichbewusstseins“ aus verschiedenen „Heimatregionen“ schien der Ausweg zu sein. Höbarth verstand es offensichtlich gut, sich hier einzufügen, wenn er etwa sein Wissen um „echte Volkstrachten“ für die „Trachtenbewegung“ und für „Pfingstfeste“ auf der Rosenburg zur Verfügung stellte. Wie Distelberger betont, äusserte sich Höbarth nie antisemitisch, was angesichts der deutschnationalen Schlagseite der Ur- und Frühgeschichte, deren Vertreter und Vertreterinnen sich sehr oft bewusst in den Dienst der NS-Ideologie stellten, ein durchaus bemerkenswerter Befund ist. Allerdings scheint ihm die Tatsache, dass Horn bereits am 19. September 1938 von den örtlichen NS-Funktionären als „judenfrei“ erklärt wurde, keinerlei Kopfzerbrechen gemacht zu haben.

 

Der ausgeprägte Opportunismus Höbarths zeigte sich nach dem sogenannten Anschluss überaus deutlich. Der vorher vom hochrangigen Ständestaatsfunktionär Rudolf (Graf) Hoyos-Sprinzenstein (dem Besitzer der Rosenburg) geförderte Horner Museumsdirektor stellte nun rasch einen Antrag auf Aufnahme in die NSDAP. Das Höbarthmuseum hatte in kürzester Zeit einen „Hitlerbrunnen“ und eine „Hitlereiche“. Nicht ohne Geschick betrieb Höbarth die mediale Verwertung der an sich nicht besonders bemerkenswerten Tatsache, dass manche neolithische Funde, im Grund Scherben einfacher Tontöpfe, Hakenkreuzmotive aufwiesen. Alle frühmittelalterlichen slawischen Fundstätten im Waldviertel wurden kurzerhand zu Siedlungen „deutscher Bauern“ erklärt. Auch scheint es, dass Höbarth sich an bäuerlichem Mobiliar und Hausrat, die bei der raschen Aussiedlung des „Döllersheimer Ländchens“ für den Truppenübungsplatz Allentsteig zurückgelassen werden mussten, „bedient“ hat – wobei er nicht der Einzige war. Mit den Erwerbungen bäuerlicher Güter aus dem „Ahnengau des Führers“ wertete er das Museum als Hitler-Gedenkstätte auf. Auch hier war Höbarth nicht zimperlich, etwa, wenn er ein Spinnrad der Grossmutter des „Führers“ zuschreiben liess. Distelhofer dokumentiert für die Zeit der 1930er und 1940er Jahre eine (für Aussenstehende eher mühsam zu lesenden) Abfolge von kleinlichen und gehässigen Querelen und Intrigen in Fachkreisen. Hauptquellen sind im Ton immer wieder auch denunziatorische Briefwechsel im Kollegenkreis. Hier werden die erbitterten Kämpfe um stets knappe Ressourcen, um „Distinktionsgewinn“ und Karrierechancen deutlich.

 

Distelberger ist es ein offensichtliches Anliegen, eine negative Sicht auf die Leistungen Höbarths zurechtzurücken und seinem Werk die angemessene Würdigung als Beitrag zur Wissenschaft zuteilwerden zu lassen. Die offensichtliche Sympathie, die der Autor Höbarth als wissenschaftlichem Aussenseiter entgegenbringt, färbt die Darstellung erkennbar an mehr als einer Stelle. So unterlaufen Distelberger bei aller Bemühung um kritische Distanz immer wieder subjektiv-wertende Formulierungen dort, wo er offenbar auf Höbarths Seite steht, während er sich im Falle von unbestreitbaren menschlichen Schwächen an Formulierungen hält, die einer bemüht „objektiven Bewertung“ geschuldet scheinen. Zugutezuhalten ist Distelberger aber, dass er wie sein „Held“ Höbarth versucht, das breitgestreute Fundmaterial „interpretationsoffen“ für unterschiedliche Schlussfolgerungen darzubieten. Ob damit die von Distelberger angestrebte wissenschaftliche Ehrenrettung Höbarths gelingen kann, darüber wagt der Rezensent kein Urteil abzugeben. Was die charakterliche Ehrenrettung angeht, so lässt der dargebotene Befund gewisse Zweifel zurück.

 

Nachlese

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Anton Distelberger: Josef Höbarth (1891-1952) Fährtenleser im Waldviertel: eine Lebensgeschichte.

Horn: Waldviertler Heimatbund 2022. (= Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes, Band 62)

612 Seiten, Euro 34,00.-

ISBN 978-3-900708-38-2