E. Randol Schoenberg, der berühmte Anwalt, der die „Goldene Adele“1 in die U.S.A. entführte, ist nach eigener Aussage „Lawyer, Genealogist, Philanthropist“.2
Seit seinem achten Lebensjahr beschäftigt sich E. Randol Schoenberg (geboren 1966 in Santa Monica, California) mit seiner Familiengeschichte und recherchiert dafür in Archiven, Bibliotheken und auf Friedhöfen. Jetzt ist er auch noch Filmemacher geworden, Fioretta heisst der über zwei Stunden lange Dokumentarfilm über seine Wurzeln in Europa,3 der am 23. März 2024 die österreichische Erstaufführung im Wiener Metro-Kino erlebte, natürlich in Anwesenheit von Randy Schoenberg; Regie führte Matthew Mishory.4
Vorweg – Randy ist kein Schauspieler, aber das verleiht dem dokumentarischen Streifen erhöhte Authentizität. Er reist im Film – und in der Realität – von Los Angeles nach Wien, dann nach Tschechien und nach Italien, den umgekehrten Weg also, den die früheren Generationen seiner Familie genommen haben, bis sein Grossvater, der berühmte Komponist, sich in den U.S.A. niederliess. Die COVID-Pandemie hatte das Projekt erst ermöglicht: es gab für einen Advokaten nicht viel zu tun und im Sommer 2021 konnten die Schoenbergs wieder reisen. Endpunkt dieser Reise war Venedig, wo Randy Schoenberg Fioretta entdeckte, eine Urmutter im wahrsten Sinn, die er als Ursprung seiner Familiengeschichte fixierte.
Genealogen sind ein buntes Volk, wir lernen einige davon auf dieser Reise in die Vergangenheit kennen, die Schoenberg mit seinem Sohn Joey unternommen hat. Die Idee zu diesem Film kam Randy, als er mit seiner Cousine Serena Nono (der Tochter des venezianischen Komponisten) sprach, die meinte, seine Familiengeschichte würde einen interessanten Film abgeben.5 Überraschend ist die Tatsache, dass Arnold Schönberg, der übermächtige Grossvater, kaum vorkommt – den Hauptteil bildet dessen mütterliche Vorfahrenlinie, die auf die titelgebende Venezianerin zurückgeht. Fioretta lebte im 16. Jahrhundert und war mit dem berühmten Rabbiner Eliyahu Menachem Halfon verheiratet, ihr Grabstein steht nach wie vor auf dem Friedhof am Lido von Venedig.6 Da wäre auch ein zweiter, noch berühmterer Rabbiner, der ein Vorfahre von Randy war, nämlich Jehuda Löw ben Bezalel, der Maharal von Prag7 und angeblicher Erzeuger des Golem. Doch das ist nichts Besonderes: es gibt etwa eine Million Menschen, die sich heute noch als seine Nachkommen ansehen.8
Der Holocaust kommt im Film nur am Rande vor, eine Ausnahme bei jüdischen Familiengeschichten: eines der herausstechenden Merkmale dieser Familien(hi)story ist der positive Zugang. Es werden nicht, wie üblich, Verluste beklagt und die Diaspora wird nicht als Makel gesehen, sondern der Film strahlt eine optimistische Grundhaltung aus – seht her, was wir für eine tolle Familie sind, wie wir unter schwierigen Bedingungen über 500 Jahre nicht nur überlebt, sondern Bleibendes geschaffen haben.
Dabei versinkt Randy Schoenberg nicht in Selbstverliebtheit und stellt seine eigene, herkulische Forschungsleistung nicht ins Rampenlicht, er bleibt bescheiden und distanziert. Dieser Film hat mich wie ein elektrischer Schlag erwischt – ich, Historiker mit vielfachen Interessen, muss mich jetzt endlich mit meiner eigenen Familiengeschichte beschäftigen und so wie Randy Schoenberg nach Lundenburg fahren, um dort die Gräber meiner Ahnen aufzusuchen, muss in Archive gehen und Material sammeln. Keine Sorge, einen Dokumentarfilm wie bei Schoenberg wird es aber sicher nicht geben – mein family tree9 ist eine schwache Pflanze, die schon im 18. Jahrhundert abbrechen wird.
Werden wir von Randy Schoenberg wieder einmal Neues hören? Gibt es bald wieder einen spektakulären Restitutionsfall? Es sieht so aus, dass er einen Blick auf ein Klimt-Gemälde in Wien geworfen hat, warten wir ab, was in den nächsten Monaten passieren wird. Auffällig oft ist er in den letzten Monaten im Lande gewesen, auch um die Veranstaltungen zum 150. Geburtstag von Arnold Schoenberg zu besuchen (sowie einige Konditoreien). Bis dahin können wir uns Fioretta anschauen und Ahnenforschung betreiben.
Anmerkungen
1 Der Film „Woman in Gold“ mit Helen Mirren basiert auf seiner Version dieser Ereignisse (2005/2006); https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Frau_in_Gold_(2015) abgerufen 23.08.2024.
2 Instagram @randyschoenberg abgerufen 21.03.2024.
3 https://www.imdb.com/title/tt15846788/ abgerufen 21.03.2024.
4 https://www.viennafilmcommission.at/de/production/finding-fioretta/ abgerufen 27.08.2024.
5 Interview mit Randy Schoenberg https://www.youtube.com/watch?v=z4b49m9gYuk&t=3469s abgerufen 17.08.2024.
6 https://www.timesofisrael.com/in-fioretta-a-father-and-son-euro-road-trip-into-500-years-of-jewish-family-history/ abgerufen 17.08.2024.
7 https://www.spektrum.de/lexikon/juedische-philosophen/jehudah-loew-von-prag/97 abgerufen 27.08.2024.
8 https://www.youtube.com/watch?v=KZVb9Sdfaac Minute 47; abgerufen 17.08.2024.
9 Schoenberg publiziert auf www.geni.com, siehe https://www.youtube.com/watch?v=W-q1vvKJCHE
Joey und Randy Schoenberg, Filmstill. https://www.latimes.com/entertainment-arts/movies/story/2023-12-01/fioretta-review-randy-schoenberg-arnold-venice-documentary
Schoenberg mit Maria Altmann. https://paw.princeton.edu/article/return-treasure
Alle Abbildungen: Mit freundlicher Genehmigung M. Bittner.