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Von Franz zu Frank In Memoriam Lord Schon of Whitehaven

Theodor Much

Mein Onkel Frank Schon – geboren am 18. Mai 1912 als Franz Schön in Wien – verstarb am 1.7.1995 in London. Sein Leben und seine unglaubliche Karriere in England grenzen an ein modernes Wunder, das nicht in Vergessenheit geraten sollte.

Inhalt

Aus Anlass des Ablebens von Lord Frank Schon von Whitehaven berichtete The Independent am 12. Januar 1995 und zitierte aus dessen Antrittsrede vor dem britischen Oberhaus (House of Lords) von 1979:

„[…]’I do not think that you, my lords, who have been born here, can be conscious of the immense sense of pride that I who came from the Continent with few friends and no resources, feel on this occasion. The debt that I owe to the kindness and humanity of the British people cannot be discharged.’ All the peers present were greatly moved. […]”

 

Franz Schön wuchs in Wien auf, besuchte das Rainer-Gymnasium und studierte Chemie in Wien und Prag. Im Jahr 1931 begann er seine Tätigkeit in einem Chemieunternehmen, das mit der Böhme AG in Chemnitz zusammenarbeitete und 1932 das erste vollsynthetische Waschmittel entwickelte. Er heiratete die jüngste Schwester meiner Mutter – Trude Secher – im Jahr 1936 und arbeitete zunächst in Wien und ab 1937 in Prag. Beide konnten noch am 28. März 1939, im letzten Moment und völlig mittellos, vor den Nazis aus Prag nach England fliehen. Sie wurden, wie viele jüdische Flüchtlinge, zunächst auf der Isle of Man, im irischen Meer an der Nordwestküste Englands interniert. 

 

Nach seiner Entlassung aus dem Internierungslager gründete mein Onkel zunächst in London – jetzt bereits als Frank Schon – zusammen mit seinem Freund Fred Marzillier im Jahr 1939 das Unternehmen Marchon Products Ltd (der Name der Firma beinhaltet die Anfangsbuchstaben beider Familiennamen) zur Herstellung von Feuerzeugen aus Sägemehl und Naphtalin. Aus dieser Zeit stammt auch eine Geschichte, die mein Onkel gerne schmunzelnd erzählte: Als er noch kaum Englisch sprach, fuhr er in London mit der Untergrundbahn und verirrte sich dabei. Um seinen Aufenthaltsort zu eruieren, sprach er einen Bahnbediensteten an und sagte zu ihm anstelle von „Where am I?“ (Wo bin ich?), „Who am I?“ (Wer bin ich?). Der arme Angestellte glaubten einen Irren vor sich zu haben und floh.

 

Ende 1940 wurde das Londoner Gebäude der Firma ausgebombt. Mit einem Kredit von siebzig Pfund, den er sich von seinem Schwager Otto Secher ausborgte (dem Bruder meiner Mutter und später in leitender Position der Firma Marchon), reiste er nach Whitehaven im landschaftlich wunderschönen Cumberland (auch Lake District genannt) – einer damals wirtschaftlich armen Region mit hoher Arbeitslosigkeit. Dort gründete er seinen Betrieb neu. In Whitehaven baute er das Unternehmen zu einem der weltweit grössten Rohstoffproduzenten für die Wasch- und Reinigungsmittel auf. Es beschäftigte zuletzt 2.500 Mitarbeiter; mit der Zeit wurden auch Schwesternbetriebe in Frankreich, Italien, Spanien, Australien und Südafrika errichtet. Rein zufällig wurde unterhalb der Fabrik eine grosse Menge an Anhydrid (eine Grundsubstanz zur Erzeugung von Schwefelsäure) entdeckt und daraufhin eine riesige Mine eröffnet, die unter anderem auch Prinz Philip besuchte. Dem Unternehmen gehörten auch drei Handelsschiffe, die vor allem Marokko ansteuerten. Im Jahr 1943 gründete mein Onkel das Chemieunternehmen Solway Chemicals Ltd, das Zement und Schwefelsäure produzierte und dessen Direktor er bis 1967 war. Bereits im Jahr 1955 verkaufte er Marchon Ltd an Albright and Wilson (den in Grossbritannien grössten Produzenten von weissem Phosphor und Kaliumchlorid) für zwei Millionen Pfund, wobei er bis 1976 weiter als Direktor im Verwaltungsrat fungieren konnte. 

 

Seit 1964 war Frank Schon Vorsitzender des Cumberland Development Council, Mitglied des Northern Economic Planning Council und Mitglied des Northern Gas Board. Schon im Jahr 1961 wurde er von der Universität Durham mit dem Ehrendoktortitel als Doktor of Civil Law ausgezeichnet. Wegen seiner grossen Verdienste um die wirtschaftliche Entwicklung von Cumberland erhielt Frank Schon mehrere Auszeichnungen von Königin Elizabeth II. (Queens Awards) und wurde am 8. November 1966 von der Queen zum Knight Bachelor geschlagen. Seither durfte mein Onkel den Namenszusatz „Sir“ Frank führen. Im Jahr 1967 wurde Sir Frank zum Mitglied der NRDC (National Research Development Corporation), einer Regierungseinrichtung zur Überprüfung von Innovationen öffentlicher Forschungseinrichtungen an privaten Unternehmen. Noch im selben Jahr wurde er vom Minister of Technology Tony Benn zum Nachfolger von Baron William Black als Chairman der NRDC ernannt, eine Funktion, die er bis 1979 ausübte. Frank Schon war auch Mitglied der British-Israel Chamber of Commerce und ehrenamtlicher Berater der israelischen Chemie-Industrie. 

Ausserdem war mein Onkel ein Freund und Golfpartner des späteren Premierministers Harold Wilson, mit dem er Wien besuchte. Damals traf ich ihn als Kind im Hotel Imperial und unterhielt mich mit ihm über den englischen Fussball. Als begeisterter, doch mittelmässiger Golfspieler schaffte er bei einem Spiel mit Harald Wilson in Hampstead ein hole-in-one (Einlochen mit einem einzigen Schlag), ein Ereignis, dass stets gross gefeiert wird. Im Jahr 1976 wurde Frank Schon mit dem Titel Baron Schon, of Whitehaven, als Life Peer, einem nicht vererbbaren Titel, in den Adelsstand erhoben und gehörte bis zu seinem Tod in London am 7. Januar 1995 dem House of Lords an. Er hinterliess zwei Töchter, die heute in London leben. 

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Lord Frank Schon, der England und besonders Cumberland mit dessen Bevölkerung liebte, ist ein Beispiel für die Grosszügigkeit der Engländer jüdischen Flüchtlingen aus Europa gegenüber und auch dafür, dass für tüchtige und weitsichtige Menschen eine grosse Karriere, auch unter schwierigen Verhältnissen, möglich ist.