Ausgabe

Im Schatten der heiligen Schwester Zum 140. Geburtstag von Rosa Stein (1883–1942)

Christoph Tepperberg

Rosa Stein war eine leibliche Schwester von Edith Stein, der 1998 heiliggesprochenen Karmelitin Teresia Benedicta a Cruce

Inhalt

Die beiden Schwestern wurden zusammen mit vielen anderen vom Judentum zum katholischen Glauben konvertierten Christen am 9. August 1942 im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ermordet. Über die Heilige Teresia Benedicta vom Kreuz, Dr. Edith Stein (1891–1942) gibt es viele Veröffentlichungen.1 Weit weniger bekannt ist der Lebensweg ihrer älteren Schwester Rosa, die der Heiligen Teresia Benedicta auf den Weg des Glaubens und ins Martyrium folgte. 

 

Herkunft und Familie 

Rosa Stein wurde als eines von elf Kindern am 13. Dezember 1883 zu Lublinitz in Oberschlesien (Lubliniec/Polen) in eine traditionell jüdische Familie hineingeboren. Beide Eltern entstammten schlesischen Kaufmannsfamilien. 1890 übersiedelte die Familie nach Breslau (Wrocław/Polen). Siegfried Stein hatte einen Handel mit Holz, Baustoffen und Kohle betrieben, war aber bereits am 10.7.1893 bei einem Arbeitsunfall zu Tode gekommen. Der energischen und geschäftstüchtigen Witwe Auguste Stein geb. Courant gelang es jedoch, den verschuldeten Holzhandel zu einer angesehenen Firma hochzubringen und allen Kindern eine solide Ausbildung zu ermöglichen. Eine Ausnahme machte Rosa: 

„(...) Sie war von allen Kindern am schwersten zu erziehen. Obwohl sie durchaus nicht schlecht begabt war, war sie immer eine schlechte Schülerin.“ (Edith Stein) 

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 Portrait von Rosa Stein (1883–1942), aus: Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts. Herausgegeben von Helmut Moll, Paderborn: 2019, mit freundlicher Genehmigung.

 

Ab 1897/98 arbeitete die 14-Jährige gemeinsam mit ihrer zwei Jahre älteren Schwester Frieda im mütterlichen Haushalt. Rosa zeigte keine Neigung zu einen bestimmten Beruf. So wurde sie nach Abschluss des Viktoria-Lyzeums in Breslau (Oberschule für Mädchen) von ihrer Mutter für ein Jahr zu ihren Tanten nach Lublinitz geschickt, wo sie die Hauswirtschaft lernen sollte. Die Zeit in Lublinitz behielt Rosa Stein in glücklicher Erinnerung. Die Tanten umsorgten sie liebevoll und schenkten ihr Geborgenheit. In den mütterlichen Haushalt zurückgekehrt, wurde Rosa zu einer mustergültigen Hausfrau und talentierten Köchin. Zudem betreute sie ehrenamtlich städtische Waisenkinder. Rosa besass offenbar nur wenig Humor, nahm das Leben und ihre Pflichten sehr ernst und war wohl kein ausgeglichener, selbstbewusster und glücklicher Mensch.

 

Glaube, Konversion und Taufe

Während die Mutter Auguste Stein tief im Judentum verwurzelt blieb, lösten sich ihre Kinder weitgehend von der alten Glaubenspraxis. Beeinflusst von ihrer Schwester Edith suchte auch Rosa den Kontakt zur katholischen Kirche. Sie besuchte in Breslau die Frühmesse und begleitete ihre Schwester Edith bei Besuchen zu verschiedenen Klöstern, und im Kölner Karmel fühlte sie sich ganz zu Hause.  Um die Gefühle ihrer Mutter nicht zu verletzen, verzichtete Rosa auf Anraten ihrer Schwester zunächst auf die Taufe. Am 14.9.1936 starb nach langem Leiden ihre Mutter Auguste Stein. Am 24. Dezember 1936 wurde Rosa in der Kirche des St.-Elisabeth-Krankenhauses zu Köln-Hohenlind auf die Namen Rosa Maria Agnes Adelheid getauft und damit auch sichtbar zur katholischen Christin. 

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Stolperstein in der Werthmannstrasse vor dem St. Elisabeth-Krankenhaus Köln-Hohenlind.

 

Ausgrenzung, Verfolgung und Emigration

Als Jüdin wurde Rosa Stein die Betreuung der Waisenkinder in Breslau entzogen, worunter sie sehr gelitten hat. Einem Teil der Familie Stein gelang 1939 die Flucht aus Nazi-Deutschland in die U.S.A., nach Norwegen und Kolumbien. Edith und Rosa erwartete ein anderes Schicksal. Teresia Benedicta gelang am 31. Dezember 1938 die legale Ausreise nach Holland zu den Karmelitinnen in Echt (Provinz Limburg).

 

Nun versuche auch Rosa zu emigrieren. Sie war mit einer Terziarin (Laienschwester) des Karmelordens in Verbindung gekommen, die in einem Dorf in Belgien (Roclenge-sur-Geer, Provinz Luik) ein verlassenes Herrengut gepachtet hatte, um dort eine neue geistliche Gemeinschaft zu gründen. Im Mai 1939 kam Rosa mit Möbeln, Wäsche und Geschirr dort an, musste aber erkennen, dass sie einer Phantastin oder Schwindlerin aufgesessen war. Sie verlor dort ihre gesamte Habe. 

Es gelang schliesslich, Rosa aus Belgien herauszubringen. Am 1. Juli 1939 tauchte sie zur Erleichterung aller, allerdings mit nur kleinem Handgepäck, im Echter Karmel auf. Am 25. Juni 1941 legte Rosa die Gelübde als „Mitglied des III. Ordens Unserer Lieben Frau auf dem Berge Karmel“ ab. Zu ihrer Freude wurde sie nun als Laienschwester im Bereich der Klosterpforte beschäftigt. Ausserdem versah sie den Dienst der Küsterin. Sie arbeitete sehr zuverlässig und war bei den Schwestern der Kommunität, bei Gästen und Nachbarn äusserst beliebt. Edith erteilte ihr einmal wöchentlich Unterricht. Edith und Rosa lebten weder in Köln noch in Echt gemeinsam im Konvent, denn Rosa war, anders als ihre Schwester Edith, keine unbeschuhte Karmelitin.

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Stolperstein vor dem Karmelitinnenkloster in Echt-Susteren.

Registrierung, Deportation und Martyrium in Auschwitz 

Im Mai 1940 wurden die Niederlande von NS-Deutschland besetzt. Im Dezember 1941 mussten sich Edith und Rosa zur Emigration anmelden und liessen sich im guten Glauben als emigrationswillige Jüdinnen bei der Gestapo in Maastricht als „Nichtarier“ registrieren. Im Juli 1942 endlich erklärte sich der Karmel zu Le Pâquier in der Schweiz bereit, Edith aufzunehmen, Rosa sollte zunächst gar nicht, dann schliesslich bei den Terziarinnen unterkommen. Doch es war zu spät. Als Vergeltung für einen mutigen Hirtenbrief der holländischen Bischöfe gegen die NS-Besatzer, der am 26.7.1942 in allen katholischen Kirchen der Niederlande verlesen worden war, liess man in allen holländischen Ordenshäusern 244 zum Katholizismus konvertierte „Nichtarier“, darunter auch Rosa und Edith Stein, von der Gestapo festnehmen. 

 

Als die beiden am 2. August 1942 verhaftet wurden, nahm Teresia Benedicta ihre Schwester an der Hand und sagte: „Komm, wir gehen für unser Volk!“ Sie wurden zunächst über das Durchgangslager Amersfoort (Provinz Utrecht) in das Sammellager Westerburg (Rheinland-Pfalz) deportiert, wo Rosa am 4. August ihren letzten überlieferten Brief verfasste. Am 7. August 1942 ging die Fahrt weiter ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Die Schwestern kamen am 9. August 1942 in Auschwitz an und wurden noch am selben Tag zusammen mit anderen jüdischen Ordensschwestern und Mitbürgerinnen aus Holland durch Giftgas ermordet. 

 

„Das Deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts“ führt Rosa Stein als „Glaubenszeugin“ an. Der Künstler Gunter Demnig verlegte 2015 zum Gedenken an Rosa Stein einen „Stolperstein“ vor dem St. Elisabeth-Krankenhaus zu Köln-Hohenlind. Ein weiterer „Stolperstein“ wurde in den Niederlanden vor dem Karmelitinnenkloster zu Echt-Susteren verlegt.

 

Unter den fast 1.000 im „Martyrologium des 20. Jahrhunderts“ erfassten Biographien befinden sich mehrere Ordensschwestern, die vom Judentum zum katholischen Glauben konvertiert waren: Dr. Edith Stein (1891–1942), die unbeschuhte Karmeliterin Sr. Teresia Benedicta a Cruce, Seligsprechung 1987, Heiligsprechung 1998; Rosa Stein (1883–1942) vom Dritten Orden Unserer Lieben Frau vom Berge Karmel, Klosterpförtnerin; Luise Löwenfels (1915–1942), Sr. Maria Aloysia von der Gemeinschaft der Armen Dienstmägde Jesu Christi; Dr. Lisamaria Meirowsky (1904–1942), Maria Magdalena Dominika vom Dritten Orden des Hl. Dominikus; dazu die Laiin Elvira Sanders-Platz (1891–1942). Sie alle wurden am 9./10. August 1942 in Auschwitz zu Opfern des Holocaust.

 

 

Anmerkungen

1 Vgl. zuletzt DAVID, Heft 132 – 04/2022.

2 Ein besonderer Dank gilt Herrn Prälaten Prof. Dr. Helmut Moll (Köln), Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für das Martyrologium des 20. Jahrhunderts, für seine Richtigstellungen zum Artikel „Der alte jüdische Friedhof von Breslau“ (DAVID, Heft 136, Pessach 5783/April 2023) in einem E-Mail vom 19. April 2023 an die Redaktion. Diese Richtigstellungen wurden im vorliegenden Beitrag berücksichtigt.

 

Nachlese

Carla Jungels: Rosa Stein. In: Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts. Herausgegeben von Helmut Moll im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz, 7., überarbeitete und aktualisierte Auflage. 2 Bde. Paderborn: 2019, S. 414–418 (Rosa Stein), S. 1078–1083 (Edith Stein).

Ekkart Sauser: STEIN, Rosa, Adelheid: Schwester der hl. Edith Stein. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL), Band XIX (2001), Spalten 1337-1339. 

Christoph Tepperberg: Die Heilige Teresia Benedicta. Jüdin, Philosophin und Märtyrerin von Auschwitz. Zum 80. Todestag von Dr. Edith Stein (1891–1942). In: DAVID Heft 122 – 04/2022; (https://davidkultur.at/artikel/die-heilige-teresia-benedicta-juedin-philosophin-und-maertyrerin-von-auschwitz-zum-80-todestag-von-dr-edith-stein-18911942).

Christoph Tepperberg: Rezension zu „Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts.“ Herausgegeben von Helmut Moll im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz, 7., überarbeitete und aktualisierte Auflage. 2 Bde. Paderborn: 2019. (https://davidkultur.at/buchrezensionen/zeugen-fuer-christus-das-deutsche-martyrologium-des-20-jahrhunderts).

Rosa Stein. In: Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Rosa_Stein).