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GASTBEITRAG Der internationale Antisemitismus Rückblick und Ausblick

Robert Schild

Dieses Referat wurde von Dr. Robert Schild (Tel Aviv) bei einer Podiumsdiskussion zum Thema zeitgenössischer Antisemitismus am 3. November 2024 in der B’nei B’rith Loge Moise Niego vorgetragen (mit freundlicher Genehmigung des Vortragenden).

Inhalt

Historische Motivationen oder „Rechtfertigungen“

Wenn wir zunächst von einer geschichtlich/chronologischen Aufreihung antisemitischer Motivationen ausgehen, sind meiner Ansicht nach die folgenden vier „Rechtfertigungsgründe“ zu nennen, die die Massen zur totalen Judenfeindlichkeit führ(t)en:

 

  1. Der primär religiös motivierte Antisemitismus hat seinen Ursprung im Christentum und v.a. in der Kreuzigung Jesus‘, der sog. Erbsünde. Solch eine „Rechtfertigung“ wurde jedoch im letzten Jahrhundert von Historikern als nichtig erklärt und schliesslich vom Vatikan selbst offiziell zurückgezogen. Dieser weit verbreitete Volksglaube führte jedoch zunächst im Mittelalter und dann vor allem im zaristischen Russland und Polen zu judenfeindlichen Pogromen, vor allem an den Freitagen vor Ostern, d.h. der Kreuzigung als solche.
  2. Als zweite antisemitische Ausrichtung sind rassistische/faschistische Bewegungsgründe festzustellen, mit ihrem Höhepunkt in der Zeit des deutschen Nationalsozialismus. Dabei handelt es sich um eine unrealistisch-perverse Ideologie, die zu einem Genozid führte, der in Bezug auf Quantität und Qualität in der Weltgeschichte als einzigartig zu bezeichnen ist. Mit „Quantität“ ist die Anzahl von sechs Millionen Menschen zu verstehen – und unter „Qualität“ der Drang, so viele Menschen wie möglich / auf die wirtschaftlichste Art und Weise / in kürzester Zeit / sukzessive umzubringen! Leider versuchen auch heute noch einige neonazistische Gruppen ähnliche Ideologien in mehreren Ländern Europas sowie einigen Staaten der USA zu streuen – ohne aus der näheren Geschichte Lehren gezogen zu haben!
  3. Eine weitere Gruppe von Motiven kann mit „individuellen“ Gründen bezeichnet werden. Diese sind in erster Linie durch wirtschaftlichen und kleinlichen Neid hervorgerufen – etwa ausgedrückt wie „Der Jude nebenan ist erfolgreich und wohlhabend – warum bin ich es nicht?!“ oder „Moshes Laden ist von Kunden überlaufen, aber meiner nicht – etwa reif für ein Streichholz?“
  4. Als vierter Bewegungsgrund für einen nunmehr internationalen Antisemitismus ist seit den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts der Antizionismus zu nennen. Wer immer den noch knapp 75 Jahre jungen Staat Israel nicht nur ablehnt, sondern auch seine Existenz infrage stellt und sogar abzuschaffen versucht, hat somit eine zeitgenössische Judenfeindschaft geschaffen, indem er die Begriffe Israeli und Jude gleichsetzt... Dieser politische Impuls hat somit eine soziale Dimension angenommen, die zu lokalen Vernichtungskriegen führen kann, bzw. zu einem globalen Terrorismus, der den Weltfrieden bedroht!

 

Diese vier Gründe habe ich in meinem 2014 in Istanbul erschienenen Buch über Jüdischen Humor als „antisemitische historische Impulse“ mit einschlägigen Beispielen und Anekdoten zu umreissen versucht.

 

 

Zeitgenössische Entwicklungen

  1. Im Laufe der Jahre hat sich jedoch ein neuer Bewegungsgrund für den Antisemitismus im zeitgenössischen Umfeld herangebildet, den ich hier als „Grund zum Vortäuschen“ bezeichnen möchte...

 

Hierzu arbeiten meiner Ansicht nach sechs Akteure Hand in Hand. Es sind diese:

 

A) populistische Führer, die den Antisemitismus als innenpolitisches Instrument einsetzen, um potentielle Wähler zu motivieren. In diesem Zusammenhang haben sich neue Ideologien entwickelt, die die Juden als virtuellen Feinde betrachten. Hat doch jede kleinere oder grössere Diktatur einen spezifischen Sündenbock zu erfinden, um schlichtweg ihre Präsenz zu festigen und ihren Handlungsspielraum zu erweitern:

An der Spitze dieser Ideologien steht das Mullah-Regime im Iran, wo man noch im 20. Jahrhundert auf eine der grössten jüdischen Bevölkerungen im islamischen Raum zurücksehen konnte… Mit dem Sturz des Schahs im Jahr 1978 wollten die Ayatollahs nach und nach als schärfste Gegnern Israels angesehen werden, um sich in der islamischen Welt zu etablieren und Saudi-Arabien bzw. Ägypten einen ersten Rang abzustreiten;

B) gemeinnützige Organisationen und ihre Führungsspitzen, die sich angeblich für die „Menschlichkeit“ und eine „freie Meinungsäusserung“ einsetzen:

Das typischste und erstaunlichste Beispiel hierzu ist Amnesty International, die seit 2022 Israel als einen „Apartheidstaat“ bezeichnet. Jedoch auch die Vereinten Nationen haben schon seit Jahrzehnten Israels „Expansionspolitik“ aufs Korn genommen – und ihre Tochterorganisation UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East), deren mehrere Mitarbeiter erwiesenermassen am Hamas Massaker vom 7. Oktober-2023 mit beteiligt waren;

C) diverse Medien, die die gleichen Ziele verfolgen:

Unter ihnen können wir beispielsweise die BBC nennen, deren voreingenommene Reporter und Kommentatoren die in den USA, der EU und Kanada als Terrororganisationen bezeichnete Hamas und Hisbollah mit der mildernden Bezeichnung „militante Gruppen“ ausweisen! Aber auch unzählige websites im internationalen Äther befinden sich auf der gleichen verharmlosenden Wellenlänge!

D) Lobbyisten und „Anstifter“, d.h. weniger überzeugte als professionell agierende Antisemiten, die mit finanzieller Unterstützung islamistischer Organisationen, unter deren Anleitung handeln. Zu ihnen gehören die Vereine der Muslimbruderschaft sowie einige schamlos agierende Dynastien in den Golfstaaten und v.a. die iranischen Mollahs.

E) von politischen Stiftungen und Vereinen finanzierte Bildungseinrichtungen:

In diesem Zusammenhang kann insbesondere auf einige bedeutend/elitäre US-Universitäten (Harvard, MIT, Columbia et al) verweisen werden, bei denen offensichtlich finanzielle Unterstützung aus islamistischen Quellen bestehen. Auch mehrere europäische Unis betreiben eine ähnliche Politik, deren Auswirkungen durchweg an den akademisch geschürten Antisemitismus innerhalb deutscher Universitäten nach 1933 erinnern.

F) und schliesslich sog. „self hating Jews“, d.h.  jüdische Journalisten, Autoren, Akademiker und Studenten, die besonders von dem Drang getrieben werden „anders zu sein“!

Der Begriff „Selbsthassende Juden“ wurde von Theodor Lessing geprägt, der in Deutschland noch vor der Nazizeit ein populärer Denker war, und dessen 1930 veröffentlichter Band „Der jüdische Selbsthass“ heute wieder lieferbar ist. Als aktuelle Beispiele für diese Gruppe wären u.a. die US-Akademiker Noam Chomsky und Norman Finkelstein anzuführen.

 

Mit diesen sechs Akteuren schliesst sich der Kreis zur Durchleuchtung des postmodernen Antisemitismus, wobei diese Abhandlung durchaus nicht als erschöpfend anzusehen ist – denn, wie schon Bertolt Brecht vor ca. 100 Jahren seinem Dreigroschn-Moritatensänger in den Mund setzte: „Und man siehet die im Lichte / Die im Dunkeln sieht man nicht.“