Ausgabe

Rosenkränze, Kreuze und Rempler

Michael Bittner

Auf der Suche nach den letzten jüdischen Händlern auf dem Petersplatz in Rom

Inhalt

Jede Religion hat ihre ureigenen Symbole, die oft gern zur Schau getragen werden. So sagen ein Rosenkranz oder ein Nazar am Rückspiegel, ein Fisch auf der Heckklappe oder eine Mesusa auf der B-Säule ganz eindeutig, welcher Religion der Autofahrer anhängt. Wo aber bekommt man die oft wundertätigen, kleinen Beschützer von Mensch und Heim? An „heiligen“ Plätzen gewiss, oder in einer schnöden Tabak­trafik, beim Schlüsseldienst, oder in einem einschlägigen Geschäft. Im katholischen Bereich entwickelte sich das Devotionaliengeschäft, heute eine aussterbende Spezies. Es findet sich bei Dom- und Wallfahrtskirchen: eines gibt es noch am Stephansplatz in Wien, viele gab es beim Heiligen Antonius von Padua, dem Helfer aller Schlampigen (heute sind nur noch zwei übrig, Francesco, amico mio, come stai?), auch die Marktstände mit der grossen Auswahl an Kerzen werden immer seltener. Und natürlich gibt es die Devotionaliengeschäfte am Petersplatz in Rom, dem Nabel des Katholizismus, wo sonst?

 

Früher gab es für die christgläubigen Touristen, die damals noch Pilger hiessen, nicht nur diese Geschäfte in Rom, sondern auch ambulante Händler, die Urtisti, die Rempler.1 Es handelte sich um Kleinstkaufleute mit Bauchläden, die sich aufdringlich den Fremden näherten und sie anstiessen, um ihnen eine Papstmedaille, ein Pilgerkreuz oder einen Rosenkranz anzudrehen. Diese Geschäftsidee entspricht etwa der auf einem nahöstlichen Basar, wo man ohne Schulterschmerzen nicht durchkommt. Das besondere an diesen Händlern war – sie waren Juden.2 Papst Paul IV. war ein Antisemit avant la lettre, aber reinsten Wassers. Nicht nur, dass er 1553 den Talmud am Campo de‘ Fiori verbrennen liess3, übernahm er aus Venedig die Idee des Einsperrens der Juden in ein Ghetto, das er zusammen mit anderen diskriminierenden Massnahmen in der Bulle „Cum nimis absurdum“ (1555) niederschreiben liess. Eine der Bestimmungen lautete, dass Juden nur noch minderwertige Tätigkeiten ausführen durften, wie etwa – den Verkauf von Devotionalien.4 

 

Über vier Jahrhunderte lang wirbelten die Bauchladenträger durch die Pilgermassen und drehten ihnen allerhand Schmonzes an, Gebetsschnüre wie Medaillen, kleine Bleifiguren, Schnitzereien, zunächst kunsthandwerklich gefertigt, seit dem 19. Jahrhundert billige Fabrikware, später ersetzt durch chinesische Plastikproduktion der üblen Sorte. So erwarb ich in den achtziger Jahren fluoreszierende Engelchen („angeli luceficenti“) mit schön gearbeiteten Unterhosen, erzeugt im Land der Mitte, Preis: 50 Lire pro Stück.

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Demonstration der Urtisti am Petersplatz. Foto: Anonym, ca. 1978. 

Quelle: https://www.albumdiroma.it/microstorie/storie-di-urtisti#:~:text=Gli%20urtisti%20o%20peromanti%2C%20muniti,pellegrini%20in%20visita%20nella%20Capitale.

Die schönen Jahrhunderte für die jüdischen Devotionalienhändler endeten aber nicht mit Mussolini oder Hitler, sondern durch Papst Benedikt XVI., den Mann aus Bayern.5 Sein Vorgänger, Johannes Paul II., hatte 1986 und 2000 Versuche der Vatikanbürokratie vereitelt, die jüdischen Händler vom Petersplatz zu vertreiben, aus Rücksicht auf das Image der katholischen Kirche und ihrer Aussöhnung mit dem Judentum. 2007 liess der Kardinal Giovanni Lajolo verlauten, dass die in einer rechtlichen Grauzone agierenden „Rempler“ vom Petersplatz vertrieben werden, da sie den „decoro urbano“, die Würde der Stadt stören würden. Das taten die christlichen Händler, die später den Platz bevölkerten, offensichtlich nicht. Über die Juden wurde ein Betretungsverbot für den Petersplatz ab 10. Jänner 2008 verhängt.

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Andenkenverkäufer am Petersplatz. Foto: Anonym, ca. 1960. Quelle: https://www.albumdiroma.it/fotografie/urtista-a-piazza-san-pietro-con-lespositore-dei-souvenir

Ausserhalb des Vatikans hätten die jüdischen Händler Arbeitsbewilligungen gebraucht und auch kein Publikum für ihre Ware gefunden. Protestaktionen mit israelischen Fahnen nützten nichts, Benedikt XVI. blieb wie üblich hart („Panzerkardinal“ wurde Ratzinger von den Medien tituliert) und die jahrhundertelange Tradition endete abrupt.6

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Verkaufsstand vor dem Petersplatz, September 2024. Foto: Ingrid Bittner.

Heute, im September 2024, bietet der Petersplatz ein ganz anderes, trauriges Bild. Scharen von chinesischen Touristen stauen sich bei 35 Grad im Schatten (nur gibt es keinen!) vor den Anstellschlangen für den Dom, Händler gibt es keine mehr. Sie wurden verbannt, es gibt noch zwei Stände ausserhalb der Kolonnaden, diese haben aber ihr Sortiment dem bunten Publikum angepasst, jedweder Plastikramsch aus China wird hier feilgeboten. Die jungen Männer an den Verkaufsständen sind mit dem Umsatz unzufrieden, sie freuen sich, weil wir stehenbleiben und fotografieren, die Touristinnen machen ja nur Selfies im Bikini an diesem „heiligen“ Ort.

 

Wir vermeiden den Petersdom und stellen uns für die Vatikanischen Museen an, um uns die Abteilung mit den hebräischen Inschriften anzuschauen. Hier treffen wir wieder die halbnackten Touristinnen, die, allen Kleidervorschriften zum Trotz, ihre Tiktok-Beiträge herstellen. Die freundlichen Inder des Wachpersonals ignorieren sie geflissentlich. Wir fliehen zum Kolosseum, dem zweiten Arbeitsplatz der jüdischen Devotionalienhändler von einst, seit 2015 seitens der Stadtgemeinde von dort vertrieben.7 Selbst wenn sie dürften, könnten sie heute dort nichts mehr verkaufen, der Platz steht voll mit Massen aus Asien, Europa und Afrika, bunt gekleidet, kurze Hosen, Baseballcaps, Rucksack. Heute sind es Schleichhändler aus Nordafrika, die, stets auf der Flucht vor der „polizia locale“, den Touristen gekühlte Wasserflaschen anbieten.

 

Dem allgegenwärtigen „Overtourism“ entkommen kann man durch einen Besuch des jüdischen Viertels.8 Das Museo Ebraico in der Via Catalana liegt in der Nähe von Trastevere und der Tiberinsel auf dem Gelände des ehemaligen Ghettos. Es ist ein traditionelles jüdisches Museum, ohne Schnickschnack und leere Räume, das historische Artefakte zeigt, wie Inschriften, Kultgegenstände und die Schätze der fünf alten römischen Synagogen, ab und zu gibt es auch eine Sonderausstellung. Der monumentale Tempio Maggiore wurde zwischen 1888 und 1904 errichtet und ersetzte die fünf alten Synagogen, die mitsamt dem alten jüdischen Viertel abgerissen wurden. Das Ende des Kirchenstaates hatte der jüdischen Bevölkerung die volle Gleichberechtigung gebracht, selbstbewusst erneuerte sich die Gemeinde der neuen Hauptstadt Italiens. Die Sefarden erhielten 1932, also unter Mussolini, einen kleinen Betsaal für ihren eigenständigen Ritus.9

 

Den Abend kann man dann in einem der koscheren ­Restaurants ausklingen lassen, von denen es in Rom einige gibt10, hier funktioniert die jüdische Gemeinde noch gut und sie lädt auch Touristen zum Gebet ein, wie immer in Italien muss man sich kompliziert anmelden.11 Freilich werden die p.t. Fremden auch gebeten, fleissig zu spenden. Die älteste jüdische Gemeinde der Diaspora und die grösste Italiens ist einen Besuch wert, es gibt viel zu entdecken und die Touristenmassen fliessen normalerweise an diesem Ort vorbei. Auch die für Rom typischen „borseggiatrice“ (Taschendiebinnen), nett anzusehende Mädchen in dunklem Gewande, die immer zu dritt auftauchen, machen einen Bogen um dieses Viertel. 

 

Anmerkungen

1 https://www.juedische-allgemeine.de/allgemein/finito/ abgerufen 01.07.2024.

2 https://www.roma-antiqua.de/forum/threads/devotionalienhaendler-auf-dem-
petersplatz.2785/
2007 abgerufen 30.06.2024.

3 https://www.ucei.it/cenni-storici-sulla-comunita-ebraica-di-roma/ abgerufen 30.06.2024.

4 https://www.juedische-allgemeine.de/allgemein/finito/ abgerufen 01.07.2024.

5 https://www.welt.de/print-welt/article666442/Hitlerjunge-Ratzinger.html
abgerufen 01.07.2024.

6 https://www.juedische-allgemeine.de/allgemein/finito/ abgerufen 01.07.2024.

7 http://www.rainews.it/archivio-rainews/media/Souvenir-vietati-al-Coloseo-

gli-urtisti-occupano-ingresso-Ecco-chi-sono-e-perche-protestano-486f8dbc-

245d-43c5-9110-d3a03d76fc39.html abgerufen 01.07.2024

8 https://romaebraica.it/ abgerufen 02.09.2024.

9 https://museoebraico.roma.it/le-sinagoghe/ abgerufen 02.09.2024.

10 https://romaebraica.it/ristoranti/ abgerufen 02.09.2024 https://www.welt.de/reise/staedtereisen/article237148031/Rom-Ein-Spaziergang-durch-das-juedische-
Viertel.html

11 Formular: https://security.romaebraica.it/?_gl=1*4c9h41*_ga*MjAwNDg2NT
Q4NC4xNzI1ODkwNjcz*_ga_39KJ12EC84*MTcyNTkwMDcxOC4yLjEuMTcyNTkwMDg
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.. abgerufen 08.09.2024.

 

Alle Abbildungen: Mit freundlicher Genehmigung M. Bittner.