Auf Einladung des Bürgermeisters der Stadt Wels, Herrn Dr. Andreas Rabl, veranstaltete die Stadt am Donnerstag, 7. November 2024 eine Gedenkveranstaltung im Pollheimerpark.
Dort befindet sich das Mahnmal für die Welser Juden.
Die Veranstaltung begann um 18:30 Uhr und wurde durch Herrn Vizebürgermeister Gerhard Kroiß moderiert. Die musikalische Begleitung übernahm der „Hans Sachs-Chor“ aus Wels.
Nach der Begrüssung durch den Bürgermeister folgte die Gastrede.
Eingebettet in den Ablauf der Veranstaltung war auch eine Schulklasse der „MS8 - Mittelschule Wels-Lichtenegg“. Deren ergreifenden Worte und musikalische Darbietung waren berührend und betonten die Bedeutung von Einbindung der Jugend. Denn die Jugend ist die Zukunft unserer Gesellschaft.
In seiner Abschlussrede wies der Bürgermeister auf die Notwendigkeit des Erinnerns an diesen schmerzhaften und dunklen Teil der Geschichte hin. Auch Taten von Widerstand und des Versuchs zur Rettung von verfolgten Mitbürgern wurden von ihm erwähnt.
Zum Abschluss erfolgte eine Kranzniederlegung vor dem Mahnmal.
Journalisten des ORF-Landesstudios Oberösterreich waren präsent, ebenso lokale Medienvertreter.
Gedenken an die Reichspogromnacht
Gastrede am 7. November 2024 in WELS
Peter Steiner
Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
Geschätzte Festgäste,
Werte Damen und Herren!
Zum heutigen Gedenktag möchte ich die Erinnerung an eine längst vergessene, aber durchaus bedeutungsvolle jüdische Organisation in Österreich der Zwischenkriegszeit und ihrer beiden herausragenden jüdischen Präsidenten lenken:
Der „Bund Jüdischer Frontsoldaten“ – der „BJF“
Nach dem Ersten Weltkrieg war ehemaligen jüdischen Soldaten der k.u.k. Armee manchmal die Mitgliedschaft in Krieger- und Veteranenvereinen verwehrt. Jüdische Veranstaltungen, auch der Besuch von Synagogen, wurde oft gewaltsam von antisemitischen Demonstranten gestört oder verhindert. Die Bedrohung jüdischen Lebens war klar erkennbar. Der Wahnsinn des Antisemitismus, die Verfolgung, die Ausgrenzung und die Verachtung jüdischer Bürger in Österreich nach dem Ersten Weltkrieg führten schliesslich 1932 zur Gründung des „BJF“.
Der „BJF“ war eine Kombination von Veteranenverein und Wehrverband.
Ausschliesslich jüdische Soldaten der k.u.k. Armee, die am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatten, wurden aufgenommen. Die männlichen Vereinsmitglieder waren einheitlich uniformiert und trugen dazu ihre im Ersten Weltkrieg erworbenen Auszeichnungen. Das Ziel war die Pflege der Kameradschaft, das kollektive Erinnern an den gemeinsamen Kriegsdienst sowie die Pflege und der Schutz von jüdischer Identität. Dazu gehörte auch das Auftreten als Ordner- und Schutztruppe bei jüdischen Veranstaltungen. Ein gesicherter Besuch von Synagogen und jüdischen Feiern war dadurch sichergestellt.
Mit dem gelebten Verweis auf den Kriegsdienst jüdischer Soldaten im Ersten Weltkrieg wurde offensiv gegen die ständigen Verleumdungen und Beschimpfungen protestiert. Der „BJF“ führte ein sehr engagiertes Vereinsleben und war mit zahlreichen Bezirksgruppen in ganz Österreich vertreten. Zum aktiven Vereinsleben gehörten militärische Gedenkfeiern mit Totengedenken und der Enthüllung von Gedenktafeln ebenso wie auch gesellschaftliche Veranstaltungen. Ergänzend gab es auch eine Frauen- und eine eigene Jugendgruppe. Diese beiden boten genug Raum, um ein geschütztes jüdisches Leben zu entfalten. Insgesamt war der „BJF“ eine Vereinigung von österreichischen jüdischen Kriegsveteranen aller Ränge, die sich ausdrücklich auch zum aktiven Schutz jüdischer Kultur und Identität einsetzte. Der „BJF“ war klar zionistisch orientiert, Mitglied der 1933 gegründeten „Vaterländischen Front“ und auch der zur bewaffneten Verteidigung Österreichs bestehenden „Frontmiliz“. Mit dem deutschen Einmarsch 1938 wurde der „BJF“ aufgelöst und die Verfolgung seiner Mitglieder setzte gnadenlos ein.
Der gesamte Aktenbestand und auch die vollständige Mitgliederkartei des „BJF“ wurden 1938 von der GESTAPO beschlagnahmt und nach Berlin verbracht. Dort wurden 1945 sämtliche Unterlagen von der Roten Armee erbeutet und in die UdSSR verbracht. Der Bestand existiert noch heute in einem Archiv in Moskau, ist aber leider nicht zugänglich. Es wäre wünschenswert, könnten diese interessanten Archivalien wieder nach Österreich zurückkommen. Eine Lücke in der österreichischen Geschichtsforschung könnte damit geschlossen werden.
Generalmajor iR Emil Sommer
(19. November 1869 – 10. April 1947)
Emil Sommer absolvierte die Infanteriekadettenschule in Budapest, war danach Berufsoffizier der k.u.k. Armee und wurde nach dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie in die deutsch-österreichische Volkswehr und schliesslich in das österreichische Bundesheer übernommen. Mit diesem war er 1921 zur Sicherung der Staatsgrenze gegen Ungarn als Bataillonskommandant eingesetzt. Im Zuge der damit verbundenen „Landnahme des Burgenlandes“ kam es zum Gefecht bei Kirchschlag, an der heutigen niederösterreichisch-burgenländischen Landesgrenze. Dabei konnte er erfolgreich den Angriff ungarischer Freischärler auf österreichisches Staatsgebiet abwehren. Dabei gilt zu beachten, dass es sich dabei um den einzigen Einsatz des Bundesheeres der Ersten Republik zur Sicherung der Staatsgrenze handelte. Bis heute ist es auch der einzige Einsatz, bei dem es zu Kampfhandlungen und den damit verbundenen Verlust von zehn toten Soldaten des Bundesheeres kam. Schliesslich kam es zur Übernahme der 1920 im Friedensvertrag von St. Germain an Österreich zugesprochenen deutschsprachigen Gebieten des westlichen Ungarn – das heutige Burgenland. Sommer wurde für diesen Einsatz vom Bundespräsidenten der damaligen Republik Österreich mit der Beförderung zum Generalmajor geehrt.
Sommer war 1932 Gründungspräsident des „BJF“, verliess diesen aber aufgrund interner Unstimmigkeiten schon 1934, um den „Verein legitimistisch jüdischer Frontkämpfer“ zu gründen. Im Gegensatz zum „BJF“ hatte dieser neue Verein aber nur wenige Mitglieder und praktisch keine Bedeutung. Von den Nazis 1938 kurz verhaftet, wurde Sommer 1942 in das KZ Theresienstadt deportiert. Er überlebte und kehrte 1945 nach Wien zurück. 1947 verstarb er während eines Aufenthalts in den U.S.A.
Im österreichischen Bundesheer der Zweiten Republik wurde ein Jahrgang der Theresianischen Militärakademie (TherMilAk) in Wiener Neustadt nach Sommer benannt. Dieser Jahrgang „Generalmajor Emil Sommer“ wurde nach Abschluss der dreijährigen Ausbildung zum Berufsoffizier am 28. September 2024 im Beisein des Herrn Bundespräsidenten feierlich in die Truppe übernommen. Es ist dies der erste Jahrgang der TherMilAk, der den Namen eines Offiziers des Bundesheeres trägt. Es soll damit an seine Führung beim Gefecht von Kirchschlag im Zuge der Landnahme des Burgenlandes erinnert werden.
Hauptmann aD Sigmund Edler von Friedmann /
Brigadegeneral Eitan Avissar
(19. November 1892 – 3. Jänner 1964)
Sigmund Friedmann war ebenfalls Berufsoffizier, besuchte von 1910 bis 1913 die Technische Militärakademie in Mödling, von wo er als Leutnant zum k.u.k. Festungsartillerie-Regiment Nr. 1 ausgemustert wurde.
[Anmerkung, nicht in der Rede erwähnt:
An der Akademie wie auch beim Regiment war der spätere General der Artillerie Ing. Dr. Emil Liebitzky (1892-1961) sein Kamerad. Liebitzky wurde 1938 aus politischen Gründen von den Nazis entlassen, hat das Bundesheer der österreichischen Zweiten Republik entscheidend mitaufgebaut und war 1956 dessen erster General. Beide standen bis zum Lebensende in brieflichem Kontakt.]
Bei Kriegsbeginn war Friedmann als Batteriekommandant an der Ostfront gegen Russland eingesetzt, später kam er an die Südfront gegen Italien. Aufgrund der Verleihung des erblichen österreichischen Adelsstandes an seinen Vater Moritz Friedmann – ebenfalls ein Berufsoffizier – im Jahre 1916, führte er ab diesem Jahr das Prädikat „Edler von“ vor seinem Familiennamen.
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde Sigmund Friedmann wie fast alle anderen jungen Offiziere aus dem Heeresverband entlassen. Beruflich war Sigmund Friedmann nun in der Privatwirtschaft als selbstständiger Wirtschaftsberater tätig und studierte einige Semester Welthandel. Erst nach seiner Entlassung aus dem österreichischen Heeresdienst wurde ihm 1922 durch den Bundespräsidenten der Republik Österreich der militärische Titel eines „Hauptmanns ausser Dienst“ ( Hptm aD) verliehen. Als im Jahre 1933 in Wien der „BJF“ gegründet wurde, war Friedmann bereits Gründungsmitglied und ab 1934 dessen Präsident – der Nachfolger von Generalmajor Sommer. Als Präsident führte er den BJF bis zur erzwungenen Auflösung 1938.
Von 1935 bis 1940 war Sigmund Friedmann auch Präsident des Weltbundes jüdischer Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs. Dieser Weltbund jüdischer Frontsoldaten ist aus zwei Gründen beachtenswert. Zum einen waren die Mitglieder nur jüdische Veteranen des Ersten Weltkriegs. Zum anderen war es eine Veteranenvereinigung, die sich länderübergreifend aus ehemaligen Kriegsgegnern zusammensetzte. Üblicherweise waren Veteranenvereine immer nur nationenmässig organisiert. Hier aber schlossen sich Vereine verschiedener Nationen und auch ehemaliger Kriegsgegner zusammen. Der Weltbund veranstaltete im Sommer 1936 seinen „II. Weltkongress jüdischer Frontkämpfer“ mit einer Gedenkfeier am Wiener Zentralfriedhof. Dabei fanden sich Frontsoldaten jüdischen Glaubens aber unterschiedlicher Nationen zum gemeinsamen Totengedenken zusammen ein.
Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wurde Sigmund Friedmann von den Nazis verhaftet. Als Präsident eines österreichischen Wehrverbandes, der gegen die Nazis auftrat, war er sofort im Visier der neuen Machthaber. Dass dieser ganze Verband auch noch aus Juden bestand, war ein doppelter Grund für die Nazis. Noch 1938 wurde er aber aus der Haft entlassen und es gelang ihm gemeinsam mit seiner Familie, mit dem beweglichen Hausrat (Dokumente, Fotos, Bücher, Uniformen, etc.) nach Palästina auszuwandern.
Sigmund Friedmann wurde in Palästina erwartet, er wurde Mitglied der „Hagana“.
Dies war eine zionistische paramilitärische Untergrundorganisation in Palästina während des britischen Mandats (1920–1948). Unmittelbar nach der Gründung des Staates Israel wurde die Hagana in die israelischen Verteidigungsstreitkräfte übergeführt. Friedmann nahm in Palästina den Namen Eitan Avissar an und erhielt in der Hagana eine führende Funktion: Leiter der Abteilung für Planung und Präsident des Hagana-Gerichtes, sowie Stellvertretender Leiter des Hauptquartiers und stellvertretender Generalstabschef der Hagana. Als ehemaliger österreichischer Berufsoffizier und Präsident des Weltbundes jüdischer Frontsoldaten stellte er einen wertvollen personellen Zugang dar. Nach der Unabhängigkeitserklärung Israels war Eitan Avissar Angehöriger der neugeschaffenen israelischen Armee. Er war einer der ersten ernannten Generäle der „Israel Defense Forces“ – der „IDF“, hebräisch „Zahal“. Brigadegeneral (hebräisch „Aluf“) Eitan Avissar baute den israelischen Militärgerichtshof auf und war dessen erster Präsident. Bis zu seinem Tode hielt er noch Kontakt zu seinen früheren Kameraden der k.u.k. Armee in Österreich.
Eine abschliessende Zusammenfassung:
Jüdische Soldaten waren in der k.u.k. Armee vollberechtigte und besonders tüchtige Soldaten. Der entsetzliche Antisemitismus mit seiner menschenverachtenden Fratze setzte erst nach 1918 ein. Aufgrund judenfeindlicher Aktionen hat sich der „BJF“ gegründet. Sein erster Präsident Generalmajor iR Sommer war ein hochdekorierter Offizier der k.u.k. Armee, der sich am Beginn der Ersten Republik im Bundesheer militärisch besonders bewährte. Er wurde auch im österreichischen Bundesheer besonders geehrt. Sein Nachfolger als Präsident des „BJF“ Hauptmann aD Friedmann – Brigadegeneral Avissar – gilt als einer der Gründerväter der heutigen „IDF“. Beide können als herausragende Beispiele österreichischer jüdischer Offiziere gesehen werden.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Nachlese
Drei Jahre Bund jüdischer Frontsoldaten Österreichs. Wien, o.J. [1935].
Martin Senekowitsch. Gleichberechtigte in einer grossen Armee: Zur Geschichte des Bundes Jüdischer Frontsoldaten Österreichs 1931 – 38. Wien, Militärkommando Wien, 1994.
Martin Senekowitsch. Ein ungewöhnliches Kriegerdenkmal: Das jüdische Heldendenkmal am Wiener Zentralfriedhof. Wien, Militärkommando Wien, 1994.
Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg. Marcus Patka (Hg.), Jüdisches Museum Wien. Wien, 2014.
Religionen im Krieg 1914-1918. Karl-Reinhart Trauner (Hg.), Heeresgeschichtliches Museum. Wien [2020].
Christian Frech, Markus Pichler, Peter Steiner, Iakovos Vlachos. Österreichs Generäle 1919-1955. Die Generäle der 1. Republik und des Bundesstaates bis zur 2. Republik 1955. Band 1 bis 4. Wien, 2021.
Der Kampf um das Burgenland 1921. Der Einsatz von Gendarmerie und Bundesheer. Truppendienst-Handbuch. Wien, 2023.
Jörg Aschenbrenner, Martin Senekowitsch, Peter Steiner.
Burgenland 1921. Die österreichischen Todesopfer der Landnahme. Bundesministerium für Landesverteidigung (Hg.). Wien, 2024.
Emil Sommer in der Uniform des österreichischen Bundesheeres als Generalmajor, um 1935. Foto: Fayer Wien, mit freundlicher Genehmigung P. Steiner.
Eitan Avissar in der Uniform der IDF als Brigadegeneral, um 1952.
Foto: Fritz Cohen (1913–1981). National Photo Collection of Israel, Photography dept. Government Press Office, D658-047; Quelle: Wikipedia commons, gemeinfrei, link: https://de.wikipedia.org/wiki/Eitan_Avissar#/media/Datei:Eitan_avishar.jpeg
Gedenkrede am 7.11.2024 in Wels. Mit freundlicher Genehmigung P. Steiner.
Zum Autor
Prof. Mag.phil. Peter STEINER
Historiker, Bibliothekar und Milizoffizier.
Geboren 1964, lebt und arbeitet in Wien.
Studium der Geschichte, Numismatik und Museumskunde an der Universität Wien. Danach Ausbildung zum Bibliothekar an der Österreichischen Nationalbibliothek.
Verfasser zahlreicher Beiträge, Mitautor und Autor von Büchern zu österreichischer Militärgeschichte und Phaleristik (wissenschaftliche Lehre von Orden und Ehrenzeichen).
Forschungsschwerpunkte sind österreichische Orden, Ehrenzeichen und Uniformen, sowie österreichische Militärseelsorge und die Militärgeschichte der k.u.k. Armee von 1867 bis 1918 und des Bundesheeres der Republik Österreich.
Mitarbeit bei verschiedenen Ausstellungen, beispielsweise:
Ausstellung 2018 bis 2021 im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien.
Berufliche Tätigkeit:
1988-2000 Pathologisch-anatomisches Bundesmuseum;
2000-2015 Österreichische Nationalbibliothek;
seit 2016 Heeresgeschichtliches Museum.
Werksverzeichnis (Auszug):
Peter Steiner. War es doch Jakob Dukatenzähler? Der erste tote jüdische k.u.k. Soldat im 1. Weltkrieg.
https://davidkultur.at/artikel/der-erste-tote-juedische-k-u-k-soldat-im-1-weltkrieg
Ehrungen