Am 22. Mai 2024 wurde auf dem Gelände der GeoSphere Austria ein Gedenkstein für die Familie Bleier enthüllt. Ihr Wohnhaus Hohe Warte 40 wurde unter dem NS-Regime enteignet.
Unter Anwesenheit zahlreicher Nachkommen der Familie Bleier fand am 22. Mai 2024 ein historisch engagiertes Symposium unter dem Titel „Hohe Warte 40 während der NS-Zeit und danach“, anlässlich der feierlichen Enthüllung einer Gedenktafel betreffend frühere Eigentumsverhältnisse vor dem Nationalsozialismus, im Hauptgebäude der GeoSphere Austria – Bundesanstalt für Geologie, Geophysik, Klimatologie und Meteorologie1, Hohe Warte 38 in Wien-Döbling statt. Beleuchtet wurde die Liegenschaftsgeschichte der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik. Insbesondere die Historikerin und Geographin Christa Hammerl von der Abteilung Österreichischer Erdbebendienst, die seitens der GeoSphere Austria die Recherche besorgt hatte, stellte in ihrem Vortrag die Besitzverhältnisse rund um die verschiedenen Gebäude auf dem Anstaltsareal sehr eindrucksvoll dar. Die Villa der als Juden verfolgten Eigentümerfamilie Bleier kam nach erfolgter Restitution in der Nachkriegszeit an die ZAMG: „Die späte Zur-Kenntnisnahme der offiziellen Stellen ist sehr wichtig“, wie sie betonte. Die Verflechtungen der Liegenschaft, insbesondere die Deportationen aus der ursprünglichen Eigentümerfamilie, seien kaum zu ertragen, meinte sie, und setzte hinzu: „Wenn die Geschichte Namen bekommt, nicht ausschliesslich als Abstraktion erzählt wird, schaut alles ganz anders aus – wenn da plötzlich ein Name ist, ein Bild: Leonie Fischer, kann man sich identifizieren, das leitet mich.“ Der wissenschaftliche Generaldirektor der GeoSphere Austria, Andreas Schaffhauser, unterstützte die Errichtung des Gedenksteins, ZAMG-Direktor Michael Staudinger hatte zuvor schon die Recherchen und die Errichtung einer Gedenktafel an der Aussenmauer des ehemaligen Grundstückes Hohe Warte 40 sehr gefördert.
Frau März und Honoratioren mit der neuen Gedenktafel, von links: Nachkommen der Familie Bleier, Dr.in Christa Hammerl, Generaldirektor Dr. Andreas Schaffhauser, Mag.a Eveline E. März, Generaldirektorin Ing.in Mag.a Sylvia Bauer-Beck, Sektionschefin im BMBWF Mag.a Barbara Weitgruber.
Eveline Elisabeth März als Vertreterin der ursprünglichen Eigentümerfamilie des Hauses Hohe Warte 40 berichtete über ihre enge Zusammenarbeit mit Frau Hammerl: „Der GeoSphere Austria nun einen grossen Dank für die Sichtbarmachung der früheren Eigentumsverhältnisse der Grossfamilie Bleier; leider mit grossen Leid nach dem Anschluss Österreichs an das Dritte Reich verbunden.“ Sie präsentierte eine ganz persönliche Darstellung ihrer Familiengeschichte, die für die zahlreich versammelte Zuhörerschaft in ihrer Eindringlichkeit sehr berührend war und so nachdenklich stimmte, dass Frau März mit standing ovations bedacht wurde.
Emily Witt-Dörring, Dr.in Daniela Witt-Dörring, geb. Bleier und Mag.a Eveline Elisabeth März.
Im Anschluss an die Festvorträge wurde der Gedenkstein für die Familie Bleier auf dem Gelände der GeoSphere Austria feierlich enthüllt. Dieser Gedenkstein markiert exakt die einstige Grundstücksgrenze zwischen den Grundstücken der ZAMG und der Familie Bleier. Frau März meinte dazu: „Wichtig und nun klar erkennbar wurden dadurch die historischen Trennlinien zwischen den Liegenschaften EZ (Einlagezahl) 294 und EZ 851, Heiligenstadt, betreffend Hohe Warte 40 und EZ 495, Katastralgemeinde Heiligenstadt, betreffend Hohe Warte 38 (früher ZAMG). Nach dem Verkauf der Liegenschaften EZ 294 (Haus mit Garten) und EZ 851 (Acker bzw. Garten) an die Republik Österreich in den 1950er Jahren wurden diesbezügliche Liegenschaften in den 1960er Jahren mit der Liegenschaft EZ 495 „verschmolzen“. Danach waren die Einlagezahlen EZ 294 und EZ 851 „verschwunden“: sie waren im Computer nicht mehr erkennbar.“
Der frühere ZAMG-Direktor Dr. Michael Staudinger mit der neuen Gedenktafel.
Die neue Gedenktafel an der ehemaligen Grundstücksgrenze zwischen Hohe Warte 38 und 40.
Zum Höhepunkt der Veranstaltung wurde der Besuch der Familienmitglieder im ehemaligen Wohnhaus ihrer Vorfahren, heute als Teil der GeoSphere Austria nach dem jüdischen Meteorologen Max Margules (1856 Brody, Galizien – 1920 Perchtoldsdorf, ZAMG-Mitarbeiter 1885–1906, Mitbegründer der dynamischen Meteorologie) benannt. In dem Gebäude ist die IT mit dem neuen Hochleistungsrechner für Vorhersage, Warnungen, Krisenmanagement und Klimaforschung untergebracht. Nach Gesprächen mit den Mitarbeitern der verschiedenen Abteilungen, die in den Räumlichkeiten untergebracht sind, kamen alle zu einem gemeinsamen Foto auf dem Balkon im ersten Stock des Gebäudes zusammen. Während die Nachkommen der Familie Bleier plaudernd bei einander standen, wurde die Atmosphäre des einstigen Wohnhauses nachvollziehbar. Ein harmonischer Tag fand so seinen emotionalen Abschluss, der allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern sicher noch lange in Erinnerung bleiben wird.
Die Nachkommen der Familie Bleier mit dem Ehepaar Breitenbach auf der Terrasse ihres ehemaligen Hauses.
Symposium 22.5.2024: Eveline Elisabeth März und Christa Hammerl am Podium. Foto: C. Hammerl, mit freundlicher Genehmigung.
Das Max-Margules-Haus der GeoSphere Austria, vormals Villa der Grossfamilie Bleier, Hohe Warte 40. Foto: C. Hammerl, mit freundlicher Genehmigung.
Diese Gedenktafel aussen an der Einfriedung des Grundstücks Hohe Warte 40 wurde zur 170-Jahr-Feier der ZAMG am 23.7.2021 angebracht, ihre Enthüllung erfolgte gemeinsam durch Frau März und den damaligen Wissenschaftsminister Heinz Fassmann. Das Hausnummern-Schild wurde aus dem dichten Efeu-Bewuchs freigeschnitten, durch Erklärung ergänzt, und mittels QR-Codes zu weiterführenden Informationen auf der Homepage der GeoSphere Austria verlinkt. Foto: C. Hammerl, mit freundlicher Genehmigung.
In der nächsten Ausgabe, DAVID, Heft 144, Pessach 5785/April 2025, ist ein Beitrag zur Geschichte der Grossfamilie Bleier auf der Hohen Warte 40 vor und nach dem Nationalsozialismus von Eveline Elisabeth März geplant.
Anmerkung
1 Mit 1. Jänner 2023 wurden die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) und die Geologische Bundesanstalt (GBA) zur GeoSphere Austria zusammengeschlossen.
Nachlese
170 Jahre ZAMG. 1851–2021, hg. v. Christa Hammerl/Michael Staudinger. Graz-Wien: Leykam 2021.
Fotos, wenn nicht anders angegeben: T. Walzer, mit freundlicher Genehmigung.