Die Geschichte der Juden in Südafrika beginnt mit der Ankunft der ersten Europäer an der Küste des späteren Südafrika.
Auf der Suche nach einem Seeweg nach Indien, wo das Gold des Mittelalters, die Gewürze, geladen werden sollten, segelten die Portugiesen im 15. Jahrhundert immer weiter an der Westküste Afrikas entlang, Richtung Süden. Bereits auf dem ersten portugiesischen Schiff, das 1497 unter dem Kommando Vasco da Gamas das Kap der Guten Hoffnung erreichte, arbeiteten Juden als Kartographen und andere Fachleute. Mit dem Aufkommen ernst zu nehmender Konkurrenz durch die Holländer und Engländer im ausgehenden 16. Jahrhundert gewann das Kap an strategischer Bedeutung. Als dann 1611 ein holländischer Kapitän erstmals direkt vom Kap nach Indonesien segelte, anstatt wie bisher entlang der ostafrikanischen Küste, lag das Kap nicht mehr nur geografisch im Mittelpunkt des Handels zwischen Europa und Asien. Auch unter den niederländischen Siedlern, die 1652 um den jungen niederländischen Kaufmann Jan van Riebeeck Kapstadt gründeten, befanden sich einige Juden, die ihre Religion jedoch nicht praktizierten.
Die Grosse Synagoge in Kapstadt (Gardens Shul), Aussenansicht.
Die Niederländische Ostindien-Kompanie (VOC) erlaubte Mitte des 17. Jahrhunderts in Kapstadt keine Form des öffentlichen G’ttesdienstes ausser dem protestantischen Christentum. Obwohl einige offenbar jüdische Namen in den Kap-Unterlagen der Kompanie auftauchen, wurde das Judentum dort nicht offen praktiziert, wenn überhaupt. Die seltsame Ironie dieser religiösen Gesetze war, dass jene niederländischen Juden, die schliesslich die Mehrheitsaktionäre der Niederländischen Ostindien-Kompanie wurden, nie versuchten, die G’ttesdienstgesetze der Kompanie zu liberalisieren. Im Gegensatz dazu erlaubte die Niederländische Westindien-Kompanie (WIC), die die Gebiete von New York, New Jersey, Connecticut und Delaware kontrollierte, immer die Religionsfreiheit. Am Kap blieb diese religiöse Intoleranz bis 1804 offizielle Politik, als schliesslich die kurzlebige Nachfolgeregierung der niederländischen Regierung, die Batavische Republik, inspiriert von den Idealen der Aufklärung der Französischen Revolution, das Verbot der Religionsfreiheit aufhob. Am 25. Juli 1804 wurde Juden endlich das Praktizieren der jüdischen Religion sowie der offizielle Aufenthalt in der niederländischen Kolonie Südafrika durch den niederländischen General-Kommissar Jacob Abraham de Mist per Proklamation gestattet.
Nach der Besetzung der Kapprovinz durch die Briten 1806 kamen kleinere jüdische Einwandergruppen und 1841 entstand dann in Kapstadt die erste jüdische Gemeinde im südlichen Afrika, die Tikvath-Israel Gemeinde. Sie ist nach der Sydney Hebrew Congregation die älteste jüdische Gemeinde der südlichen Hemisphäre.
Die Grosse Synagoge in Kapstadt (Gardens Shul), Innenansicht.
Die alte Synagoge Kapstadts
1862 und 1863 wurde für die stetig wachsende jüdische Bevölkerung Kapstadts die erste Synagoge der Stadt errichtet. Sie steht in dem historischen „Company‘s Garden“, dem ehemaligen Gemüsegarten der Niederländischen Ostindien-Kompanie. Er war ab 1652 als Versorgungsstation auf halbem Wege nach Indien angelegt worden, um die während der sechs- bis achtmonatigen Fahrten zwischen Europa und Asien auftretenden häufigen Erkrankungen und Todesfälle zu senken. Diese Garten- bzw. Parkanlage mit ihrem alten Baumbestand und herrlichen Blumenbeeten bildet heute die grüne Lunge Kapstadts. Die Cape Town Hebrew Congregation – auch die „Gardens Shul“ genannt – ist nur einen Steinwurf vom Parlament Südafrikas entfernt, das ebenfalls im „Company‘s Garden“ steht.
Die Grosse Synagoge
Zwischen 1880 und 1910 gelangten in mehreren Wellen etwa 40.000 jüdische Einwanderer aus Osteuropa, zumeist aus Litauen, Lettland und Weissrussland nach Kapstadt. Die Mehrheit von ihnen war vor den Pogromen in Russland geflüchtet. Im Jahr 1905 wurde die Grosse Synagoge (Great
Synagogue) an die alte Synagoge angebaut. Durch ihre Pracht wurde sie zu einem weithin sichtbaren Wahrzeichen des „Company’s Garden“. Auf der Rückseite der beiden Synagogen befindet sich das Jüdische Museum, welches die jüdische Geschichte der Stadt und die Tragödie während der Nazizeit zum Thema hat. Bücher und andere Gegenstände der jüdischen Zeremonien informieren umfassend über das Leben und die Entwicklung der etwa 75.000 in Südafrika lebenden Juden.
Glasfenster in der Grossen Synagoge in Kapstadt.
Die Grosse Synagoge von 1905 mit ihrer beeindruckenden zentralen Kuppel dient heute noch als Gebetsstätte für Kapstadts aktive jüdische Gemeinde. Mit ihren Zwillingstürmen, den kunstvollen Mosaiken, den Glasfenstern und dem weitläufigen G’ttesdienstraum strahlt die Grosse Synagoge ein Atmosphäre von Geschichte und Tradition aus. Sie ist ein architektonisches Meisterwerk, beinhaltet Aspekte des neo-ägyptischen Baustils und ist mit ihrer wunderschönen Bima, von Anton Anreith geschnitzt, für die jüdische Gemeinde Südafrikas eine Quelle grossen Stolzes.
Die Cape Town Hebrew Congregation ist eine florierende und einladende, traditionell orthodoxe Gemeinde. Sie bietet tägliche Gebetsg’ttesdienste und vollständige Chorg’ttesdienste für Schabbat und Feste, bei denen sich traditionelle Chazzanut (Gesänge des Kantors) mit zeitgenössischen, mitreissenden Melodien vermischen. Ein Besuch der Gardens Shul ist eine einzigartige und inspirierende spirituelle Erfahrung an der Südspitze Afrikas.
Eingang zur Alten Synagoge, die heute das Jüdische Museum beherbergt.
Louis Joshua Washkansky (12. April 1912 – 21. Dezember 1967) war ein litauischer Jude und das jüngste der vier Kinder von Abe Washkansky und seiner Frau Chana Yentel Kemelgor. Mit elf Jahren kam Louis Washansky nach Südafrika. Er war der erste Mensch, bei dem eine erfolgreiche Herztransplantation durchgeführt wurde. Der Arzt war Prof. Dr. Christiaan Barnard; die Operation fand im Groote Schuur Hospital in Kapstadt statt. Nach dem 2. Weltkrieg hatten Louis und Anne Washkansky in der Grossen Synagoge (Gardens Shul) in Kapstadt geheiratet.
Louis Joshua Washkansky (12. April 1912 – 21. Dezember 1967).
Alle Abbildungen. M.-L. Weissenböck, mit freundlicher Genehmigung.