Christoph Tepperberg
Andreas Benk: Christentum, Antisemitismus und Schoah.
Warum der christliche Glaube sich ändern muss.
Ostfildern: Matthias-Grünewald-Verlag 2022.
268 Seiten, gebunden, Euro 29,00.-
ISBN: 978-3-7867-3319-5
Der katholische Theologe und „Linkspolitiker“ Andreas Benk geht mit dem Christentum, „seiner“ Kirche und ihren getauften Christen hart ins Gericht. Das Buch ist in sieben Kapitel gegliedert. In der Einführung „Ist das Christentum noch die Botschaft Jesu?“ (S. 9-20) formuliert Benk zunächst seine kritischen Thesen. Diese einführenden Postulate werden in der Folge ausführlich begründet und quellenmässig vertieft. (S. 21-231) Wegen der Gleichgültigkeit gegenüber dem Nächsten, dem Schicksal der Armen und Verfolgten hätten Kirche und Christen auch den Holocaust geschehen lassen: „Unsere weitgehende Teilnahmslosigkeit angesichts unermesslichen Leids weckt die Erinnerung an christliches Versagen in der Schoa.“ Der Massstab der Bibel: „Tief empfundenes Mitgefühl und unverbrüchliche Solidarität mit den Leidenden, Verfolgten und Ausgegrenzten haben sich unwiderruflich in die biblischen Texte eingeschrieben.“ – „Wo Ungerechtigkeit regiert, so der Prophet Amos, werden Kult und Gottesdienst zum verlogenen Schauspiel.“ (S. 11-12)
Die These von der jesuanischen Inklusion zur christlichen Exklusion: „Würden die christlich Getauften den biblischen Messstab beherzigen, könnten sie fremdes Leiden nicht teilnahmslos geschehen lassen [...].“ Bank zitiert dazu den Holocaust-Überlebenden, Schriftsteller und Nobelpreisträger Elie Wiesel (1926-2016) mit der schlichten Frage: „Ist das, was ihr Christentum nennt, [noch] die Botschaft Jesu?“ Die exklusive christliche Strategie der Selbstbestätigung und Selbstbehauptung auf Kosten Anderer richtete sich als erstes gegen das Judentum. Christliche Identität bestimmte sich von Anfang an als antijüdisch. Der evangelische Neutestamentler Klaus Wengst nennt dies den „Geburtsfehler“ des Christentums. Judenfeindlichkeit, die immer wieder zu Gewaltexzessen führte, blieb fortan im christlichen Selbstverständnis tief verwurzelt und überdauert die Jahrhunderte.“ (S. 13-14) In seinem umfangreichsten Kapitel „Unheilvolle Exklusivansprüche“ vertieft Benk die Wirkung dieses Exklusivitätsanspruchs. (S. 123-188) Kirchliche Schuld an der Shoah: „Die überkommene christliche Judenfeindlichkeit machte christlich geprägte Gesellschaften empfänglich für rassistischen Antisemitismus und erstickte Mitgefühl und Mitleiden mit den verfolgten jüdischen Mitmenschen schon im Keim.“ – „Sich allein auf das Versagen der Kirchen zur Nazizeit zu konzentrierten, verdeckt die tiefen Wurzeln christlicher Judenfeindlichkeit und verhindert die notwendigen Lehren aus ihren monströsen Folgen zu ziehen.“ (S. 14-15) Angesichts des Judenhasses und des Antisemitismus, der Teilnahmslosigkeit und Passivität, des Schweigens des Papstes, ja selbst der aktiven Mittäterschaft von Christinnen und Christen, tut sich die Frage auf: „Was bleibt von diesem Christentum, das bis in seinen Wesenskern hinein von Judenfeindlichkeit infiltriert ist, wenn auf jegliche Judenfeindlichkeit radikal verzichtet wird? Wie ist christliches Selbstverständnis möglich, das keinerlei antijüdische Affekte impliziert oder auch nur begünstigt?“ (S. 81) Um sich einem solchen Christentum zu nähern, schlägt Benk seiner Kirche den schwierigen Weg vor, vom blossen Gedenken an die Opfer endlich zum offenen, vorbehaltslosen Eingeständnis ihrer Schuld zu kommen. (S. 91) Grund dafür sei der Exklusivanspruch der Kirche, was nach erfolgten Veränderungen zu Widersprüchen führen müsse: Das Judentum als „bleibendes Volk Gottes“ zu würdigen, zugleich aber an der „exklusiven Heilsmittlerschaft Jesu Christi“ festzuhalten, passe nicht zusammen. (S. 21)
Christliche Schuld: Während die Evangelische Kirche Deutschlands 1998 ihre Schuld am Holocaust synodal und öffentlich einbekannte (S. 104-105), verweigert die katholische Kirche bis heute ein Schuldeingeständnis. Benk spricht von den „zwei Entsetzen“. – „Das erste Entsetzen“: Die katholische Kirche zeigt angesichts der Shoah ihr Entsetzen und verleiht diesem durch Rituale auch glaubwürdig Ausdruck. Man besucht Synagogen und Gedenkstätten, bekennt sich zum Judentum als Wurzel des Christentums und verurteilt jeden Antisemitismus auf das Schärfste. In Superlativen wird Entsetzen und Bestürzung über das Geschehene bekundet, aber keine kirchliche Schuld eingestanden.“ – „Das zweite Entsetzen“: Anders verhält es sich freilich mit dem Entsetzen über die kirchliche Schuld. Man weicht der Konfrontation mit der eigenen Schuldgeschichte aus, lenkt ab, relativiert und verweigert ein klares Schuldeingeständnis. Selbst heute findet die Kirche noch nicht die Kraft zu schonungslosen klaren Worten. (S. 105-122)
Thesen zu Revision christlicher Theologie: „Mir scheint, meine Kirche kultiviert das erste Entsetzen“, um das zweite zu unterdrücken und abzuwehren. Denn das Bekenntnis zur Mitschuld an Antisemitismus und Shoah fordert Konsequenzen mit einem hohen Preis, nämlich die Zurücknahme des Anspruchs im Besitz des einzig wahren Glaubens zu sein. Die christliche Theologie steht heute vor der Frage, ob und wie christlicher Glaube angesichts seiner Schuldgeschichte noch gerechtfertigt werden kann und welche Form er annehmen muss, um christliche Existenz glaubwürdig zu begründen. (S. 16, S. 201-227) Im Kapitel „Prinzipien Christlicher Neubestimmung“ formuliert Benk drei Prinzipien, die seines Erachtens zu einer Neubestimmung des Christentums führen können: 1. Verzicht auf Exklusivität, 2. Humanisierung, 3. Entdogmatisierung (S. 189-199) Allerdings wird die Möglichkeit, Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit der geforderten Überwindung und Beseitigung von Dogmen von anderen katholischen Theologen in Frage gestellt. (Paul Petzel)
Das Buch schliesst mit einem zusammenfassenden Bekenntnis und Erkenntnis: Die zu Beginn des Buches von Elie Wiesel gestellte Frage, ob Christentum noch die Botschaft Jesu sei, zwingt zur Entscheidung, ob Christen ihre Identität von der Botschaft Jesu her begründen wollen. Dies bedeute nicht das Ende christlichen Glaubens. Der bleibe zwar möglich, aber eben nur in ausdrücklicher Übernahme der Verantwortung für seine Geschichte, die in den Abgrund der Shoah führte. (S. 229) Anmerkungen (S. 233-248) und Literaturverzeichnis (S. 239-265) ergänzen diese diskussionswürdige Publikation.
Anmerkung
1 Vgl. auch die fachliche Auseinandersetzung des katholischen Theologen Paul Petzel mit Benks Thesen, In: theologie.geschichte. Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte, Bd. 18/2023. (https://theologie-geschichte.de/ojs2/index.php/tg/article/view/1285)
Zum Autor
Andreas Benk, geboren 1957 in Stuttgart, studierte Physik, katholische Theologie und Philosophie an den Universitäten Wien und Tübingen. Er ist Professor am Ökumenischen Institut für Theologie und Religionspädagogik der Pädagogischen Hochschule zu Schwäbisch Gmünd. Er verfasste zahlreiche Publikationen zu den Themen Schöpfung, Gottesbild der Gegenwart, Moderne Physik und Theologie, Globales Lernen, Katholische Kirche und Shoah. Er ist seit 2019 Stadtrat und Mitglied der Fraktion „Die Linke“ im Gemeinderat von Schwäbisch Gmünd.