Lore Segal geborene Groszmann (9. März 1928 – 7. Oktober 2024) verfasste als Zehnjährige einen der wenigen, noch existierenden Berichte von Kindern über den Beginn der NS-Herrschaft in Wien. Später wurde sie eine bekannte Schriftstellerin.
Es gibt ganz wenige bekannte schriftliche Zeugnisse von erst zehnjährigen Kindern über die ersten Monate der Naziherrschaft in Wien. Lore Groszmann, im Dezember 1938 mit dem ersten Kindertransport nach England gerettet, verfasste einen 36-seitigen Text dazu. Er beschreibt den Hinauswurf aus Schule und Wohnung in der Josefstädterstrasse, den Hinauswurf des Vaters aus dem Bankhaus Kux, Bloch & Co, die Zwangsübersiedlung der Familie in das Haus der Grosseltern in Fischamend, das kurze Zeit später auch geplündert und geraubt wurde. Der Bericht kam Jahrzehnte später als Roman an die Öffentlichkeit: Other People´s Houses war der literarische Durchbruch von Lore Segal, The New Yorker brachte ab 1961 das Buch in Serienform heraus.
Auf Drängen ihres Ehemanns David Segal besuchte Lore Segal 1969 ihre Geburtsstadt, durch die sie sich damals „durchgeweint“ hat, die Worte ihres Vaters 1938 beim Abschied erinnernd:
„Dann kam der Augenblick, an dem mein Vater mich zwischen seine Knie nahm und sagte: Wenn du nun nach England kommst, musst du mit allen Engländern, die du triffst, sprechen und sie bitten, deine Mutter und mich und deine Grosseltern heraus zu bekommen. Es dauerte nicht lange und ich hatte eine ganze Liste von Leuten, denen ich, eine Zehnjährige, versprach, sie vor Hitler zu retten.“
Die Eltern kamen heraus, der ehemalige Bankfachmann Igo arbeite als Butler, die Mutter Franziska als Köchin in England. Die Grosseltern Josef und Rosa Stern aus Fischamend schafften es in die Dominikanische Republik.
Lore folgt ihnen 1949, um sie zu pflegen, nachdem sie ein Studium der englischen Literatur in London abgeschlossen hatte.
1951 zog Lore Segal mit Mutter und Grossmutter nach New York, wo sie den Rest ihres Lebens als Schriftstellerin und bis zum Jahre 2004 als Professorin für englische Literatur an namhaften amerikanischen Universitäten wirkte.
Noch einmal gab sie im Jahre 1998 in einem langen Interview Auskunft über ihr frühes Leben und ihre schon erwähnte erste Reise nach Österreich im Jahre 1969. Ergreifend schildert sie ihr Herumirren in Fischamend auf der Suche nach dem Haus der Grosseltern, wo sie ihre Kindheitssommer verbracht hatte. Leute vom Ort berichten ihr, dass das Haus nach dem Krieg einfach abgerissen worden ist. Sie kann es nicht glauben. Sie umkreist die Gegend im Stadtzentrum weiter und reist ab mit dem Gefühl, das Haus nicht gefunden zu haben. Sie kann nicht glauben, dass es endgültig vernichtet ist. Nichts, bis zum heutigen Tage, erinnert an das Warenhaus von Josef und Rosa Stern.
Ihre über 90-jährige Mutter Franziska (1904 Österreich – 2005 Manhattan) wirkte genauso wie Lore an dem Dokumentarfilm In the Arms of Strangers. Stories of the Kindertransport mit.
Anlässlich der gerade laufenden Ausstellung im Bezirksmuseum Josefstadt schickte Lore noch Videogrüsse aus New York. Am 7. Oktober 2024 starb sie in ihrer Wohnung an der Upper West Side.
Informationen zur Ausstellung
Bezirksmuseum Josefstadt, 1080 Wien, Schmidgasse 18, noch bis zum 26.01.2025.
Öffnungszeiten: Mittwoch 18 bis 20 Uhr, Sonntag 10 bis 12 Uhr, und nach Vereinbarung.
Lore Segal im Alter von 10 Jahren. Buchcover des veröffentlichten Berichts, Other People’s Houses.
Lore Segal im September 1929 im Hamerlingpark, Wien-Josefstadt. Foto: Alle Rechte Lore Segal. Bezirksmuseum Josefstadt, mit freundlicher Genehmigung.
Lore Segal in New York, 2023. Foto: Helmut Pokornig. Bezirksmuseum Josefstadt, mit freundlicher Genehmigung.
Begleitbroschüre zur Ausstellung im Bezirksmuseum Josefstadt, 28.2.2024–26.1.2025.