Isaac Breuer: Der Neue Kusari. Ein Weg zum Judentum. Werkausgabe Band 4. Herausgegeben und kommentiert von Matthias Morgenstern und Gerold Necker in Verbindung mit Hans Martin Dober.
Reihe: Texte und Studien zur deutsch-jüdischen Orthodoxie.
Münster: LIT Verlag 2020.
480 Seiten, gebunden, Euro 69,90.-
ISBN: 978-3-643-13754-8
Die romantische Geschichte des Volkes der Chasaren und ihres Königs, taucht noch bis heute von Zeit zu Zeit in verschiedenen Werken der modernen Geschichte und Literatur auf. Die Chasaren, ein Volk in den fernen südrussischen Steppen waren angeblich aus eigener Überzeugung samt ihrem Herrscher zum Judentum konvertiert. Die Geschichte der Chasaren wurde ein beliebtes Motiv, beflügelte die Phantasie der in so vielen Ländern unterdrückten und verfolgten Juden.
Einer der letzten grossen Autoren, der diese Historie zu seiner Hypothese benutzt hatte, war übrigens der brillante Wiener Schriftsteller Arthur Koestler (Der dreizehnte Stamm, 1976). Koestler hat nämlich in seinem Buch nicht weniger behauptet, als dass die Ostjuden in Europa allesamt Nachfahren dieser Chasaren sind und keinesfalls Juden aus dem biblischen Land. Die wohl bekanntesten Ausführungen zum Kusari-Motiv verdanken wir dem berühmten jüdischen Philosophen Jehuda Halevi (1074 Tudela-1141). Sein philosophisches Werk „Der Kusari“ arbeitet anhand von Dialogen zwischen den Anhängern der verschiedenen Religionen eine Argumentation zur Verteidigung der vielseits missachteten jüdischen Religion heraus. Dieses herausragende philosophische Werk Halevis war bei den deutschen Juden des letzten Jahrhunderts noch sehr wenig bekannt, und es ist das grosse Verdienst des Frankfurter jüdischen Philosophen Isaac Breuer (1883-1946), das Werk des Jehuda Halevi und die philosophisch begründete Wertschätzung für die jüdische Religion, die uns Halevis „Kusari“ lehrt, für das deutsche Judentum der damaligen Zeit wieder auferstehen zu lassen.
In seinem religionsphilosophischen Roman „Der neue Kusari – Ein Weg zum Judentum“ schildert Breuer 1934 in Anlehnung an Halevis Werk den Weg seines Romanhelden, Alfred Roden, eines in völlig religionsfremden Kreisen aufgewachsenen jungen jüdischen Menschen, zum überlieferten Judentum. Genau wie bei Halevi, kommen im Verlauf der Handlung Vertreter verschiedener Auffassungen zu Wort, und aus den Dialogen entstehen für den Leser Antworten auf religionsphilosophische Fragen der damaligen Zeit. Breuer beschreibt Alfred Roden als einen assimilierten Juden. Roden lernt im Verlauf des Buches den Standpunkt des liberalen Judentums kennen, später dann den säkularen und religiösen Zionismus. Liberale und auch zionistische Ideologien können Roden am Ende nicht überzeugen: der Romanheld schliesst sich am Ende des Buches der Orthodoxie an.
85 Jahre nach Erscheinen des Romans Der neue Kusari als Gesamtwerk (1934) legt der LIT Verlag in Berlin eine völlig neue authentische wissenschaftliche Bearbeitung der Werke und Schriften Breuers durch den namhaften Tübinger Judaisten Professor Matthias Morgenstern vor, herausgegeben im Rahmen der Werkausgabe der Schriften Isaac Breuers. Dabei steht Matthias Morgenstern eine internationale, bedeutende Professorenriege zur Seite. „Der neue Kusari“ (LIT Verlag, Berlin, 2020) bietet eine erhebliche, fachkundige Hilfe zum besseren Verständnis auf dem Gebiet der mystischen Traditionen des Judentums. Die besondere Aktualität dieser Werkausgabe bietet die gegenwärtige Bildungslage des Judentums im heutigen Europa insbesondere in Deutschland. Zahlreiche Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion kennen sich in dem Labyrinth der unterschiedlichen jüdischen Glaubenselemente und historischen Begebenheiten nicht aus. Und hierin liegt die Aktualität im eminenten Werk Breuers, denn er führt sachkundig und authentisch Erläuterungen vom Reformjudentum bis hin zu verschiedenen Sparten des gesetzestreuen, orthodoxen Judentums aus. Breuer lässt nicht ausser Acht, dass „das Judesein, zum mindesten in Westeuropa keine eindeutige Sache war, dass das Judentum zum mindesten in Westeuropa, sich in einem äusserst gefährlichen Zustand der Zerrissenheit befand, der ebenso gut ein Zeichen der endgültigen Zersetzung, wie allmählicher Regeneration sein konnte.“ Es fehlen im Buch auch nicht kurze aber aufklärende Definitionen der unterschiedlichen jüdischen Sachverhalte, wie z.B. diese: „Die jüdische Nation und die jüdische Religion sind nicht voneinander zu trennen… Die Religion ist nur eine, wenn auch sehr wesentliche kulturelle Lebensäusserung der jüdischen Nation, wie etwa die alten Griechen eine besondere Begabung für Kunst und Philosophie aufweisen.“
Dieses Werk ist nicht nur sehr informativ für jegliche potentielle Leserschaft. Es bietet nicht nur eine Fülle der behandelten Ewigkeitsfragen und Zeitprobleme, sondern kann allen Interessierten mannigfache Anregungen geben.
Die Werkausgabe wird von einem umfangreichen Literaturverzeichnis ergänzt.
Rabbiner Joel Berger