Die Beschreibung der Lebensbedingungen im Frauenlager schilderte Jenny Lebl: Dort übte eine ehemalige Partisanin und ehemalige Insassin von „Goli otok“ die Leitungsfunktion aus.
Marija Zelić selbst war eine „Bande“ (wie alle Häftlinge statt ihres bürgerlichen Namens gerufen wurden): Als Partisanin kämpfte sie mit der Waffe in einer der verlustreichsten Schlachten des Zweiten Weltkrieges in Jugoslawien (1944), wurde 1944 ausgezeichnet und 1948 als „Volksfeindin“ denunziert. Dies hatte sie einem Partisanenkameraden zu „verdanken“, der sich wegen ihrer Ablehnung seiner Annäherungsversuche rächte. Im Gefängnis tat sie das, was die Geheimpolizei von ihr verlangte: sie unterschrieb ihre Erklärung zur „Zusammenarbeit“ (ob sie wusste, was dieser Begriff bedeutete, ist nicht sicher); jedenfalls hoffte sie freizukommen und Volkswirtschaft studieren zu dürfen, um Politikerin zu werden. Aber sie wurde als Aufseherin nach „Sveti Grgur“ geschickt und leistete die „Zusammenarbeit“: Ausspionieren und Denunzieren der Mithäftlinge – ihre Frustration wegen der zerstörten Zukunftspläne reagierte sie an ihren Opfern ab: „Du hast die Partei im Stich gelassen, als sie Deine Hilfe brauchte“ – mit dieser „Formel“ empfing sie jedes neue Opfer, als sadistische Aufseherin in „Sveti Grgur“ misshandelte sie nicht selbst, sondern zwang die Häftlinge, einander zu misshandeln. Jeden Morgen mussten sie „Aktionspläne“ vorlegen, jeden Abend die Erfüllung berichten. Die Aufseherin kontrollierte den „Vollzug“. „Wer härter zuschlug, konnte mit früherer Entlassung rechnen“, erinnerten sich ehemalige Opfer. – Dieses Ritual gab es auch im Männerlager in „Goli otok“.
In „Sveti Grgur“ zwang die Aufseherin ihre Opfer zu sexuell konnotierten Misshandlungen, Beschämungsritualen, Verhören und gegenseitig Anschuldigungen jeder Gefangenen an jeder von ihnen. Sie mussten ihre Biographien schreiben – aber so, dass sie den Vorgaben der Urteile entsprachen, sich selbst „neu erfinden“ – die männlichen Häftlinge in „Goli otok“ thematisierten solche Praktiken nicht, wohl aber berichteten sie von sadistischen, körperlichen Misshandlungen. Wenn der „Umerziehungsprozess“ enden sollte, wurden die Häftlinge dazu verhalten, eine Erklärung über die zukünftige „Zusammenarbeit“ und tägliche Berichterstattung über Gesehenes und Gehörtes zu unterschreiben. Im Falle einer Entlassung – die höchst selten vorkam – war eine Verpflichtung zu striktem Stillschweigen über das Lager, seinen Standort und die Lagerbedingungen zu unterschreiben. Sie hätten sich dazu nicht mit Unterschrift verpflichten müssen: in der Freiheit quälte alle Entlassenen eine bei diesen Häftlingen tiefsitzende Scham, die sich in ihrem Verhalten ausdrückte und jedermann sofort signalisierte, dass er Gulag-Insassen vor sich hatte. Schlimmer noch: Diese Insassinnen waren nicht nur Opfer – jede von ihnen war auch Täterin, denn sie hatten sich ihre Entlassung durch die Misshandlung ihrer Mitgefangenen „verdient“. Auch die Haftbedingungen in „Goli otok“ zwangen die Häftlinge, die „Arbeit“ der Wachen zu übernehmen. Die Wachen konnten sich, wenn sie nach der Aufhebung dieser Gefängnisse und der „Humanisierung“ des Strafvollzuges vereinzelt vor Gericht gestellt wurden, als „unschuldig“ darstellen, was nicht einmal widerlegt werden konnte.
Jüdische Insassen von „Goli otok“ und „Sveti Grgur“ wurden manchmal, aber eher selten – schon in den Verhören auf ihr Judentum angesprochen: Jenny Lebl vernahm alle gängigen Vorurteile über Juden: „arbeitsscheu“, „falsch“, „betrügerisch“, „intrigant“, „Neigung zu Promiskuität“. Für den Verlust von Familienangehörigen in der Zeit der deutschen Besatzung, für die Deportation zur Zwangsarbeit oder in die Konzentrations-und Todeslager der Nationalsozialisten hatten die Polizeiagenten nicht die geringste Empathie. Hatten die Opfer der Nazis überlebt, wurde den weiblichen Angeklagten unterstellt, „sicher hatte sie was mit einem Deutschen“; oder sie wurde gefragt, warum man zusammen mit Jenny Lebls Mutter und Grossmutter nicht auch sie liquidiert habe. „Sie hat es sich gerichtet“. Es waren die gleichen Unterstellungen, wie sie jüdische Überlebende von Konzentrations- und Todeslagern bei ihrer amtlichen Repatriierung von den sie empfangenden „Informationsoffizieren“ hören mussten: Ein überlebender Jude konnte keinesfalls mit Anteilnahme rechnen, nur ein toter Jude galt offenbar als „guter Jude“ und polizeilich unbedenklich.
Gedenktafel auf der Gefängnisinsel Goli otok. Ženski zatvor na Golom otoku i Sv. „Sveti Grgur“u (Ivo Martinovic – Foto in „Jutarnji list“)
Im jugoslawischen Kommunismus war die „Ausrottung der Juden“ kein Programm: Juden wurden von der kommunistisch-stalinistischen Polizei nicht als Juden, sondern als „Volksfeinde“ verurteilt, allenfalls mit der Unterstellung, sie könnten wegen der „bekannten Schlauheit der Juden“ ihre volksfeindlichen Aktionen besonders geschickt tarnen. Wie Jüdinnen und Juden somit indirekt für ihr Judentum bestraft wurden, zeigen die Erinnerungen an diese Jahre in „Goli otok“ und „Sveti Grgur“: „Warum bist Du dann nicht in dieses, Euer – eh – Palästina gegangen?“ Jenny Lebl wusste 1945 mit Palästina wenig anzufangen, fühlte sich als Serbin, pflog die jüdische Kultur als Teil der Familientradition – mehr nicht. Als sie am 28. April 1949 als „Volksfeindin“ verurteilt und praktisch ausgebürgert wurde, genau so wie auch schon 1941, hatte sie „den letzten Rest der Hoffnung verloren, Krieg und die Verfolgung hätten 1945 ein Ende gefunden“. („Ljubičica bela“)
Jenny Lebl wurde, wie die meisten Frauen in „Sveti Grgur“ nicht wegen eigener politischer Betätigung von einem Militärgericht rechtskräftig verurteilt, sondern wegen „Beleidigung Jugoslawiens und seiner Führung“. Jenny Lebl verfasste auch einen Erfahrungsbericht einer Mitgefangenen. Die in Čakovec geborene Vera Bruk, eine Jüdin aus der (1941–1944 von Ungarn annektierten) Stadt Čakovec, die ein Nazilager überlebt hatte, landete trotz dieser Erfahrungen als „Volksfeind“ im Lager „Sveti Grgur“ – allein deshalb, weil sie sich geweigert hatte, ihren schon 1950 verstorbenen ersten Mann Tuvia Bruk als „Volksfeind“ zu denunzieren. In Israel konnte ihre Geschichte, die Jenny Lebl niedergeschrieben hatte, veröffentlicht werden. Ihre zweieinhalb Jahre Haft in „Sveti Grgur“ schildert der israelische Schriftsteller David Grossmann in seinem Roman When Nina knew (2019; in Kroatien erschien die Übersetzung) als Erinnerung der Tochter Nina (real: Eva Panić aus Čakovec, in Israel verehelichte Nadir, die als Kleinkind nach der Verhaftung der Mutter von den Mitbewohnern „auf die Strasse gesetzt“ wurde und sich dank Krimineller, die mit obdachlosen Kindern Geschäfte machten, am Leben erhielt. Nina und die nachfolgenden Generationen hatten die Folgen der Traumatisierung des Lageropfers zu verarbeiten. Grossmann ging es darum, die Übertragung der Traumata von einer Generation auf die nächste sichtbar zu machen, trotz der Geheimhaltung in den Familien.
Trotz eines kleinen Kindes wurde auch die in Budapest geborene Eva Grlić (1920–2008), eine jugoslawische Partisanin der ersten Stunde, 1950 nach „Sveti Grgur“ verbracht, nachdem 1949 ihr Ehemann, der Zagreber Philosoph Danko Grlić wegen seiner Befürwortung der „IB-Resolution“ 1949 zu „Goli otok“ verurteilt worden war. Eva wurde zur Last gelegt, sie habe Dankos Freunden, „IB-Unterstützern“ in ihrer Wohnung Quartier gegeben, statt sie anzuzeigen. Evas und Dankos kleiner Sohn (geb. 1947), Rajko Grlić, wurde von einer Kroatin betreut (diese wurde für eine solche „Mutprobe“, die auch sie nach „Goli otok“ oder „Sveti Grgur“ bringen hätte können, zur Gerechten unter den Völkern ernannt).
Rajko Grlić wurde ein international bekannter Film-und Fernsehproduzent und Regisseur. Eva Grlić hat ihre Erfahrungen in der von der kroatisch-jüdischen Schriftstellerin und Judaistin Jasminka Rahela Domaš herausgegebenen Anthologie Glasovi, sjećanja, život. Prilog za istraživanje povijesti židovskih obitelji (Stimmen, Erinnerungen, Leben. Beitrag zur Erforschung der Geschichte jüdischer Familien; Zagreb 2015) geschildert.
Gedenktafel auf Goli otok und Blick über die Gefängnisinsel. Ženski zatvor na Golom otoku i Sv. „Sveti Grgur“u (Ivo Martinovic – Foto in „Jutarnji list“)
Teil I dieses Beitrags ist in der letzten Ausgabe, DAVID Heft 142, Rosch Haschana 5785/September 2024 erschienen.
Teil III dieses Beitrags wird in der nächsten Ausgabe, DAVID Heft 144, Pessach 5785/April 2025 erscheinen.