In St. Pölten gibt es eine schön restaurierte Synagoge, aber keine Juden mehr – Hans Morgenstern ist gestorben. Er war der letzte Überlebende der Shoah aus der niederösterreichischen Hauptstadt.
Seine Familie stammte aus Mähren. So, wie es im 19. Jahrhundert üblich war, verliess man das ungastliche Land und zog nach Österreich, wie es auch die Schönbergs, die Freuds und meine eigene Familie taten. Morgensterns liessen sich in der Kremsergasse nieder, Egon Morgenstern, der Vater, war Anwalt und der am 11. Dezember 1937 geborene Hans gerade drei Monate alt, als sich der „Anschluss“ vollzog und die jüdische Welt zerbrach.
Die Familie seiner Mutter fiel der Shoah zum Opfer, doch konnten seine Eltern mit dem kleinen Hans über Basel und Triest 1939 nach Tel Aviv gelangen und so überleben.1 Hans wuchs in Tel Aviv gemeinsam mit seinem Cousin Hans Jochi Kohn auf, sein Vater fand schlussendlich eine Anstellung in der Bibliothek des British Institute, die Familie (typische Jekkes) wurde aber in Israel nicht heimisch und kehrte 1947 über Ägypten und Venedig nach Österreich zurück. Die Nazis hatten noch Berufsverbot, also konnte Egon Morgenstern sich als Anwalt in St. Pölten etablieren. Es hatte sich nicht viel verändert, der Beamte, der die Arisierungen geführt hatte, war jetzt für die Restitutionen verantwortlich.
Nach 1945 gab es in St. Pölten keine jüdische Gemeinde mehr, doch Hans erhielt die Erinnerung an sie aufrecht, indem er Fotos von Toten und Überlebenden sammelte, für die Zukunft. Antisemitismus erlebte er selbst erst vor kurzem, als ein Unbekannter ein Hakenkreuz an seine Tür schmierte – er meinte „Totschweigen sei die ärgste Strafe für die.“2 Er war auch der Retter der zum Abbruch freigegebenen Synagoge der Stadt, die heute ein architektonisches Schmuckstück darstellt.3
Beruflich war Dr. Morgenstern Mediziner, spezialisiert auf Dermatologie, war gern gesehener Gast in der St. Pöltner Gastronomie und ein begnadeter Schachspieler. Als Autor schuf er ein Biografisches Lexikon bedeutender Persönlichkeiten jüdischer Herkunft, das 2011 in einem Wiener Verlag erschien.4
Hans Morgenstern war als Zeitzeuge ein gefragter Gesprächspartner5, der den Grundsatz vertrat: „Nicht vergessen, was gewesen ist. Das ist eigentlich der Sinn von dem Ganzen“6, wie er bei der Veranstaltung am 24. September 2019 im Haus der Geschichte sagte. תנוח על משכבך בשלום.
Anmerkungen
1 https://www.museumnoe.at/de/das-museum/blog/hans-morgenstern abgerufen 24.11.2023
2 A.a.O.
3 http://www.juden-in-st-poelten.at/de/personen/memorbuch/hans-morgenstern abgerufen 24.11.2023
4 https://www.noen.at/st-poelten/nachruf-st-poeltner-ehrenzeichentraeger-hans-morgenstern-ist-verstorben-396299380 abgerufen 24.11.2023 Zum Buch: https://www.lit-verlag.de/isbn/978-3-8258-0509-8
5 Siehe das ORF-Interview https://noe.orf.at/v2/news/stories/2900627/ abgerufen 24.11.2023
6 https://www.museumnoe.at/de/das-museum/blog/hans-morgenstern abgerufen 24.11.2023
https://celum.noeku.at/pinaccess/showpin.do?pinCode=capUfLEpm3tw
https://www.buchkatalog.de/juedisches-biographisches-lexikon-9783825805098
Abgerufen 24.11.2023