Monika Kaczek
Renate S. Meissner im Auftrag des Nationalfonds der Republik Österreich (Hg.): Erinnerungen. Lebensgeschichten von Opfern des Nationalsozialismus.
Exil in Neuseeland (Band 7/1, Band 7/2), Deutsch/Englisch.
ÜbersetzerInnen: Sarah Fink, Otmar Binder.
Wien: Nationalfonds der Republik Österreich 2023.
596 Seiten (insgesamt), kartoniert, mit zahlreichen Abbildungen, Euro 19,90.-
ISBN: 978-3-9504794-4-7
Wie die vorhergehenden sechs Bände der Buchreihe Erinnerungen. Lebensgeschichten von Opfern des Nationalsozialismus widmet sich das zweibändige Werk der Frage, wie es Menschen ergangen ist, die auf der Flucht vor dem Nationalsozialismus in Exilländer emigrierten. Exil in Neuseeland enthält 20 Lebensgeschichten, manche autobiographischer Natur, andere Biographien, die einzigartige Schicksale nachzeichnen. Neben einem einleitenden Artikel der Herausgeberin Renate S. Meissner zur Emigration in das Land der langen weissen Wolke – so nannten die Maori den Archipel im Südpazifik – enthält die Publikation einen Gastbeitrag der Kultur- und Sozialanthropologin und ehemaligen Präsidentin der Österreichisch-Südpazifische Gesellschaft Margit Wolfsberger, die im Zuge mehrerer Forschungsaufenthalte die österreichische Migration nach Ozeanien untersucht und viele ehemalige österreichische jüdische Flüchtlinge zu ihrem Exil befragt hat.
Während der Buchpräsentation am 24. Mai 2023 waren mit Annette Offenberger (Neuseeland) und Dkfm. Peter Sunley (Neuseeland) zwei Nachkommen von EmigrantInnen anwesend. Annettes Offenbergers Vaters Hans (John) Offenberger wurde 1920 in Wien als einziges Kind einer jüdischen Familie geboren. Am 9. November 1938 wurde er im Zuge der Novemberpogrome verhaftet und blieb sieben Wochen im KZ Dachau inhaftiert. Während der Fahrt ins Lager war ein
„SS-Mann jeweils für einen halben Abteilwagen. Sie zwangen uns, in die elektrische Beleuchtung zu starren, und wenn jemand die Augen schloss, wurde er vom SS-Offizier mit einem Hieb geweckt. (…) Einige überlebten die Fahrt nicht. Als wir in Dachau ankamen, wurden wir als Erstes an diesen Leichen vorbeigeführt und gefragt, ob wir sie identifizieren konnten. So begann mein Aufenthalt in dem Konzentrationslager, wo ich als Sch J 24033 KZ Dachau geführt wurde.“ (Band 1, S. 238)
Nach der Entlassung gelang die Flucht nach Dänemark und später nach England. Mit Hilfe eines Universitätsstipendiums konnte Hans Offenberger 1940 nach Neuseeland auswandern, wo er eine erfolgreiche Karriere im Bildungswesen einschlug. Seinen Eltern, denen die Flucht nach Bolivien gelang, zogen 1947 nach Neuseeland. Hans Ofenberger starb 1999.
Peter Sunley, der in Neuseeland geboren wurde, kehrte mit seiner Familie in den 1950er Jahren wieder nach Österreich zurück, wo er früher als Honorargeneralkonsul von Neuseeland in Österreich tätig war. Sein Vater Heinz Suschny (Henry Sunley) wurde 1915 in eine wohlhabende Wiener Familie geboren, die eine Metallwarenfabrik besass. Nach der Matura begann er ein Maschinenbaustudium an der TU Wien. Im Juli 1938 erhielt Henry Sunley sein Abgangszeugnis und floh über Italien in die Schweiz. Von dort half ihm ein Freund zu einer Überfahrt nach Neuseeland, wo im Juli 1943 Peter geboren wurde. Henry Sunley war zunächst als technischer Zeichner und später als Ingenieur in Sydney tätig. Seine Eltern sowie ein Onkel und eine Tante, die nach Chile flüchten konnten, kehrten 1952 nach Österreich zurück. Während eines Besuchs in Wien wurde Henry Sunley von seinem Vater angeboten, die „arisierte“ Firma, die rückgestellt wurde, zu übernehmen. So übersiedelte die Familie nach Wien und Peter Sunley erinnert sich an die Zeit:
„Besonders für meine Mutter war dies eine riesige Umstellung, nicht nur das Villenviertel in den Aussenbezirken von Sydney zu verlassen, sondern in das graue Nachkriegswien, wo überall noch Einschüsse an den Hausmauern sichtbar waren“ zu gelangen. (Band 2, S. 202)
Zur Herausgeberin
Renate S. Meissner beendete 1995 ihr Studium der Ethnologie und der Judaistik (Dr. phil.) in Wien und schloss 2007 einen Lehrgang für Supervision, Coaching und Organisationsentwicklung (MSc) ab. Seit 1995 ist sie stellvertretende Generalsekretärin des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus, wo sie für den Mitaufbau der Organisation, insbesondere Gestaltung und Umsetzung des Leitkonzepts des Umgangs mit den Opfern des Nationalsozialismus tätig war. Von 2001 bis 2019 war sie Bereichsleiterin des Nationalfonds und für die Abwicklung der im Washingtoner Abkommen geregelten Mietrechtsentschädigung zuständig. Seit 2006 ist sie wissenschaftliche Leiterin des Nationalfonds und gestaltete Konzeption und Implementierung eines Wissenserhaltungsprozesses im Allgemeinen Entschädigungsfonds. Von 2003 bis 2019 war sie Personalleiterin des Nationalfonds und des Allgemeinen Entschädigungsfonds. Seit 2019 stellt sie die Leitung des Bereichs Wissenschaft, Gedenken und Vermittlung.
Renate Meissner ist auch die Herausgeberin der Buchreihe Erinnerungen. Lebensgeschichten von Opfern des Nationalsozialismus, wo bis jetzt sieben Bände erschienen sind: Band 1: Opfergruppen, Band 2: Das Jahr 1942, Band 3: Exil in Afrika, Band 4: Exil in Asien (dreiteilig), Band 5: Exil in Australien (dreiteilig), Band 6: Überleben in Auschwitz (zweiteilig), Band 7: Exil in Neuseeland (zweiteilig). (Siehe: https://www.nationalfonds.org/buchbestellungen)