Selten war eine Dankesrede zum Nobelpreis von so viel Gelächter und Schmunzeln begleitet wie im Jahre 1978, als Isaak Bashevis Singer den Preis verliehen bekam.
Das Thema hätte das nie erwarten lassen: Es war ein Nachruf auf die jiddische Sprache.
Singer wirft einige Wörter Englisch ins Auditorium, um sie ins Jiddische zu übersetzen und kommt nicht zu Ende; unter Applaus übersetzt er weiter und weiter, unendlich sind die Möglichkeiten – Jiddisch, so meint er, ist die reichste Sprache der Welt, reich an Mittelhochdeutschem, Polnischem, Russischem, Hebräischem, Aramäischem und sonstigem Mitteleuropäischen.
Jiddisch war das erste europäische Esperanto, auch Emigranto, ja, für manche Desperanto, gesprochen vom Schwarzen Meer über Ungarn, Weissrussland bis an die Ostsee. Isaak Bashevis Singer kam aus einer orthodoxen Familie von Rabbinern und Richtern. 1904 in Leoncin (Polen) geboren, ging er wie sein zehn Jahre älterer Bruder Israel klar den Weg der Assimilation, verkehrte in Warschaus säkularen Künstlerkreisen, sprach fliessend Polnisch und Deutsch und schrieb: Jiddisch.
Er tat es vielen Assimilierten gleich, er wählte die Sprache, die durch die Gründung des YIVO (Yidisher visnshaftlekher institut) in Wilna im Jahre 1925 gerade eine Renaissance unter jungen Intellektuellen erlebte. Erstmals wurde hier eine Orthographie des Jiddischen festgelegt. Und die stete Frage, respektive Kritik, ob nun Jiddisch ein Dialekt oder eine Sprache wäre, beantwortete man: eine Sprache ist ein Dialekt mit einer Armee und Marine.
Isaak Bashevis‘ älterer Bruder Israel Joschua Singer (Biłgoraj 1893 – 1944 New York), ebenso Schriftsteller und Journalist für die amerikanisch-jiddische Zeitung Forverts (The Forward), erkannte die Gefahren, welche in Europa lauerten und wanderte 1934 nach New York aus. Er war stets Vorbild und Ratgeber für den jüngeren Isaak Bashevis, dessen Emigration in die U.S.A. er auch ermöglichte.
Auch hier blieb Isaak Bashevis dem Jiddischen treu, manche Geschichten übersetzte er selber ins Englische. Er war einer der letzten, welcher die Welt des Judentums in Polen schilderte. Mittlerweile ist er vielleicht auch der letzte grosse Chronist der untergegangenen Welt der Lower East Side.
Israel Joschua Singer (li.) und sein jüngerer Bruder Isaac Bashevis Singer. Foto: anonym, 1930er Jahre. Quelle: Anka Grupińska, Bogna Burska, Żydzi Warszawy 1861–1943, Warszawa, Żydowski Instytut Historyczny, 2003, p. 170, Wikimedia commons, gemeinfrei, link: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/a5/Israel_Joszua_Singer_Isaac_Bashevis_Singer_1930s.jpg?uselang=de
Nachschau:
Isaac in America: A Journey with Isaac Bashevis Singer
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