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Die Familie Finzi aus Ferrara und "Die Gärten der Finzi-Contini" Ein Interview mit Professor Cesare Finzi

Tina Walzer

Inhalt

Cesare Moisè Finzi  wurde 1930 als Sohn von Enzo Finzi und Nella Rimini in Ferrara geboren und ist Mitglied der jüdischen Gemeinde in Ferrara, obwohl er als Arzt und pensionierter Kardiologe in Faenza lebt. Als Angehöriger der in Bozen wohnenden Familie Carpi hat Cesare Finzi am Gedenkband Mörderische Heimat. Verdrängte Lebensgeschichten jüdischer Familien in Bozen und Meran (2015, 2017) mitgewirkt und diesen, unter anderem im Museo Nazionale dell’Ebraismo Italiano e della Shoah in Ferrara oder im Museo della Shoah in Rom, vorgestellt. Aber nicht nur in Südtirol, sondern in ganz Italien ist Cesare Finzi ein gefragter Zeitzeuge und Autor. Cesare Finzi schrieb die erfolgreichen, autobiografischen Bücher Il giorno che cambiò la mia vita (2009) und Qualcuno si é salvato (2006, 2018). Im Jahr 2018 war Cesare Finzi in Pietro Subers RAI-Dokumentation 1938 – Quando scoprimmo di non essere più italiani zu sehen.

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Cesare Finzi in Faenza, 2015.
Cesares Mutter Nella wurde wie ihre Schwester Lucia in Mantua geboren. Lucia Rimini lebte mit ihrem Ehemann, dem Mantovaner Kaufmann Renzo Carpi, zuerst in Innsbruck, wo ihre Kinder Alberto und Germana geboren wurden, und ab 1933 in Bozen, wo Renzo Carpi einen Lebensmittelhandel führte und wo 1940 Olimpia geboren wurde. Am Morgen des 9. September 1943 wurden Renzo und Alberto Carpi in Bozen festgenommen, was zu einem derart frühen Zeitpunkt nach der Grenzüberschreitung der deutschen Truppen nicht ohne die aktive Mitwirkung von Südtirolern möglich gewesen wäre. Lucia weigerte sich die Stadt zu verlassen, um Renzo und Alberto, die im Gefängnis waren, zu unterstützen. In der Nacht vom 15. auf den 16. September wurden Lucia, Germana und Olimpia Carpi festgenommen. Ihre Wohnung wurde geplündert. Die Nachricht ihrer Festnahme hatte grosse Wirkung auf die in Ferrara lebende Verwandtschaft. Am 19. September 1943 flüchteten Nella, Enzo, Cesare und sein Bruder Manlio mit weiteren Mitgliedern der Familien Finzi, Rimini, Cantoni und Rocca, zuerst nach Rimini, dann nach Ravenna, Fano, Gabicce, Cattolica, Morciano und Mondaino in der Romagna. In Gabicce ausgestellte Ausweise mit gefälschten Namen und die Solidarität und Courage Einzelner retteten die Flüchtenden. Renzo, Lucia, Alberto, Germana und Olimpia Carpi wurden zuerst ins KZ Reichenau bei Innsbruck deportiert und von dort ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Es konnte nicht eruiert werden, wann sie ermordet wurden. Im Jahr 2003 benannte die Bozner Stadtverwaltung einen Spielplatz nach Olimpia Carpi. Am 15. Januar 2015 nahm Cesare Finzi an der Verlegung von Stolpersteinen zur Erinnerung an seine ermordeten Verwandten teil.

DAVID: Herr Professor Finzi, der Autor des Romans Die Gärten der Finzi-Contini war Ihr Lehrer an der Schule. Wann und wo haben Sie ihn kennengelernt?
Cesare Finzi: Ich hatte gerade die Prüfung der fünften Klasse Volksschule abgelegt, als Italien im Juni 1940 in den Krieg eintrat. Im Oktober desselben Jahres hätte ich in Ferrara die erste Klasse der staatlichen Mittelschule besuchen sollen. Da ich aber Jude war und die Rassengesetze seit 1938 wirksam waren, durfte ich natürlich nicht in die öffentliche Schule gehen. Die kleine jüdische Schule in Ferrara, die bis dahin aus Kindergarten und Volksschule bestand, hatte für jüdische Jugendliche zusätzlich Mittelschulkurse organisiert, die Professorinnen und Professoren hielten, die zuvor in der öffentlichen Schule unterrichtet hatten und daraus verjagt worden waren. Ab Oktober 1940 besuchte ich daher die jüdische Mittelschule in Ferrara, die es als solche zunächst gar nicht gab, da zu wenig Schulräume zur Verfügung standen. Wir drei jüdischen Jungen, die damals in Ferrara für die erste Klasse Mittelschule eingetragen waren, mussten daher unsere Professoren für den Unterricht zuhause aufsuchen. So kamen wir auch in die Wohnung unseres Italienisch- und Lateinlehrers Giorgio Bassani in der Via Cisterna del Follo in Ferrara. Hier lernte ich ihn kennen. Der Sitz der jüdischen Schule war hingegen in der Via Vignatagliata in Ferrara. Sie war 1875 italienweit die erste staatlich anerkannt jüdische Schule.

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Cesare Finzi im Interview, 2021. Foto: Sara Finzi, mit freundlicher Genehmigung.
 


DAVID: Welche Erinnerungen haben Sie an Giorgio Bassani?
Cesare Finzi: Giorgio Bassani war sehr jung. Er wurde 1916 geboren, hatte 1939 an der Universität in Bologna promoviert und sammelte damals gerade seine ersten Erfahrungen beim Unterrichten. Er war ein 24 Jahre alter, sportlicher junger Mann, der sehr gerne Tennis spielte. Giorgio Bassani war Mitglied der Gesellschaft Marfisa, des Tennisvereins in Ferrara, der nach der Herzogin Marfisa d‘Este benannt ist. Marfisa d’Este war eine im 16. Jahrhundert lebende Herzogin aus dem Hause Este, die an der damaligen Peripherie Ferraras in einem malerischen kleinen Palast mit schönen Gärten lebte. In diesen weitreichenden Gärten der Herzogin Marfisa errichtete der Tennisverein um die Jahrhundertwende seine Tennisplätze. Giorgio Bassani galt als Champion des Vereins. Er spielte wirklich sehr gut. Bassani unterrichtete uns im beeindruckenden Studio seines Vaters, in dem es sehr wertvolle Bücher gab. Die Fenster dieses Studios gaben jedoch Sicht auf die Tennisspielplätze des Circolo Marfisa und wenn wir bei schönem Wetter die Fenster öffneten, hörten wir das Aufprallen der Tennisbälle. Als erste Erinnerung an Giorgio Bassani hat sich mir daher sein leidender Gesichtsausdruck eingeprägt, da er für den Unterricht auf das Tennisspielen verzichten musste.

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Die Zeitzeugen Cesare Finzi und Adriana Zanellato nehmen neben Rechtsanwalt Arnaldo Loner und dem Ehrenpräsidenten des Partisanenverbands in Bozen Lionello Bertoldi an einer Begegnung mit Schülerinnen und Schülern der Mittelschule in Terlan teil.
 

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Familienfeier 1931 in Mantua: Vorne links Alberto Carpi, schräg dahinter Grossvater Cesare Rimini mit Cesare Finzi auf seiner linken Schulter, dahinter Cesares Mutter Nella. Rechts daneben steht ihre Schwester Lucia Carpi und ganz rechts im Bild der Bozner Kaufmann Renzo Carpi. Neben ihm hält eine Bedienstete seine Tochter Germana im Arm.
 


DAVID: Wie war er als Lehrer? Hat er in Ihnen die Liebe zur Literatur wecken können?
Cesare Finzi: Ich weiss noch, dass Giorgio Bassani dem Lateinunterricht, der damals vor allem aus logischen Analysen bestand, nicht besonders viel abverlangen konnte. Er sprach aber gern mit uns, vielleicht auch über Literatur, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich weiss noch, dass ich mit Giorgio Bassani vor allem über die bedrängenden Ereignisse der damaligen Zeit sprach. Daher war er für mich – gemeinsam mit Mathilde Bassani, meiner Geschichte- und Geografielehrerin, die mit Giorgio nicht verwandt war und nur zufällig denselben Namen trug – nichts weniger als mein Lebensberater, mein Mentor. 
DAVID: Können Sie sich an weitere gemeinsame Tätigkeiten erinnern?
Cesare Finzi: Gut bewahrt habe ich die Erinnerung an eine Séance im Jahr 1941. Eines Tages fragte uns Giorgio Bassani im Unterricht, der damals in der jüdischen Schule in der Via Vignatagliata und nicht bei ihm zuhause stattfand: ‚Gestern Abend habe ich an einer spiritistischen Sitzung teilgenommen und mich für ein heutiges Treffen mit Italo Balbo verabredet.‘ Wir staunten nicht schlecht. Italo Balbo war ein hochstehender Funktionär des Faschismus aus Ferrara, der wenige Tage, nachdem Italien in den Krieg eingetreten war, in Libyen starb. Alle kannten Balbo, da er mit vielen jüngeren und weniger jungen Juden in Ferrara befreundet war. Italo Balbo war es zu verdanken, dass Renzo Ravenna 1924 Podestà von Ferrara wurde und diese Funktion bis 1938 innehatte. Ravenna war mit Balbo, der 1934 zum Generalgouverneur Libyens ernannt wurde, in ständigem Kontakt. Balbos Tod erschütterte das jüdische Ferrara. Giorgio Bassani fragte uns also: ‚Wer von Euch möchte Balbos Geist treffen?‘ Man kann sich vorstellen, dass eine solche Einladung für uns eine absolute Neuigkeit war, sodass wir natürlich alle zugesagt haben. Am meisten hat mich damals aber beeindruckt, dass Bassani uns als Italienischlehrer zu einer spiritistischen Sitzung einlud. Das war eine in jeder Hinsicht aussergewöhnliche Erfahrung.
Soweit meine Erinnerungen an Giorgio Bassani während des Krieges. Nach dem Krieg kam es ausser kurzen, sporadischen Treffen in der Synagoge zu keiner weiteren nennenswerten Begegnung. In den Jahren 1943, 1944 und 1945, als Jüdinnen und Juden aus Italien deportiert wurden, lebte Giorgio Bassani in Rom, wo er auch nach dem Krieg blieb. Wir Finzis aus Ferrara waren im September 1943 bereits auf der Flucht und so konnten wir uns retten. 1945 kehrten wir nach Ferrara zurück. Giorgio Bassani blieb Mitglied der jüdischen Gemeinde in Ferrara nach italienischem Ritus, zu der auch meine Familie gehörte. Daneben gab es in Ferrara noch eine Synagoge nach aschkenasischem, eine weitere nach sefardischem Ritus und die im 17. Jahrhundert errichtete Sinagoga Fanese.
DAVID: Hat Giorgio Bassani seinen Schülern von sich selbst oder von seiner Familie erzählt?
Cesare Finzi: Giorgio Bassani war, wie gesagt, sehr jung und hatte keine lange persönliche Lebensgeschichte, von der er uns hätte erzählen können. Sein Vater war der Mohel (Beschneider) der Gemeinde. Die Familie Bassani war wohlhabend und hatte einen grossen Grundbesitz. Giorgios Vater übte seinen Arztberuf nie aus, ausser als Mohel.
DAVID: Gab es Verbindungen zwischen Ihrer Familie und der Familie Bassani?
Cesare Finzi: Giorgios Vater war auch mein Mohel. In den Jahren 1940, 1941, 1942 war Giorgio Bassani mit einer jungen jüdischen Frau aus Ferrara verlobt und daher verbrachte er seine Jugend durchwegs in Ferrara. Man kannte sich also. Ich habe ihn auch auf dem legendären Tennisplatz des Präsidenten der jüdischen Gemeinde in Ferrara angetroffen. Der damalige Präsident der jüdischen Gemeinde in Ferrara wohnte in einem stilvollen historischen Palast mit einem schönen Park, in dem er für seine Kinder einen Tennisplatz angelegt hatte. Diesen Tennisplatz stellte er allen jungen Menschen in Ferrara zur Verfügung, die von den Rassengesetzen betroffen waren, wie Giorgio Bassani oder alle weiteren jüdischen Mitglieder des Circolo Marfisa. Wir suchten den Tennisplatz oft und gerne auf. Er war selten in Verwendung, denn damals lebten nur mehr wenige jüdische Jugendliche in Ferrara. Ich habe auch dort Tennis gespielt, als zehnjähriges Kind zwar nicht besonders gut, aber wenn Giorgio Bassani mit unserem Gymnastikprofessor Primo Lampronti eintraf, war es für uns ohnedies interessanter, dem Spiel zuzuschauen. Giorgio Bassani spielte besser als unser Turnlehrer Lampronti, der eigentlich Boxer war und gegenüber Bassani keine Chance hatte. 1936 gewann Lampronti allerdings als Boxer bei den Spielen der XI. Olympiade [in Berlin, Anm. d. Red.] eine Bronzemedaille, wenn auch unter falschem Namen, denn als Jude durfte nicht er an den Olympischen Spielen teilnehmen.
DAVID: Sicher kannten Sie die Familie des Präsidenten der jüdischen Gemeinde in Ferrara. Stehen Sie mit Nachkommen in Kontakt?
Cesare Finzi: Ja, ich kenne die Kinder und Nachkommen des damaligen Präsidenten der jüdischen Gemeinde in Ferrara sehr gut und bin mit ihnen befreundet. Der Präsident der jüdischen Gemeinde und seine Frau wurden 1943 von den Faschisten den Deutschen übergeben. Sie kamen aus Auschwitz nicht zurück. Giorgio Bassani hat diese wichtige Familie aus Ferrara nun in den Mittelpunkt einer erfundenen Geschichte gerückt. Der Präsident der jüdischen Gemeinde von Ferrara hatte eine Tochter, die Bassani zur Gestalt der Micòl inspirierte. Tatsächlich war diese Tochter aber schon seit geraumer Zeit verheiratet. Ihre älteste Tochter war gleich alt wie mein Bruder Manlio, der 1934 geboren wurde. Ich kenne alle drei Nachkommen „Micòls“ und bin mit ihnen befreundet. 
DAVID: Hatte die jüdische Gemeinde in Ferrara Ihrer Meinung nach Einfluss auf den Roman?
Cesare Finzi: Bassanis Roman ist von der Geschichte der jüdischen Gemeinde in Ferrara stark beeinflusst, auch wenn „Micòl“ letztlich erfunden ist. Immer wieder gibt es Hinweise auf jüdische Feste und Bräuche oder auf jüdische Traditionen und damit auf die reale Geschichte der jüdischen Gemeinde in Ferrara.
DAVID: Wie gross war die jüdische Gemeinde in Ferrara?
Cesare Finzi: Ich war in der Nachkriegszeit zweimal im Rat der jüdischen Gemeinde in Ferrara und hatte die Möglichkeit, eines der wenigen Dokumente der Gemeinde einzusehen, die nicht zerstört worden waren. Es war eine Liste aller Gemeindemitglieder aus dem Jahr 1937, die also vor dem Erlass der italienischen Rassengesetze vom Präfekten von Ferrara angefordert worden war. Wir waren mehr als siebenhundert Mitglieder. Die jüdische Gemeinde in Ferrara war auch für Juden zuständig, die nicht in Ferrara lebten, sondern in der gesamten Romagna, und damit also etwa auch in Faenza, wo ich heute lebe, in Rimini oder Ravenna. Unter den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde in Ferrara gab es auch Mitglieder, die später nicht mehr in Ferrara lebten, sich aber dennoch der jüdischen Gemeinde in Ferrara verbunden fühlten. 

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Die Familie Carpi in Bozen.


DAVID: Ihre Familie war in Ferrara wohlbekannt.
Cesare Finzi: Mein Vater und sein Bruder führten in der Via Mazzini, mitten im alten Ghetto von Ferrara, eine bekannte Parfümerie- und Schreibwarenhandlung. Noch heute treffe ich ältere Einwohner und Einwohnerinnen Ferraras, die sich an das mit Nussholzmöbeln ausgestattete, alte Geschäft der Finzi erinnern. Unser Geschäft ging auf eine Initiative meines Grossvaters im 19. Jahrhundert zurück und wurde während der Rassengesetze weitergeführt. Es blieb immer gleich, bis mein Vater es in den Siebzigerjahren verkaufte. Mein Grossvater hatte zunächst auch mit Tabakwaren gehandelt, die Lizenz dafür wurde aber 1904 verkauft. Ein Herr aus Ferrara hat mir die Fotokopie einer von meinem Grossvater 1901 ausgestellten Rechnung übergeben, auf der die Inneneinrichtung unseres Geschäfts abgebildet ist. Bereits 1901 existierte also unser Geschäft so, wie es ältere Menschen in Ferrara heute noch in Erinnerung haben. 
DAVID: Wie nahmen Sie das Geschäft Ihres Vaters aus der Perspektive eines Kindes wahr?
Cesare Finzi: Als kleiner Junge bereitete es mir grosses Vergnügen, um den Schaufensteraufbau zu laufen. Dort waren die wichtigsten Waren, Spiele oder Papierwaren ausgestellt, also auch Dinge, die für Kinder interessant waren. Das war in den Jahren 1935, 1936 und 1937.
DAVID: Ist Ihre Familie nach Ferrara zurückgekehrt?
Cesare Finzi: Heute lebt von uns Finzis niemand mehr in Ferrara. Mein Onkel Renato hatte keine Kinder. Der Bruder meines Grossvaters hatte zwei Töchter und einen Sohn, dessen Sohn heute in Turin lebt. Mein Bruder lebt in Mailand und ich lebe in Faenza. 
DAVID: Wie reagierten die Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Ferrara auf den Roman und die Verfilmung?
Cesare Finzi: Die Familie, die sich im Buch wiedererkannte, lehnte Bassanis Darstellung ab und hat ihm nie verziehen, dass er Teile ihrer Familiengeschichte für einen Roman verwendet hat, in der „Micòl“ nicht sehr ernsthaft und seriös erscheint. Andere Mitglieder der jüdischen Gemeinde versuchten sich aus dem Streit herauszuhalten. Natürlich erhielt Bassanis Buch grosse Aufmerksamkeit, aber wir verstanden auch die unangenehme Situation der Familie, der Kinder und Enkelkinder „Micòls“, die im Buch als eine 28-jährige Frau dargestellt ist, im realen Leben aber bereits verheiratet war. Bassanis Bezugnahme auf die Familie des Präsidenten der jüdischen Gemeinde bleibt allerdings etwas deskriptiv. Dies betrifft auch die Darstellung der Gärten, die sich im Übrigen im Zentrum und nicht an der Peripherie der Stadt befanden. Ferrareser Juden zogen es vor, das Thema nicht anzusprechen.
DAVID: Wie finden Sie den Roman und den Film?
Cesare Finzi: Der Film ist schön, da gibt es nichts zu sagen. Er hat aber nur wenig mit der jüdischen Gemeinde zu tun. Giorgio Bassani wirkte an der Verfilmung mit, fand seinen Roman jedoch letztlich nicht sehr gut umgesetzt.
DAVID: Gibt es Momente, in denen Sie sich und Ihre Familie in den Darstellungen wiederfinden?
Cesare Finzi: Da gibt es eigentlich nichts Spezielles, ausser einer Aufnahme der Via Giuoco del Pallone, in der die Eingangstür unseres Hauses zu sehen ist. In der Via Giuoco del Pallone befindet sich der Palazzo Paradiso mit Ferraras Stadtbibliothek. Zur Zeit des Adelshauses d‘Este, also im 16. Jahrhundert, führte die Strasse zu den Stadtmauern von Ferrara, wo Fussball gespielt wurde. Bassani schreibt in seinem Buch weder über unsere Familie, noch gibt es einen Hinweis auf unser Geschäft.
DAVID: Herr Professor Finzi, vielen herzlichen Dank, dass Sie Ihre spannenden Erinnerungen mit uns geteilt haben.

Das Interview für DAVID wurde mit Professor Cesare Finzi in italienischer Sprache geführt und übersetzt von Sabine Mayr. Professor Finzis Tochter Sara Finzi steuerte dazu Fotos ihres Vaters bei. DAVID bedankt sich sehr herzlich für die grosse Unterstützung und die ausgezeichnete Zusammenarbeit.

Literaturhinweise:

Cesare Moisè Finzi: Il giorno che cambiò la mia vita. Mailand, Topipittori 2009.

Cesare Moisè Finzi: Qualcuno si é salvato. Cesena, Il Pontevecchio 2006, 2018.

Cesare Rimini: Una carta in più. Mailand, Mondadori 1997.

Joachim Innerhofer und Sabine Mayr: Mörderische Heimat. Verdrängte Lebensgeschichten jüdischer Familien in Bozen und Meran. Bozen, Edition Raetia 2015. Der Gedenkband erschien 2017 in italien. Sprache u. d. Titel: „Quando la patria uccide. Storie ritrovate di famiglie ebraiche in Alto Adige“.

Alle Abbildungen: Jüdisches Museum Meran, mit freundlicher Genehmigung.