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Wir dürfen eine Spaltung unserer Gesellschaft nicht zulassen Tirols Landeshauptmann Günther Platter im Interview

Sabine Mayr

Inhalt

DAVID: Herr Landeshauptmann, Sie blicken auf eine lange politische Karriere zurück. Seit Juli 2008 sind Sie Landeshauptmann von Tirol. Nun ist bekannt, dass Sie für eine weitere Amtszeit kandidieren. Auf welche Errungenschaften sind Sie besonders stolz?
Günther Platter: Es macht mir jeden Tag aufs Neue viel Freude, für Land und Leute arbeiten zu dürfen. Daher habe ich auch den Entschluss gefasst, bei der nächsten Landtagswahl nochmals anzutreten. Mir war und ist es wichtig, die Modernisierung unseres Landes auf allen Ebenen voranzutreiben. Tirol ist ein innovativer Wirtschafts- und Forschungsstandort mit starken Unternehmen, einer hohen Lebensqualität und einem herausragenden Gesundheitssystem. Über allem steht für mich jedoch der soziale Friede im Land. Der Zusammenhalt und der gegenseitige Respekt haben Tirol stark gemacht. Daher müssen wir allem, was unsere Gesellschaft spaltet, entschieden entgegentreten und insbesondere der jungen Generation glaubhaft vermitteln, dass es für diesen sozialen Frieden einzustehen lohnt.

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Gedenkveranstaltung am Innsbrucker Landhausplatz 2018 anlässlich 80 Jahre Pogromnacht. Foto: Land Tirol/Lechner.
 

DAVID: Im Mai 2013 wurde das Kabinett Ihrer zweiten Amtszeit, eine Koalition mit den Grünen, gebildet. Wie verlief bisher die Zusammenarbeit mit den Grünen auf Landesebene?
Günther Platter: Die Zusammenarbeit in der Tiroler Landesregierung funktioniert gut. Nach mehr als acht Jahren kennt man sich, ist sozusagen ein eingespieltes Team. Natürlich sind Schwarz und Grün nicht immer einer Meinung. Hinter den Kulissen werden immer wieder harte Diskussionen geführt, aber im Gegensatz zu vielen anderen Regierungen schauen wir zuerst intern, wo wir uns finden, und treten erst dann öffentlich mit einer gemeinsamen Linie und Position auf. Gerade weil dem so ist, erfahren wir in der Bevölkerung auch breite Zustimmung. Denn wenn die Menschen eines nicht wollen, dann ist es Streit.

DAVID: Sie waren ab 2002 Regierungsmitglied in der zweiten Regierung von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und von Januar 2007 bis Juli 2008 Innenminister in der Regierung von Alfred Gusenbauer. Als Innenminister ernteten Sie Kritik von Menschenrechtsorganisationen. Wie betrachten Sie heute die Haltung des österreichischen Innenministeriums gegenüber Flüchtlingen und MigrantInnen und die fehlende Flüchtlingspolitik der EU?
Günther Platter: Die Migrations- und Flüchtlingsfrage ist längst zu einer globalen Frage geworden. Es kann daher nicht die Aufgabe eines einzelnen Staates sein, für eine Lösung zu sorgen. Vielmehr muss ganz Europa als Kollektiv tätig werden und eine gerechte Aufteilung der Flüchtlinge erzielen. Für mich steht ausser Frage, dass all jene Menschen mit einem positiven Asylbescheid das Recht haben, in der EU zu sein. Europa kann jedoch nicht unbegrenzt Menschen ohne positiven Asylstatus aufnehmen.

DAVID: Im Mai 2017 unterstützten Sie Sebastian Kurz bei dessen Neuaufstellung innerhalb der ÖVP. Es sei Zeit, dass die ÖVP neue Wege gehe, erklärten Sie damals. Auf Tiroler Seite wird andererseits oft auch fraktionsintern auf Widerstand gepocht, wofür man nicht selten auch den Freiheitskampf von 1809 bemüht. Welche Differenzen mit der Bundesregierung in Wien haben Sie im Lauf Ihrer Amtszeit als Landeshauptmann von Tirol besonders herausgefordert?
Günther Platter: Die Funktion des Landeshauptmannes bringt es mit sich, dass man den Föderalismus stärken und Entscheidungen im eigenen Land treffen will. Noch jede Bundesregierung hat versucht, gewisse Kompetenzen an sich zu ziehen, weil dort oft die Meinung vorherrscht, Probleme in Wien besser lösen zu können. Wir in den Ländern wissen, dass dem nicht so ist (lacht). Das führt immer wieder zu regen Diskussionen zwischen dem Bund und den Ländern. Aber auch wenn wir unsere Positionen mit Nachdruck vorbringen, ist das Verhältnis mit Wien dennoch sehr kameradschaftlich, man begegnet sich auf Augenhöhe.

DAVID: Wie ist das Verhältnis der Tiroler Landesregierung zu den Vertreterinnen und Vertretern der jüdischen Gemeinde in Innsbruck?
Günther Platter: Das Verhältnis zur jüdischen Gemeinde in Innsbruck hat für uns – wie auch jenes zu allen anderen anerkannten Religionsgemeinschaften – einen hohen Stellenwert. Esther Fritsch und Günter Lieder haben sehr viel für das gegenseitige Verständnis zwischen den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde und den Tirolerinnen und Tirolern anderer Glaubensbekenntnisse getan. Mit beiden verbindet mich eine überaus vertrauensvolle und wertschätzende persönliche Beziehung. 2018 etwa konnten wir bei einer gemeinsamen Israel-Reise anlässlich des 80. Gedenkjahres der Pogromnacht von 1938 die freundschaftlichen Beziehungen Tirols mit Israel stärken. Vor Ort kam es auch zu Begegnungen mit Holocaust-Überlebenden, die mich persönlich sehr berührt haben.

DAVID: Gibt es seit den Angriffen aus und auf Gaza im heurigen Mai eine veränderte Betrachtung der Sicherheit der jüdischen Gemeinde?
Günther Platter: Die Sicherheit der Mitglieder der jüdischen Gemeinde ist dem Land wie auch den Sicherheitskräften in Tirol schon immer ein grosses Anliegen gewesen. Um diese zu gewährleisten, werden entsprechende Vorkehrungen getroffen – so sind etwa bei G‘ttesdiensten und Veranstaltungen in der Synagoge stets Polizistinnen und Polizisten vor Ort. Sollte sich das Gefährdungspotenzial wegen weltpolitischer Entwicklungen drastisch erhöhen, reagieren die Sicherheitskräfte darauf umgehend mit einer Adaption ihrer Massnahmen.

DAVID: Sind Ihnen in der politischen Arbeit antisemitische Äusserungen untergekommen?
Günther Platter: Wo immer ich mit rassistischen – also auch mit antisemitischen – Äusserungen konfrontiert werde, nehme ich diese nicht einfach zur Kenntnis, sondern trete ganz entschieden dagegen auf und mache meinen Standpunkt unverblümt klar. Wie schon eingangs erwähnt, dürfen wir eine Spaltung unserer Gesellschaft nicht zulassen. Es liegt daher an uns allen, gegen jegliche Tendenzen, die zu einer solchen Spaltung führen könnten, anzukämpfen. Das erfordert Mut und Courage, letztlich profitieren aber unser Land und wir alle davon, wenn der soziale Friede gewahrt bleibt.

DAVID: Aron Tänzer war Landesrabbiner von Tirol und Vorarlberg von 1896 bis 1905 und wirkte von 1905 bis 1907 als Bezirksrabbiner in Meran, wo er sich um die Entstehung einer eigenen jüdischen Gemeinde bemühte. Während der Kursaison übertraf der rasch wachsende, internationales Ansehen geniessende Kurort im südlichen Tirol das Städtchen Hohen-
ems, herkömmlicher Sitz des Landesrabbinats, aber auch Innsbruck, das sich als neuen Sitz des Landdesrabbinats in Position zu bringen begann. Rabbiner Aron Tänzer würde heute als kritischer Intellektueller gesehen, der konservative politische Machtbehauptungen kritisierte, die sich antisemitischer Verleumdungen bedienten, um liberale und progressive Reformen aus dem „Heiligen Land Tirol“ zu verbannen. Schriftsteller wie Daniel Spitzer – und später auch Franz Kafka – kritisierten in Meran den Antisemitismus, der im konservativen Lager dem Machtgewinn und Machterhalt diente. Man denke etwa an den politischen Aufstieg Karl Luegers. Wie sehen Sie den traditionellen Tiroler Antisemitismus, der sich antijüdisch agitierender Ritualmordlegenden wie jene des „Anderle von Rinn“ bediente?
Günther Platter: Jede Form von Antisemitismus ist für mich absolut inakzeptabel und wird von mir aufs Schärfste verurteilt. 1994 wurde der Kult um die antisemitische Ritualmord-Legende um das „Anderl von Rinn“ offiziell von Bischof Reinhold Stecher verboten, bereits 1985 liess er die vermeintliche Reliquie aus der Kirche entfernen und das Fresko abdecken. Dieser abscheuliche Kult ist leider auch Teil der Tiroler Geschichte. Die klare Ablehnung des Anderl-Kultes, den die Innsbrucker Bischöfe seither immer bekräftigt haben, ist mir sehr wichtig.

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Landeshauptmann Günther Platter und Günter Lieder bei derselben Gedenkveranstaltung 2018. Bild: Land Tirol/Lechner.

DAVID: Welche Sichtbarkeit geniesst die jüdische Vergangenheit Tirols heute im öffentlichen Raum?
Günther Platter: Zum einen erinnert das Pogromdenkmal am Landhausplatz in Innsbruck seit 1997 an die Verbrechen der Pogromnacht im November 1938. Das Denkmal besteht aus einem massiven Kupfersockel mit den Namen der Opfer und einer sieben Meter hohen Menora, wobei der Einsatz von Glasscherben für die Namenszüge laut dem Künstler Mario Jörg „die zerbrochenen Herzen der ermordeten Juden und ihrer Angehörigen symbolisieren“. Zum anderen wurde in der Innsbrucker Sillgasse genau an dem Ort, wo bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg das jüdische Gebetshaus stand, im Jahr 1993 die neue Synagoge mit einem grossen interreligiösen Fest eingeweiht.

DAVID: Herr Landeshauptmann, Sie sind Landesoberstschützenmeister des Tiroler Landesschützenbundes. Welche gesellschaftliche Rolle spielt der Schützenbund heute?
Günther Platter: Tirol ist ein modernes, weltoffenes Land, das aber nicht auf seine Wurzeln vergisst und Traditionen hochhält. Während der Landesschützenbund ein Sportverband ist, der sich vor allem der Förderung des sportlichen Schiessens in der Jugend- und Nachwuchsarbeit widmet, aber natürlich auch die Schützentradition wahrt, pflegt der Bund der Tiroler Schützenkompanien vor allem das historische und kulturelle Erbe des Schützenwesens. Beide sind ein fixer Bestandteil des heimischen Vereinswesens und erfreuen sich unverändert grossen Zuspruchs.

DAVID: Kommen Sie vielleicht einmal mit Südtirols Landeshauptmann, Herrn Arno Kompatscher, die Meraner Synagoge besuchen? Heute noch gilt ihr symbolischer Aufruf zu Toleranz, den Aron Tänzer mit der Eröffnung der ersten Synagoge Tirols in Meran 1901 kundtat.
Günther Platter: Dieser Aufruf zu Toleranz ist heute so aktuell wie vor 120 Jahren. Ich werde mit Arno Kompatscher sprechen und bin mir sicher, dass wir eine Gelegenheit finden, um die Meraner Synagoge schon bald gemeinsam zu besuchen.
DAVID: Sehr geehrter Herr Landeshauptmann, vielen Dank für das interessante Gespräch!

Günther Platter, geboren am 7. Juni 1954 in der Tiroler Ortschaft Zams, ist seit 2008 Landeshauptmann von Tirol. Davor war er von  2003 bis 2007 österreichischer Verteidigungsminister sowie anschliessend bis 2008 Innenminister. Seine politische Karriere hatte Platter 1986 als ÖVP-Gemeinderat seiner Heimatgemeinde begonnen, ab 1989 war er dort Bürgermeister, bevor er 2000 in die Tiroler Landesregierung wechselte, von wo er in die Bundesregierung berufen wurde. Seine Berufsausbildung schloss Platter mit einer Buchdruckerlehre beim Tiroler Verlagshaus Tyrolia ab und versah anschliessend zwischen 1976 und 1994 seinen Dienst bei der Bundesgendarmerie in Landeck und Imst, bis er am 7.11.1994 als ÖVP-Abgeordneter in den Nationalrat einzog.

Alle Abbildungen: Land Tirol, mit freundlicher Genehmigung.