Hans Peter Doskozil, geboren 1970, stammt aus Kroisegg (Gemeinde Grafenschachen, Bezirk Oberwart). Im Jahr 2000 schloss er sein Jusstudium ab, 2012 wurde er erster Landespolizeidirektor der Landespolizeidirektion Burgenland, 2016-2017 Bundesminister für Landesverteidigung. Im Jahr 2017 wechselte Doskozil als Landesrat für Finanzen, Kultur und Infrastruktur in die Burgenländische Landesregierung. 2018 übernahm er die Funktion des Landesparteiobmanns der SPÖ Burgenland, seit 2019 ist er Landeshauptmann des Burgenlandes.
DAVID: Das Burgenland hat sich während seines 100-jährigen Bestehens von einem ärmlichen Landstreifen zu einem wirtschaftlich und kulturell erfolgreichen Bundesland entwickelt. Worauf sind Sie als Landeshauptmann besonders stolz?
Hans Peter Doskozil: Als Landeshauptmann bin ich besonders stolz darauf, wie erfolgreich das Burgenland heute dasteht. Wenn wir die 100-jährige Geschichte unseres Heimatlandes betrachten, ist das nicht selbstverständlich. Die ersten Jahre waren geprägt von wirtschaftlicher Not und der Amerika-Auswanderung, viele sahen damals in dieser strukturschwachen Region ohne Hauptstadt kaum Chancen und Perspektiven.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es nur langsam aufwärts, der Eiserne Vorhang war für die gesamte Region ein grosser Nachteil. War das Burgenland Anfang der 1990er Jahre wirtschaftlich noch weit abgeschlagen, hat es seit dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem EU-Beitritt Österreichs enorm profitiert. Das Burgenland hat sich immens entwickelt und ist heute ein Bundesland mit hoher Lebensqualität und vielen Alleinstellungsmerkmalen – touristisch, landschaftlich und kulturell. Stolz bin ich aber auch darauf, dass das Burgenland und die Menschen im Land bis heute das friedliche und partnerschaftliche Miteinander der Volksgruppen und Konfessionen in besonderem Masse charakterisieren. Diese Vielfalt ist ein bedeutender Reichtum des Landes sowie ein fester Bestandteil der burgenländischen Identität.
DAVID: Wie viele Burgenländer kommen auch Sie, sehr geehrter Herr Landeshauptmann, aus einer gemischtkonfessionellen Familie. Hat dieses Faktum ihren Zugang zu Religionsfragen besonders beeinflusst? Und wie steht es im Burgenland um den interreligiösen Dialog?
Hans Peter Doskozil: Die Kindheit und Jugend prägen jeden Menschen besonders. Daher denke ich schon, dass die Tatsache, dass ich aus einer gemischtkonfessionellen Familie komme, meinen Zugang zu Religionsfragen beeinflusst hat. Die Religionsgemeinschaften des Landes verbindet eine besondere Beziehung, die geprägt ist von einem regen Austausch, einem partnerschaftlichen Miteinander und der guten Zusammenarbeit in verschiedenen Belangen. Insofern steht der interreligiöse Dialog auf einem breiten und festen Fundament, das in den kommenden Jahren bestimmt noch weiter vertieft werden wird.
DAVID: Das heutige Burgenland kann auf eine lange jüdische Geschichte mit bedeutenden jüdischen Gemeinden zurückblicken, die zwischen 1938 und 1945 – wie die Siedlungen der burgenländischen Roma – vom NS-Regime vernichtet wurden. Daher ist das jüdische Leben im Burgenland weitgehend erloschen. Was tut das Land Burgenland heute für das Judentum?
Hans Peter Doskozil: Wir setzen diesbezüglich sehr viele Schritte. Es ist mir ein persönliches Anliegen, die jüdische Kultur und Geschichte im Burgenland lebendig zu halten und wir machen das, weil wir diese leider verlorene jüdische Kultur als einen wesentlichen Baustein unserer Identität betrachten. Wir sind so etwas wie ein Melting-Pot, zu dem das jüdische Erbe dazugehört. Daher ist beispielsweise der jüdischen Geschichte ein eigener Ausstellungsbereich in unserer Jubiläumsausstellung auf Burg Schlaining gewidmet.
DAVID: Ein besonderer Markstein der Beziehungen des Landes Burgenland zum Judentum war 2020 die Übergabe des Jüdischen Zentralarchivs an die IKG Wien.
Wie kam es zu dieser Übergabe? Inwieweit waren Institutionen wie etwa das Burgenländische Landesarchiv in die Vorbereitungen involviert?
Hans Peter Doskozil: Die Bedeutung des Jüdischen Zentralarchivs reicht weit über das Burgenland und auch über Österreich hinaus. Das Zentralarchiv ist ein zentrales jüdisches Kulturgut, das jüdische Geschichte, jüdische Kultur und jüdisches Alltagsleben über mehrere Jahrhunderte dokumentiert. Personen aus dem Kreis der Kultusgemeinden, das Land Burgenland aber vor allem Menschen wie der Philanthrop Sándor Wolf oder der unermüdliche Sammler Karl Halaunbrenner haben diesen Schatz in den 1930er Jahren akribisch zusammengetragen und systematisiert. Das Zentralarchiv war über viele Jahrzehnte ein wichtiger Teil des Burgenländischen Landesarchivs und wir sind stolz darauf, dass wir mehrere Generationen von Historikern aus dem In- und dem Ausland diesen Teil unserer Geschichte mit den Beständen näherbringen konnten. Wir konnten aber auch beobachten, dass das Zentralarchiv für Überlebende der Shoah und deren Nachfahren historisch und emotional besonders wichtig war. Wir sind uns also der historischen Einzigartigkeit dieses Bestandes aber vor allem auch der emotionalen Bedeutung für die jüdische Community bewusst und freuen uns, dass das Jüdische Zentralarchiv des Burgenlandes im neuen Archiv der Israelitischen Kulturgemeinde Wien ein würdiges Zuhause gefunden hat.
DAVID: Eine wichtige kulturelle Komponente ist die Erinnerung an das einst florierende jüdische Leben im Burgenland. Welche Gedenkinitiativen liegen Ihnen besonders am Herzen? Plant das Land Burgenland von sich aus Initiativen?
Hans Peter Doskozil: Wir etablieren derzeit in der ehemaligen Synagoge von Kobersdorf ein kulturelles Zentrum, in dem Ausstellungen, Symposien, Konzerte und so weiter stattfinden sollen und das darüber hinaus eine lebendige Auseinandersetzung mit dem jüdischen Erbe des Burgenlandes ermöglichen soll. Bei diesem Projekt möchten wir eng mit der IKG Wien, dem Österreichischen Jüdischen Museum, aber auch mit vielen anderen NGOs aus der Zivilgesellschaft kooperieren. Das Projekt ist mir persönlich sehr wichtig, da mit dem Kauf und der sensiblen Sanierung und Revitalisierung für das Gebäude eine neue Bestimmung gefunden werden konnte, ohne den Mahn- und Gedenkcharakter zu verlieren. Wir haben im Jubiläumsjahr „100 Jahre Burgenland“ 2021 auch der ehemaligen Synagoge von Schlaining eine neue Funktion geben können. Beginnend mit August 2021 wird das Gebäude museal genutzt werden. Wir beginnen mit einer Ausstellung über die südlichen jüdischen Gemeinden des Burgenlandes. Darüber hinaus unterstützen wir auch viele andere Initiativen, die sich mit Aspekten der jüdischen Erinnerungskultur auseinandersetzen.
DAVID: Die Synagoge in Stadtschlaining wurde viele Jahre lang vorbildhaft als kulturelles Zentrum der Friedensvermittlung genutzt. Welche Pläne hat das Land Burgenland mit Stadtschlaining und mit der dortigen Synagoge konkret?
Hans Peter Doskozil: Der Ort Schlaining ist für uns in Zukunft von besonderer Bedeutung. Im August 2021 eröffnen wir in der komplett sanierten Burg die Jubiläums-Sonderausstellung, und danach wird die Burg zum Haus der burgenländischen (Zeit)Geschichte. Teil der Neukonzeptionierung ist natürlich auch die Synagoge. Dort widmen wir uns der jüdischen Geschichte unserer Region.
DAVID: Die jüdischen Friedhöfe sind wichtige Zeugnisse für die bedeutenden jüdischen Gemeinden des Burgenlandes und gehören zu den ältesten heute noch erhaltenen Bestattungsarealen Österreichs. Wie bringt sich das Land Burgenland bei deren Instandsetzung und Erhaltung ein?
Hans Peter Doskozil: Im Jahr 2010 haben wir die Initiative „Erinnerungszeichen“ ins Leben gerufen. Im Zuge des Projektes, das wir gemeinsam mit der IKG Wien und dem Verein Re.F.U.G.I.U.S. abwickeln, werden die jüdischen Friedhöfe des Burgenlandes gepflegt und auch Sanierungsschritte gesetzt. Das Projekt ergänzt damit die Möglichkeiten, die der Fonds zur Instandsetzung der jüdischen Friedhöfe in Österreich gewährleistet. Ein wesentliches Element beim Projekt „Erinnerungszeichen“ ist die Einbindung der burgenländischen Schülerinnen und Schüler. Der Besuch des Österreichischen Jüdischen Museums in Eisenstadt, eine Führung auf dem älteren jüdischen Friedhof und das Kennenlernen der jüdischen Kultur gehören daher zu jenen geistigen Pflegemassnahmen, die ich als wesentlich betrachte.
DAVID: Inwieweit spielen Überlegungen des Denkmalschutzes eine Rolle, und in welcher Rolle sieht sich das Land Burgenland bei der Erhaltung unersetzlichen Kulturguts?
Hans Peter Doskozil: Bei der Sanierung und Revitalisierung der Synagoge Kobersdorf haben Aspekte des Denkmalschutzes oberste Priorität. Mit dem Bundesdenkmalamt und den dortigen Kunsthistorikern und Restauratoren haben wir kompetente Partner für die Umsetzung solcher Vorhaben. Leider sind im Burgenland nicht mehr sehr viele jüdische Kulturbauten erhalten. In einem befindet sich das Landesmuseum Burgenland und ein weiteres beherbergt heute das Österreichische Jüdische Museum.
DAVID: Sie haben in Oberschützen das Gymnasium besucht. Dort in Oberschützen steht seit 1938/39 ein Denkmal zur Erinnerung an Nazideutschland. Über dieses „Anschlussdenkmal“ wurde in letzter Zeit in den burgenländischen Medien und auch in unserer Zeitschrift DAVID ausführlich berichtet. Wie beurteilen Sie die neue Widmung des Denkmals als „Denk-, Informations- und Lernort“?
Hans Peter Doskozil: Wir müssen uns auch in dieser Hinsicht unserer Geschichte stellen. Jetzt gilt es, dem Denkmal eine neue Funktion zu geben, die Menschen einzubinden und daraus eine Pilgerstätte der Toleranz und Menschlichkeit, aber auch einen Ort der Vermittlung von Wissen für künftige Generationen zu machen.
DAVID: Sehr geehrter Herr Landeshauptmann, vielen Dank für dieses Interview!