Mit der Schliessung des Hotels Edelweiss nach der Sommersaison 2010 ging ein Kapitel der St. Moritzer Hotelgeschichte zu Ende.
Die Geschichte des Hotels Edelweiss in St. Moritz hatte im Juni 1880 begonnen, wie Inserate verschiedener jüdischer Zeitschriften belegen, in denen Josef Bermann hervorhebt, dass er im Winter eine „beliebte und streng rituelle Restauration in Meran führt“.1 Zur Saisoneröffnung im Jahr 1881 machte Josef Bermann alsdann die Führung eines Restaurants in Karlsbad mit seinem Schwiegersohn Nathan Pisk bekannt. Über sein Vorhaben in St. Moritz schrieb er in einem Inserat in „Der Israelit“: „Ich eröffne […] meine Restauration […] anschliessend an die Pension des Herrn Präsidenten Gartmann Schauenstein.“2 1886 eröffnete das Hotel Edelweiss neu, diesmal in der Villa Gartmann-Schauenstein, die „nebst Gesellschaftslokalen und Familienwohnung Raum für 26 Fremdenbetten“3 hatte. Eine weitere Änderung erfolgte 1893, als Josefs Sohn Leopold Bermann das heute als Pension Edelweiss bekannte, von Gaudenz Jörimann gebaute Gebäude kaufte, aufstocken und erweitern liess.
Zeitungsannonce Hotel Edelweiss, St. Moritz.
1899 stellte Gustav Karpeles in der „Allgemeinen Zeitung des Judenthums“ fest, „dass man im ganzen Engadin nirgends besser aufgehoben sein kann als im Edelweiss“. Er lobte nicht nur die Verpflegung durch Emma Bermann-Bollack, Leopolds Frau, sondern auch die Akzeptanz gegenüber einem weniger streng orthodoxen Publikum:
„Hier fallen alle Schranken der Partei, hier sind alle Unterschiede aufgehoben, und wenn ich meine glaubenstreuen Freunde aus dem Edelweiss richtig beurtheile, so beschäftigen sie sich allen Ernstes mit der Idee, den Reformjuden volle Gleichberechtigung zu gewähren. Und das will bei der Zusammensetzung der Pension viel sagen, in der alle Nuancen unserer Orthodoxie, von der rigorosesten süddeutschen Rechtgläubigkeit bis zu dem bekannten Berliner Konservatismus, vertreten waren.“
Das Hotel Edelweiss war und blieb ein Familienunternehmen. Auch Emma Bermanns Schwester Lotte Bollack arbeitete mit im Betrieb. Geist und Stil des Hotels Edelweiss schildert ein Nachruf für Leopold Bermann in „Der Israelit“. Das Hotel Edelweiss sowie das Hotel Bellaria in Meran wusste Leopold Bermann „zu Heimstätten der Erholung zu machen, für arm und reich. Manch einer speiste wochenlang an der Tafel mit, an dem er sich die Mizwa (religiöse Weisung) von Gastfreundschaft im wahrsten Sinne verdiente. Und in jedem dieser Häuser hatte er sich eine Synagoge eingerichtet und mit der Liebe ausgestattet, die aus seiner tiefen G'ttesfurcht strömte. Dort stand er bis vor wenigen Jahren als Kantor und Vorleser und als Schofarbläser und es war eine Freude, diesen damals schon Siebzigjährigen zu hören und in seiner Andacht zu beobachten. Und in seinen Mussestunden sass er über einem Sefer [Torarolle], sich freuend, wenn einer seiner Gäste ihm Gesellschaft leistete oder gar mit ihm disputierte.“4
Nach Leopolds Tod am 22. Januar 1928 übernahm das jüngste der drei Kinder, sein Sohn Josef Bermann das Hotel, der es mit seiner aus Frankfurt gebürtigen Frau Sara Gans im Sinne der Familie weiterführte. 1930 wurden weitere Änderungen vorgenommen, worüber die „Jüdische Rundschau“ berichtete.5
Via dal Bagn in St. Moritz-Bad, ca. 1880. v.l.: Hotel Bellevue, Villa Flütsch, Maison Gartmann-Schauenstein (später Hotel Edelweiss), Villa Heimat. Im Hintergrund St. Moritz-Dorf. Bildrechte: Dokumentationsbibliothek St. Moritz, mit freundlicher Genehmigung R. Bloomfield.
Anmerkungen
1 Neue israelitischen Zeitung, 18.6.1880. Weitere Inserate: Jüdische Presse, 1.7.1880; Der Bund, 17. und 20.7.1880.
2 Der Israelit, 13.4.1881 und 4.5.1881.
3 Gantanzeige, in: Fögl d’Engiadina, 1. März 1884; Isabelle Rucki, Hotels in St. Moritz, Kantonale Denkmalpflege Graubünden 1988.
4 „Leopold Bermann – das Andenken an den Gerechten ist zum Segen“; In: Der Israelit, 2.2.1928, S. 7.
5 Jüdische Rundschau, 30.5.1930.