Ausgabe

Hannah Arendt Zum 115. Geburtstag

Monika Kaczek

Bis heute verkörpert Hannah Arendt die Figur einer unabhängigen, klugen und selbstbewussten Frau, die sich nie von einer Ideologie oder Partei vereinnahmen liess
 

Inhalt

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Hannah Arendt auf dem 1. Kulturkritiker-Kongress, 1958. Foto: Barbara Niggl Radloff, sammlungonline. Muenchner-stadtmuseum.de FM-2019/1.5.9, link: https://de.wikipedia.org/wiki/Hannah_Arendt#/media/Datei:Hannah_Arendt_auf_dem_1._Kulturkritikerkongress,_Barbara_Niggl_Radloff,_FM-2019-1-5-9-16.jpg ; Wikimedia Commons, gemeinfrei, abgerufen am 12.08.2021.

Johanna Hannah Arendt wurde am 14. Oktober 1906 in Linden, das heute zu Hannover gehört, als Tochter einer säkularen jüdischen Familie geboren. Als sie drei Jahre alt war, zogen ihre Eltern Paul und Martha (geb. Cohn) nach Königsberg, von wo ihre Vorfahren stammten. Nach dem frühen Tod des Vaters,  Ingenieur bei einer Elektrizitätsgesellschaft, wurde das Mädchen von seiner sozialdemokratisch eingestellten Mutter liberal erzogen. Ab 1924 studierte Hannah Arendt Philosophie und Theologie und promovierte 1928 bei Karl Jaspers (1883 – 1969) in Heidelberg über das Thema Der Liebesbegriff bei Augustin. 

Flucht und Exil
1929 heiratete Hannah Arendt den Philosophen und Schriftsteller Günther Siegmund Stern (1902 Breslau – 1992 Wien; Pseudonym: Günther Anders) und zog mit ihm nach Berlin. Dort entstand ihr Buch über Rahel Varnhagen (1771 – 1832), mit der sie sich stark identifizierte.1 Günther Stern emigrierte nach Paris, was bald zum Ende der Ehe führte. Als die Gestapo Hannah Arendt im Juli 1933 kurzzeitig inhaftierte, floh sie über Prag, Genua und Genf nach Paris. Dort schloss sie sich der World Zionist Organization an und engagierte sich als Generalsekretärin der Jugend-Alijah in Frankreich für Emigrationsmöglichkeiten jüdischer Kinder nach Palästina. 
1940 heiratete sie den Journalisten Heinrich Blücher (1899 Berlin – 1970 New York), der als Mitglied der verbotenen Kommunistischen Partei Deutschland 1934 seine Heimat verlassen hatte. Nach Kriegsbeginn wurde Hannah Arendt mehrere Wochen im Internierungslager Gurs festgehalten. Beeinflusst vom tragischen Schicksal ihres engen Freundes Walter Benjamin (1892 Berlin – 1940 Portbou, Spanien), der sich, auf der Flucht befindend, in der Nacht vom 26. auf den 27. September 1940 das Leben nahm, erkannte Hannah Arendt, dass sie Europa verlassen musste. 
Im Mai 1941 konnte sie mit ihrer Mutter und ihrem Mann die U.S.A. erreichen.
In ihrer neuen Heimatstadt New York verfasste sie regelmässig Kolumnen für die deutsch-jüdische Emigranten-Zeitung Aufbau und arbeitete seit 1944 für die Conference on Jewish Relations. Darüber hinaus verfasste sie auch eindringliche Artikel, um die Öffentlichkeit über die Judenverfolgung zu informieren und aufzurütteln. Kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann Hannah Arendt mit dem Verfassen ihres Werks Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, das nach dem Erscheinen 1951 grosse Resonanz erfuhr. 
Die Philosophin blieb nach 1945 in den U.S.A. und lehrte als Professorin an verschiedenen Universitäten, wie zum Beispiel in Princeton, Harvard und Berkeley.
Mit ihrer Berichterstattung über den Eichmann-Prozess in Jerusalem erregte Hannah Arendt 1961 grosses Aufsehen. Ihr Buch Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen war zunächst als fünfteilige Essayreihe für die amerikanische Wochenzeitschrift The New Yorker, für die sie Teile des Prozesses in Jerusalem beobachtete, geplant. Eine erheblich erweiterte Fassung dieser Artikel wurde zunächst in den U.S.A. und in England sowie ein Jahr später (1964) auch in der Bundesrepublik als Buch veröffentlicht. 
Die enorme Resonanz auf das Buch war auch durch sehr kritische Stimmen geprägt, wobei der von Hannah Arendt definierte Begriff der „Banalität des Bösen“ mit den Jahren zu einem feststehenden Begriff wurde. 
Besonders bei jüdischen Gruppen in den USA und in Israel stiessen Arendts Ausführungen auf heftige Ablehnung. Der israelische Publizist Amos Elon (1926 Wien – 2009 Borgo Buggiano, Italien) schildert, wie sehr das Buch „unter Literaten eine Art Bürgerkrieg ausgelöst“ habe, und beschreibt, mit welcher Heftigkeit jüdische Organisationen gegen Arendts Buch polemisierten.2
Bis zu ihrem Tod in New York am 4. Dezember 1975 widmete Hannah Arendt ihr Schaffen – basierend auf ihren eigenen Erfahrungen aus NS-Diktatur und Exil – immer wieder den Grundfragen persönlicher Verantwortung des politischen Handelns im totalitären Staat.

1 Hannah Arendt: Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik. München: R. Piper & Co. 1995
2 https://zeithistorische-forschungen.de/1-2009/4567