Anlässlich der Benennung des Moshe-Jahoda-Platzes im Jahr 2018 wurde von der Bezirksvertretung Rudolfsheim-Fünfhaus beschlossen, auch eine Liste der während der Shoah ermordeten jüdischen MitbürgerInnen zu erstellen und zu veröffentlichen.
Eine Liste der während der Shoah ermordeten jüdischen MitbürgerInnen sollte in unmittelbarer Nähe des Moshe-Jahoda-Platzes und der dort befindlichen Gedenkstätte für die am 9. November 1938 zerstörte Synagoge der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Gemeinsam mit den bereits vorhandenen Einrichtungen würde sie einen Schwerpunkt des Gedenkens im 15. Wiener Gemeindebezirk bilden. Nach Vorberatungen in der Kulturkommission und entsprechenden Gesprächen mit dem damaligen wissenschaftlichen Leiter des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes (DÖW), Dr. Gerhard Baumgartner, wurde der Museumsverein des Bezirks mit der Umsetzung des Vorhabens beauftragt. In beinahe einjähriger Forschungsarbeit wurden daraufhin vom DÖW 1.050 Namen von Opfern der Shoah aus Rudolfsheim-Fünfhaus ermittelt.
Eine zeitmässe Form der Veröffentlichung zu finden erwies sich jedoch als nicht einfach. Von allen in Stein gehauenen oder dauerhaft angebrachten Präsentationsformen wurde seitens der ForscherInnen abgeraten. Die Erfahrung hatte gezeigt, dass nachträglich beinahe immer mit Änderungen in der Namensschreibung oder Einwänden von Hinterbliebenen zu rechnen ist und die dadurch notwendigen Ausbesserungen das Erscheinungsbild sehr beeinträchtigen. Eine digitale Form wäre für dieses Vorhaben am besten geeignet. Dagegen sprach jedoch das sehr steril und trotz aller menschlichen Kreativität maschinell wirkende Erscheinungsbild dieser Art von Präsentation.
Als Basisforderung hat sich somit recht bald die unbedingt erforderliche menschliche Nähe zu den Namen und damit zu den Ermordeten herausgestellt. Dadurch wiederum hat sich die Kunstform der Kalligraphie beinahe von selbst angeboten. Die Namen sollten also von Hand kalligraphiert werden. Nach tiefen und eingehenden Gesprächen mit der hauptberuflichen Kalligraphin und bildenden Künstlerin Eva Pöll fiel die Schriftwahl auf die Humanistische Kursive. Die heute sehr beliebte Antiqua kam nicht in Frage, da die Nationalsozialisten 1941 auf diese Schrift umgestiegen waren, nachdem sich Kurrent und Fraktur in den besetzten Gebieten als unleserlich herausgestellt hatten. Der Ruf dieser beiden Schriften wurde nachhaltig ruiniert, die Antiqua ist diesem Schicksal entgangen.
Ein Gedenkbuch in Humanistischer Kursive sollte daher den Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen bilden. Das Problem der Digitalisierung blieb damit jedoch bestehen – bis zu einem Gespräch mit dem in der Reindorfgasse im 15. Bezirk aktiven Filmemacher Daniel Zimmermann. Er verwies auf einen von ihm konzipierten Viewer, dessen Einsatz im öffentlichen Raum sich bereits bewährt hatte. Dieses eigenartige, in der Landschaft stehende Ding würde immer Neugier erwecken und die Menschen veranlassen durchzublicken, da es stark an die früher an vielen Plätzen aufgestellten, festmontierten Ferngläser erinnert. Das Thema einer Veröffentlichung der Namensliste der Shoah-Opfer hat den Filmemacher von Anfang an fasziniert, zumal sich bald herauskristallisierte, dass eine solche Liste vor allem die Schönheit der Namen und des vernichteten jüdischen Lebens wiedergeben sollte. Als Ergebnis der intensiven Gespräche kristallisierte sich immer mehr ein aus den Blumen des Bezirks zusammengesetztes Kaleidoskop heraus. Davor erscheinen die eingescannten, kalligraphierten Namen. Das erste Bild zeigt die in der Reichspogromnacht niedergebrannte Synagoge. Sie ersteht im virtuellen Raum wieder und wird in das aktuelle Stadtbild eingefügt.
Damit war auch eine Form der digitalen Veröffentlichung gefunden. In einem Gespräch mit dem Wiener Oberrabbiner Jaron Engelmayer wurden die einzelnen Teile zusammengefügt, und das Vorhaben begann Gestalt anzunehmen. Eine passende Schriftstelle aus den Sprüchen der Väter: „Drei Kronen gibt es …und die Krone des guten Namens übertrifft sie alle“ (Pirke 4/17 Awot) gab der fertigen Arbeit auch ihre Bezeichnung: Die Krone des guten Namens. Das Gedenkbuch wird in Zukunft im Bezirksmuseum aufliegen und der Viewer als Medium der Sichtbarmachung der „Krone des guten Namens“ im Dingelstedtpark aufgestellt werden. Genau an djenem Ort, an dem auch das historische Foto der Synagoge am heutigen Moshe-Jahoda-Platz entstanden ist.
Nach fünf mit arbeitsreichen und mit intensiven Gesprächen ausgefüllten Jahren konnte das fertige Projekt am 15.11.2023 im Festsaal der Bezirksvorstehung Rudolfsheim-Fünfhaus in Anwesenheit von Oberrabbiner Jaron Engelmayer, Bezirksvorsteher Dietmar Baurecht, den KünstlerInnen Eva Pöll und Daniel Zimmermann, sowie zahlreichen Gästen und BezirksmandatarInnen präsentiert werden. Für die musikalische Umrahmung mit den Werken vertriebener Komponisten sorgten der Musikforscher und Cellist Peter Illavsky und das Vienna Philharmonic Orchester.
Zum Autor
Alfred Mansfeld ist Vorsitzender des Museumsvereins Wien 15.
Die Künstlerin Eva-Pöll bei der Arbeit am Gedenkprojekt. Foto: Peter Jäger.
Von li.: Zimmerman, Engelmayer, Baurecht bei der Projektpräsentation in der Bezirksvorstehung. Foto: Peter Jäger.
Textgestaltung des Gedenkprojekts Die Krone des guten Namens. Foto: Eva Pöll.
Illustration zum Projekt Die Krone des guten Namens. Foto: Eva Pöll.
Alle Abbildungen: Mit freundlicher Genehmigung Museumsverein Wien 15.