Ausgabe

Koscher in Meran Zur Geschichte der Familie Bermann Teil II

Sabine Mayr

Eine kurze Unternehmensgeschichte der Familie Bermann in Meran und St. Moritz.

Inhalt

In der vorigen Ausgabe des DAVID hat der nahe Boston lebende Radiologe Max Bermann – ein Sprössling der Familie Bermann, die den internationalen Ruf des Kurorts Meran förderte – über die Flucht seiner Familie berichtet. Von der Mutter geschützt, überlebte Max Bermann bei Mailand, sodass er und seine Schwester nach dem Krieg mit dem Vater Joseph Bermann, mittlerweile als Arzt in New York etabliert, wieder vereint werden konnten. Dieser hatte schon in den 1930er Jahren in Meran als Leiter eines Sanatoriums einen sehr guten Ruf genossen – er war der Linie gefolgt, die sein Vater Max Bermann senior (der Grossvater des gleichnamigen Radiologen) mit der Gründung des Lungensanatoriums Waldpark in Meran um 1907 vorgegeben hatte.

Die Unternehmensgeschichte der Familie beginnt in den 1870er Jahren, als sich Josef Bermann senior, der Urgrossvater des heutigen Max Bermann, im erwachenden Städtchen an der Passer niederliess. Sein Sohn, Max Bermann senior, war 1865 noch in Kobersdorf (damals Ungarn, heute Österreich) zur Welt gekommen und wuchs in Meran auf, wo sein Vater nahe den Wasserlauben eine koschere Küche betrieb. Wenige Schritte davon entfernt befand sich das Gymnasium der Benediktiner, das Max besuchte. Er wurde zum Arzt ausgebildet und wirkte auswärts an renommierten Kliniken, ehe er nach Meran zurückkehrte, wo er „durch sein joviales Wesen, seine Hilfsbereitschaft und seine Herzensgüte sich die Sympathien der einheimischen Bevölkerung und seiner aus allen Ländern der Welt hierher zur Kur gekommenen Patienten errungen hat“, wie in einem Nachruf betont wird.1 Das von Max Bermann gegründete Sanatorium Waldpark war bis 1938 eines der bekanntesten Sanatorien Merans. 

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 Fest zur Hochzeit von Sara Gans und Josef Bermann am 13. April 1926 im Hotel Bellaria. Erste Reihe von links: Emma Bermann-Bollack, Leopold Bermann, Sara Gans, Josef Bermann, Antonia Gans-Halberstadt, Adolf Gans. Zweite Reihe: Lotte Bollack, Schwester von Emma Bermann-Bollack, Dritte: Rosa Bollack, daneben Ludmilla Honig-Reinstadler und ihr Mann Rechtsanwalt Hermann Honig, ganz rechts: Caroline Bermann-Ullmann und Max Bermann. Dritte Reihe: Julius Bermann, Eigentümer der Pension Ortler, seine Frau Terka Bermann (1895–?), Fünfter: René Bermann, Siebter: Josef Bermann, Vater von Max Bermann, Arzt im Kurhaus Waldpark, daneben dessen Bruder Friedl Bermann. Vierte Reihe, Fünfte: Clara Weil-Stransky, Schwester des langjährigen Präsidenten der Meraner Königswarter-Stiftung Friedrich Stransky, Siebter und Achte: Elena Luzzatto (1904–1943) und ihr Mann Rechtsanwalt Riccardo Luzzatto (1889–?). Alle Rechte: Jüdisches Museum Meran, mit freundlicher Genehmigung.

Herkunft

Josef Bermann senior war 1827 im mährischen Kremsier (heute Kroměříž, Tschechische Republik) zur Welt gekommen, aus seiner Ehe mit Katharina Grünfeld gingen die acht Kinder Rosa, Johanna (1852–1927), Leopold (1853–1928), Jakob (1857–1922), Rosalie (1858–1896), Samuel (1862–1882), Max (1865–1933) und Moritz (1871–1919) hervor. Alle bis auf Max und Moritz wurden im böhmischen Březová (dt. Brösau, Region Karlsbad, heute Tschechische Republik) geboren; um 1870 jedenfalls zog Josef als Schochet (Schächter) von Kobersdorf nach Bad Reichenhall, von dort nach Hohenems und schliesslich weiter nach Meran.2

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Friedl, Emma, Leopold Bermann, Lotte Bollack. Dahinter Josef und Sara Bermann. 

Meraner Unternehmensgeschichte

Josef Bermanns erstes koscheres Restaurant befand sich im Haus an der Ecke Mühlgraben/ Freiheitsstrasse (heute Banca Nazionale del Lavoro). Das Gebäude war später im Besitz der in Meran lebenden Ausstatter Ferdinand Imlauf und Hans Zellenka, letzterer ein Freund der Eltern des Austromarxisten Otto Bauer (der Jahrzehnte später übrigens ebenfalls das Meraner Benediktinergymnasium besuchte) sowie des Modewarenhändlers Alexander Österreicher, der vorher in Karlsbad lange Zeit das Grand Hotel Pupp geleitet hatte. Alle drei waren Förderer der „ Meraner Königswarter Stiftung“. Bermanns erste koschere Garküche wurde bald von Manes Beer weitergeführt, da Josef 1883 die elegantere Pension Starkenhof auf der gegenüberliegenden Strassenseite pachtete. Den Starkenhof baute er zu einem beliebten koscheren Restaurant aus. Er kaufte ihn 1885, feierte hier am Schabbat G‘ttesdienste, da Meran bis zur Jahrhundertwende über keine Synagoge verfügte, kümmerte sich um die religiöse Waschung und Einkleidung der Verstorbenen und unterstützte die „Meraner Königswarter-Stiftung“ (als welche die jüdische Gemeinde in Meran bis zur Anerkennung 1921 auftreten musste) auch anderweitig.3

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Leopold Bermann (4.v.r.) begrüsst Rabbiner Yitzchok Meir (6.v.l.), den ersten Kapischnitzer Rebben (1862–1936), einen verehrten Gelehrten, der viele Chassidim anzog und 1914 wie viele andere nach Wien flüchtete, im Meraner Bahnhof. Links vom Rabbiner steht der vom Direktor des Meraner Stadttheaters Robert Scharf-Laube engagierte Tenor Makesch Pfeffer. Alle Rechte: Jüdisches Museum Meran, mit freundlicher Genehmigung.

1885 heirateten Leopold Bermann und Emma Bollack, die sich als Köchin für ein weiteres koscheres Restaurant der Familie in St. Moritz vorgestellt hatte. Das Paar hatte drei Kinder, Rosa (Reca), Katharina und Josef junior, der 1902 in St. Moritz geboren wurde. Hier hielt sich die Familie damals in den Sommer- und Wintermonaten auf, während sie im Frühling und Herbst in Meran war. Josef senior starb 1896 und der Starkenhof ging an seine Nachkommen Leopold, Jakob und Johanna. Da Johanna jedoch mit ihrem Mann, dem Religionslehrer Sigmund (Selig) Kirsch aus Krakau eine Pension in Karlsbad führte und Jakob in Karls­bad und Bad Reichenhall ein Hotel und ein Kaffeehaus betrieb und 1906 die Villa Ortler in der Meraner Carducci-
Strasse 28 erwarb, übernahm Leopold Bermann die Leitung des Starkenhofs.4

 

Hotel Bellaria

Für den grossen Andrang wurde der Starkenhof aber allmählich zu klein, sodass Leopold 1905 die von Tobias Brenner errichtete Villa Bellaria des verstorbenen jüdischen Zuckerfabrikanten Chaim Beer Mosel aus Chmelnyzkyj (heute Ukraine) erwarb. Die Meraner Bezirkshauptmannschaft und die Kurvorstehung verweigerten ihm die Gastgewerbekonzession für das geplante koschere Hotel Bellaria in der Otto-Huber-Strasse 13 unter dem Vorwand, dass dieses ein sozial schwächeres, osteuropäisches Publikum anziehen würde, das „dem Kurorte durchaus nicht zur Zierde gereiche, wohl aber das Kurwesen nachteilig beeinflusse“.5 Das Meraner Rathaus befolge das ungeschriebene Gesetz, nicht mehr als zwei koschere Restaurants in der Stadt zu genehmigen. Erst als Leopold Bermann im dritten Anlauf im Dezember 1909 darauf verwies, dass wohlhabende jüdische Kurgäste angesichts einer unzureichenden rituellen Verpflegung nicht mehr nach Meran kommen würden, und bekannte jüdische Kurärzte Bermanns Anliegen unterstützten, erhielt er die Konzession. Das Hotel Bellaria wurde nach der Zusammenlegung mit der Villa Gothensitz 1912 mit seinen nunmehr neunzig Betten eine der nobelsten Adressen Merans. Die Böden waren mit Perserteppichen ausgelegt, und das Silbergeschirr und -besteck brachte das Interieur zum Erstrahlen. Aus aller Welt kamen illustre Gäste ins Bellaria, in dem es eine Mikwe und einen Betsaal mit dreihundert Sitzplätzen gab.6 1928 ging das Bellaria an Leopolds Sohn Josef junior über, der mit Sara Gans verheiratet war, die ihm sechs Kinder gebar. Wie schon sein Grossvater und Vater war auch der junge Hotelier Josef Bermann in den 1930er Jahren eine wichtige Säule der jüdischen Gemeinde in Meran. Als ab 1933 Verfolgte aus NS-Deutschland nach Meran flüchteten, fanden sie bei ihm als Präsidenten unerschöpfliche Unterstützung.

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Am 4.11.1931 wurden auf dem jüdischen Friedhof in Meran Gefallene des Ersten Weltkriegs zusammengeführt, die in der Region Südtirol- Trentino an verschiedenen Orten bestattet worden waren, in Anwesenheit des damaligen Präsidenten der jüdischen Gemeinde Illes Eisenstädter (l.) und des späteren Präsidenten Josef Bermann (3. v. r.).  Bildrechte: Palais Mamming Museum, mit freundlicher Genehmigung.

Flucht

Die Meraner Unternehmensgeschichte der Familie Bermann endet abrupt mit der von Nazis und Faschisten erzwungenen Flucht Josef Bermanns und seiner Familie nach St. Moritz, wo er das Hotel Edelweiss weiterführte. Das Hotel Bellaria, das Bermannsche Sanatorium Waldpark, Julius Bermanns Pension Ortler, die Kurpension des jüdischen Arztes Ludwig Balog in einer der schönsten Villen Merans, Jenny Vogels koschere Pension, die koschere Lebensmittelhandlung der Brüder Götz und Emil Löwys Gemischtwarenhandlung wurden von den Behörden aufgelöst. Letztere vier – Ludwig Balog, Jenny Vogel, Moritz Götz und Emil Löwy – wurden im September 1943 aus Meran deportiert und ermordet. Julius Bermann, der von seinem Vater Jakob die Pension Ortler übernommen hatte, und seine zwei Söhne entkamen den teils einheimischen Verfolgern nur knapp. Seine Frau Terka fiel ihnen zum Opfer.

Das Sanatorium Waldpark, die Nebengebäude und umfangreichen Grundparzellen wurden zur Beute des später tabuisierten Häuserraubs in Meran, dessen Profiteure sich noch immer gern als Wohltäter präsentieren, die den jüdischen Familien geholfen hätten, aus Europa zu fliehen. Als der Rechtsanwalt Kurt Tauber als Mitglied des Meraner Befreiungskomitees Comitato Liberazione Nazionale und Walter Götz in der Funktion als kommissarischer Leiter der jüdischen Gemeinde nach Kriegsende den Besitz jüdischer Familien zu sichern versuchten, fanden sie in einem Meraner Altwarengeschäft zahlreiche, aus dem Sanatorium Waldpark geraubte medizinische Geräte. Über die Dringlichkeit der Flucht aus Meran im September 1943 schreibt der oben genannte, 1931 in Meran geborene Architekt Leopold Berman in seinem Tagebuch, das er im Alter von fünfzehn Jahren nach seiner Befreiung in Rom verfasst hatte. Es wurde 2022 von Federico Steinhaus, dem langjährigen ehemaligen Präsidenten der jüdischen Gemeinde in Meran, in der Edition Raetia herausgegeben und stellt ein sehr wertvolles, derzeit leider nur in Italienisch und Englisch verfügbares Zeitdokument dar.

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 Die Pension Ortler von Terka und Julius Bermann. Alle Rechte: Jüdisches Museum Meran, mit freundlicher Genehmigung.

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 Seitenansicht des einstigen Hotels Bellaria in Meran. Foto: Jüdisches Museum Meran, mit freundlicher Genehmigung.

Anmerkungen

1 Meraner Zeitung, 31.3.1933.

2 So erinnert sich Simi Berman, die Witwe des kürzlich verstorbenen Architekten Leopold Berman (eines Cousins Max Bermanns) im Vorwort zum Tagebuch ihres Mannes: Simi Berman, Preface, in: Leopold Berman, The Story of a Jewish Boy, New York 2022; vgl. Federico Steinhaus, Prefazione, in: Leopold Bermann, Storia di un ragazzo ebreo. Diario 1943-1946, Bozen 2022, S. 5.

3 Aron Tänzer, Die Geschichte der Königswarter-Stiftung in Meran 1872–1907, Meran 1907, S. 14; Joachim Innerhofer/Sabine Mayr, Mörderische Heimat. Verdrängte Lebensgeschichten jüdischer Familien in Bozen und Meran, Bozen 2015, S. 141 ff.; Sabine Gamper, Die Bermann-Dynastie: Eine Familie schreibt Meraner Tourismusgeschichte, in: Thomas Albrich (Hg.), Von Salomon Sulzer bis „Bauer & Schwarz“, Innsbruck, 2009, S. 285 ff.

4 Der Starkenhof wurde ab den 1920er Jahren verpachtet und blieb bis 1953 im Besitz der Familie Bermann. Innerhofer/Mayr 2015, S. 142.

5 Stadtarchiv Meran, Protokoll der Gemeindeausschuss-Sitzung vom 7.6.1907, Sitzungsbeschluss Nr. 66.

6 Sarah Bermann, in: Im Zeichen Davids. Die jüdische Kultusgemeinde von Meran in Geschichte und Gegenwart, eine filmische Dokumentation von Elisabeth Gasser, Bozen 1987; Sarah Bermann im Interview mit Federico Steinhaus, in: Federico Steinhaus, Ebrei/Juden – Gli ebrei dell’Alto Adige negli anni trenta e quaranta, Florenz 1994, S. 141 ff.

 

Teil I dieses Beitrags ist in DAVID, Heft 142, Rosch Haschana 5785/September 2024 erschienen; link: https://davidkultur.at/artikel/das-beste-was-ein-juedischer-arzt-geben-konnte-max-bermann-erinnert-sich-an-meran.

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Leopold Bermann, Storia di un ragazzo ebreo. Diario 1943–1946. 

Bozen: Raetia 2022. 

ISBN-10: 8872838533

ISBN-13: 978-8872838532

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Leopold Berman, The Story of a Jewish Boy. New York: Bordighera Press 2022.

ISBN-10: 1599541920

ISBN-13: 978-1599541921

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Joachim Innerhofer/Sabine Mayr, Mörderische Heimat. Bozen: Raetia 2015.

ISBN-10: 8872835038

ISBN-13: 978-8872835036