Ausgabe

Die Juden in Serbien Der Holocaust, 1941-1944 Serie, Teil III

Martin Malek

Inhalt

Im April 1941 griff die Deutsche Wehrmacht Jugoslawien an und besetzte es innerhalb weniger Tage. Das Land wurde unverzüglich aufgeteilt. 

Bedeutend für die Region waren insbesondere die Entstehung des Unabhängigen Staates Kroatien (NDH), geführt von der extrem kroatisch-nationalistischen Ustascha-Bewegung (die sofort die Verfolgung der Juden aufnahm1), und eines Vasallenstaates in Serbien unter deutscher Militärverwaltung. Dieses „Serbien“ bestand freilich nicht in seinen heutigen Grenzen2: Es nahm 1941-1944 rund 51.000 Quadratkilometer ein, die dortige Bevölkerung betrug 3,8 Mio. Menschen (zu zirka 90% ethnische Serben) – darunter etwa 12.500 serbische und aus anderen Ländern vor Hitler geflohene Juden (Stand: Frühjahr 1941).3

Registrierung der Juden 
Bereits kurz nach ihrem Einmarsch in der jugoslawischen Hauptstadt Belgrad verhängten die deutschen Invasoren die ersten antijüdischen Massnahmen, plünderten und enteigneten (arisierten) jüdische Geschäfte und Wohnungen. Dazu kamen: Beschlagnahme von jüdischen Spareinlagen in Banken; ein Verbot für die Juden, öffentliche Ämter zu bekleiden; ein Verbot des Zutritts von Juden zu bestimmten Orten, Gebäuden und öffentlichen Verkehrsmitteln; Zwangsarbeit für Juden; Verbot der Eheschliessung mit Juden; Verbot der Beherbergung und des Versteckens von Juden und so weiter. An den Repressionen beteiligten sich auch Vertreter der „eingesessenen“ deutschen nationalen Minderheit in Jugoslawien sowie, was erheblich bedeutender war, mit den Deutschen zusammenarbeitende serbische Stellen, darunter solche der Polizei (siehe dazu unten). Der Chef der deutschen Einsatzgruppe Serbien sowie Leiter der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes, SS-Oberführer Wilhelm Fuchs (1898–1947) ordnete am 16. April 1941 zur Vorbereitung der Vernichtung der Juden eine Meldepflicht an: diese sollten sich am Morgen des 19. April bei der Städtischen Schutzpolizei melden. Zuwiderhandelnden drohte er die Todesstrafe an. Innerhalb von drei Tagen wurden auf diese Weise zirka 8.500 Juden gezählt. Eine Liste vom Juni 1941 enthielt 9.145 Namen. Rund 3.000 weitere Personen kamen – aus guten Gründen – der Meldepflicht nicht nach, tauchten in der Stadt unter oder flohen aus dem deutschen Besatzungsgebiet. Am 30. Mai 1941 erliess der deutsche Militärbefehlshaber in Serbien, General Helmuth Förster (1889–1965), eine Verordnung, die das Leben der Juden (sowie Sinti und Roma) weiter einschränkte: Sie hatten sich binnen zwei Wochen bei den serbischen polizeilichen Meldeämtern, in deren Bezirk sie ihren Wohnsitz oder Aufenthalt hatten, zur Eintragung in Judenregister zu melden, und sie wurden einer „Kennzeichnungspflicht“ unterworfen (sie hatten am linken Oberarm eine gelbe Armbinde mit dem Aufdruck „Jude“ zu tragen). Diese Verordnung erklärte allgemein „die serbischen Behörden“ für die Durchführungsmassnahmen verantwortlich, woraus sich ein weiterer Bezug zur Kollaboration ergab.

Vernichtung
Bis Ende August 1941 wurden die meisten jüdischen Männer Serbiens in Konzentrationslager gesperrt, so unter anderem in Topovske Šupe nahe Belgrad. Dieses Lager wurde zum zentralen Schauplatz für die Geiselerschiessungen, die als deutsche „Antwort“ auf die bereits angelaufenen Aktionen der kommunistischen Partisanen von Josip Broz Tito (1892–1980) und der zunächst von Grossbritannien favorisierten serbisch-nationalistischen Tschetniks stattfanden. In Topovske Šupe dürften etwa 5.000 über vierzehn Jahre alte Juden getötet worden sein. Anfang November 1941 waren somit kaum noch jüdische Männer (oder Sinti und Roma) in der Gewalt der Deutschen am Leben, die als Geiseln hätten erschossen werden können. Zwischen September 1941 und Juli 1944 war das Lager Sajmište (deutsch: Semlin) – das in Zemun nahe Belgrad lag, formal aber zum NDH gehörte – in Betrieb. Insgesamt dürften hier zwischen 32.000 und 50.000 Personen (jüdische Frauen und Kinder, Serben, Sinti und Roma, Widerstandskämpfer gegen die deutsche Besatzung) interniert worden sein, von denen vermutlich 20.000 bis 23.000 umkamen. Die vorliegenden Schätzungen über die Anzahl der hier getöteten Juden schwanken meist zwischen 7.000 und 10.000. 

Am 4. Oktober 1941 erliess der Wehrmachts-General Franz Böhme (1885–1947) einen Befehl, der den Auftakt zur Vernichtung der männlichen Juden durch Erschiessungskommandos der Wehrmacht bedeutete. Als Anlass diente ihm ein Überfall von Partisanen auf deutsche Soldaten (von denen einundzwanzig getötet worden waren; ein weiterer starb später an seinen Verletzungen) nahe der Stadt Topola zwei Tage zuvor. Er forderte in dem Befehl die Erschiessung von 2.100 Häftlingen, „vorwiegend Juden und Kommunisten“, aus den Lagern in Belgrad und Šabac.4 In einem privaten Brief vom 17. Oktober 1941 berichtete SS-Gruppenführer Harald Turner (1891–1947), damals Chef der deutschen Militärverwaltung in Serbien: „Zwischendurch habe ich dann in den letzten 8 Tagen 2000 Juden und 200 Zigeuner erschiessen lassen nach der Quote 1 : 100 für bestialisch hingemordete deutsche Soldaten und weitere 2.200, ebenfalls fast nur Juden, werden in den nächsten 8 Tagen erschossen.“5 Zwischen 6.000 und 8.000 Juden wurden im Frühjahr 1942 in einem Gaswagen, einer als Lastkraftwagen getarnten mobilen Gaskammer, ermordet. Im August 1942 meldete Turner nicht ohne Stolz an General Ale-
xander Löhr (1885–1947), den Wehrmachts-Befehlshaber Süd-Ost, Serbien sei das „einzige Land“, „in dem die Judenfrage und Zigeunerfrage gelöst“ sei.6 Nur noch Juden in sogenannten Mischehen waren verblieben. 

Die Rolle der Kollaboration
Am 17. Mai 1941 befahl die Stadtverwaltung des deutsch kontrollierten Belgrad den Bezirksleitern unter explizitem Verweis auf das Judenkommissariat der Gestapo, die Arbeitskraft der Juden maximal auszunützen. Ab Ende August 1941 bestand in Serbien eine Regierung der nationalen Rettung unter General Milan Nedić (1878–1946), der 1939 bis 1940 Kriegsminister Jugoslawiens gewesen war. Diese „einheimische Verwaltung“ war freilich de facto ein Instrument der deutschen Herrschaft. Die Basis für Nedićs „Regierung“ war denkbar schmal. Sie stützte sich insbesondere auf die Gendarmerie, die 1942 zur Serbischen Staatswache aufgewertet wurde, auf das vom radikalen serbischen Nationalisten und Antisemiten Dimitrije Ljotić formierte Serbische Freiwilligenkorps (der bewaffnete Arm der serbisch-faschistischen Organisation Vereinigte Kampforganisation der Arbeit – Zbor) und die in Südserbien agierenden („legalen“) Tschetniks von Konstantin „Kosta“ Milovanović Pećanac (1879–1944), die in erster Linie die Tito-Partisanen bekämpften. Felix Benzler (1891–1977), offiziell Reichsbevollmächtigter des [deutschen] Auswärtigen Amtes beim Militärbefehlshaber in Serbien, berichtete am 2. September 1941, Nedić plane, Juden und Freimaurer zu internieren. Vier Wochen später betonte Nedić in einem persönlichen Gespräch mit Benzler seine „volle Loyalität gegenüber den Weisungen deutscher Besatzungsbehörden“. Ferner gab Nedić seiner Absicht eines „schärfsten sofortigen Vorgehens gegen Juden“ Ausdruck.7 Hinter solchen Äusserungen kann man schlecht andere Motive entdecken denn die Absicht, sich bei der deutschen Besatzungsmacht „lieb Kind“ zu machen. 

h130_24.jpg

 Draza Mihailovic, 1943. Foto: unbekannt. Quelle: Wikimedia Commons, gemeinfrei, https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/72/Draza_Mihailovic%2C1943.jpg, abgerufen am 07.08.2021.

 

Während des Krieges identifizierten die für ein „Gross-Serbien“ eintretenden Tschetniks die von ihnen bekämpften Tito-Partisanen zunehmend mit „den Juden“. Die von den Briten 1944 fallengelassenen Tschetniks ermordeten Juden oder übergaben sie den Deutschen. Spätestens Anfang 1945 war die Lage der Tschetniks, deren Anführer Dragoljub „Draža“ Mihailović (1893–1946) „die Juden“ zu den „schlimmsten Schlächtern des serbischen Volkes“ zu zählen pflegte8, völlig aussichtslos. In der Literatur zumindest der deutschsprachigen Länder scheint eine erhebliche „Berührungsangst“ mit dem Thema der serbischen Kollaboration im Zweiten Weltkrieg zu bestehen. Das zeigt sich beispielsweise in Walter Manoscheks bekanntem – und vielfach gelobtem – Buch Serbien ist judenfrei. Militärische Besatzungspolitik und Judenvernichtung in Serbien 1941/42. Dieser Autor begnügt sich mit dem Hinweis, von Seiten der Nedić-„Regierung“ sei, ebenso wie von der serbischen Bevölkerung, „mit keinerlei politischen Schwierigkeiten“ für die deutschen Besatzer beim Holocaust zu rechnen gewesen. In jenem Kapitel seines Buches, in dem Manoschek konkret auf die serbische Kollaboration einzugehen den Anspruch erhebt, findet sich nichts über deren Rolle beim Holocaust. Im Abschnitt Die politischen Ziele der Mihailović-Četniks kommt deren „Judenpolitik“ gar nicht vor9 – und das ist erstaunlich für ein Werk, das den Begriff „judenfrei“ im Titel hat. Raphael Israeli zog folgendes Fazit: „Viele Serben halfen den Nazis, die ‚Endlösung‘ zu verfolgen, und zwar hinausgehend über das, zu dem sie gezwungen waren.“10 Ein Kampf gegen die deutsche Besatzung bedeutete weder in Serbien noch in anderen Ländern Europas automatisch auch „Widerstand gegen die Vernichtung der Juden“.

h130_36.jpg

Milan Nedic, 1939. Foto: unbekannt. Quelle: Wikimedia Commons, gemeinfrei, https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/30/Milan_Nedić_1939.jpg, abgerufen am 07.08.2021.
 

h130_35-kopie.jpg

Das von den Achsenmächten okkupierte Jugoslawien, 1941 - 1943. Autor: Hellerick. Quelle: Wikimedia Commons, gemeinfrei, https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/8f/1941-1943_Axis_occupation_of_Yugoslavia_map.svg, abgerufen am 07.08.2021.
 

Bilanz
Die meisten Juden waren in Serbien selbst von den deutschen Besatzern und ihren serbischen Helfern (also nicht in den Vernichtungslagern im besetzten Polen) ermordet worden. Die Ermittlung genauer Zahlen ist auch nach Jahrzehnten schwierig beziehungsweise mit grossen Unsicherheiten behaftet, sodass die vorliegenden Daten mitunter erheblich differieren oder einander überhaupt widersprechen.
Dem U.S.-Aussenministerium zufolge hatten auf jenem Gebiet, das heute der Republik Serbien entspricht, Anfang 1941 17.200 Juden gelebt; davon seien 15.060 ermordet worden beziehungsweise umgekommen.11
Die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem ging hingegen von ursprünglich 16.000 Juden in Serbien aus, von denen ca. 14.500 getötet worden seien.12

1 Vgl. Martin Malek: Die Juden in Kroatien. Serie, Teil II. In: David, Nr. 125, Juni 2020, S. 9-11.

2 Das königliche Jugoslawien (1918-1941) hatte keine Teilrepubliken gekannt. Diese wurden erst nach 1945, im kommunistischen Jugoslawien, gebildet.

3 Holm Sundhaussen: Geschichte Serbiens. 19.–21. Jahrhundert. Wien / Köln / Weimar 2007, S. 311.

4 Zitiert nach: Walter Manoschek: „Serbien ist judenfrei“. Militärische Besatzungspolitik und Judenvernichtung in Serbien 1941/42. München 1995, S. 84.

5 Für den Text des entsprechenden Dokuments vgl. Sara Berger u.a. (Bearbeitung): Besetztes Südosteuropa und Italien. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945, Band 14. Berlin/Boston 2017, S. 385-370, hier S. 387, hier S. 386.

6 Milan Ristović: Die Flüchtlinge und ihre Verbündeten: Solidarität und Hilfe in Serbien 1941-1944. In: Wolfgang Benz / Juliane Wetzel (Hrsg.): Solidarität und Hilfe für Juden während der NS-Zeit. Berlin 2004, S. 99-154, hier S. 109. – Tatsächlich war es das zweite entsprechende Land; bereits zuvor hatte das deutsche „Einsatzkommando A“ die Juden Estlands ermordet.

7 Für den Text des entsprechenden Dokuments vgl. Berger u.a. a.a.O., S. 369.

8 Zitiert nach: Marko Attila Hoare: Genocide and Resistance in Hitler’s Bosnia: The Partisans and the Chetniks, 1941–1943. New York 2006, S. 161.

9 Manoschek a.a.O., S. 105, 109-121, 114f.

10 Raphael Israeli: The Death Camps of Croatia. Visions and Revisions, 1941-1945. New Brunswick / London 2013, S. 23.

11 The JUST Act Report: Serbia. U.S. Department of State, https://www.state.gov/reports/just-act-report-to-congress/serbia/ (27.07.2021).

12 Yad Vashem: Shoa Resource Center, https://www.yadvashem.org/odot_pdf/Microsoft%20Word%20-%206015.pdf (26.01.2021).