Ausgabe

Im Zauber der Quellen Wien in Baden Eine Hausgeschichte von Lisa Fischer

Ingrid Nowotny

Inhalt

Ein berührendes Buch
Ein Haus in Baden, Weilburgstrasse 53, wird zum Angelpunkt für eine weit über das Lokale hinausgehende – oder umgekehrt eine vom Überregionalen zum Einzelschicksal führende – Erzählung einer Epoche der österreichischen Geschichte: den Weg des jüdischen Bürgertums in die führenden Kreise der Gesellschaft. Dokumente — Baupläne, Kaufverträge, Verlassenschaftsabhandlungen, Kurlisten werden spannend mit Leben erfüllt. Nicht nur die Sprache des Buches ist farbig; jedes Bild von Pedro Salvatore ist ein ästhetisches Kunstwerk, eine Freude für die Sinne. 
Die Schwefelthermen von Baden sind seit Jahrtausenden Anziehungspunkt für Heilungssuchende. Reste des antiken Aquae bezeugen, dass die effiziente Administration des Römischen Reiches sogar imstande war, eine hochentwickelte Thermenkultur in das entlegene, raue und kalte Noricum zu bringen. Auch der Wein hat diesen Weg genommen – beides bestimmend bis in die heutigen Tage. Nach den Napoleonischen Kriegen erhoben Kaiser Franz II. (I.) und seine Brüder, die Erzherzöge Karl, Anton und Rudolf, den Kurort an der Thermenlinie zu ihrem sommerlichen Lebensmittelpunkt. Ein Haus am Hauptplatz wurde erworben und (bis zur Ablöse durch die Kaiservilla in Bad Ischl) durch die kaiserliche Familie bewohnt. „Kaiserliche Residenz“ wäre hochtrabend; die Lebensführung entsprach in ihrer Einfachheit dem Zeitgeist des Biedermeier: Rückzug ins Häusliche. Dennoch suchten viele einflussreiche und mächtige Persönlichkeiten die Nähe zum Kaiser, zunächst der Hof-, später auch der Geld-
adel. 
Erzherzog Karl, der Sieger von Aspern, investierte in ein Sommerschloss, später zur Weilburg ausgebaut. Die Weilburgstrasse wurde zum Prachtboulevard und geriet in den Fokus des scharfen Satirikers und liberalen jüdischen Humanisten Daniel Spitzer: Für ihn sind seine Bewohner und Flanierer alte Wiener „Residenzsünder“, denen die Ärzte „Tugend und warme Bäder“ verordnet haben. 1871 erwirbt der Seidenfabrikant Tobias Biehler vom Brillantengrund in Wien das ehemalige Weinhauerhaus Nr. 53: Es wird, aus- und umgebaut im Stil des historisierenden Klassizismus der Wiener Ringstrasse, zum Domizil einer hochkultivierten Familie; die Tochter Ludmilla Biehler ging als Pianistin in die Wiener Musikgeschichte ein. 1899 folgte der nächste Eigentümer, die jüdische Holzindustriellenfamilie Lackenbacher, die das Haus vergrösserte – Mietwohnungen sollten die wirtschaftliche Basis festigen – und eine neue Fassade im Stil der Deutschen Neorenaissance schuf. Die Familie Lackenbacher stammte aus einer der einst blühenden Sieben Gemeinden des damals zur ungarischen Reichshälfte gehörenden Burgenlandes – heute zerstört und verschwunden.
Das jüdische Wiener Bürgertum war dem Zauber der Quellen in Badens nunmehr vollends verfallen – auch dank der guten Infrastruktur durch Südbahn und Badner Elektrische, ebenfalls Errungenschaften jüdischen Unternehmergeists. Auf Weilburgstrasse 29 zog die Familie Gallia ein, mit Auer von Welsbach im Elektrizitätsgeschäft federführend tätig. Ihr Kunstsinn zeigt sich in Gustav Klimts Portrait von Hermine Gallia der National Gallery London. Tim Bonyhady, ein Nachkomme, zeichnet in berührender Weise die Vertreibung der Familie nach Australien und die Rettung des Kulturguts ihrer Wohnung in seinem Buch Wohllebengasse nach. 
Ein paar Häuser weiter zog die Familie der „Kohlenbarone“ Gutmann ein; sie hatten ein Industrieimperium – Bergbau, Kohle, Gasversorgung – aufgebaut. Architekten und Künstler planten und statteten die Villa grosszügigst aus. Diese wurde bald zum Treffpunkt von Literaten wie Arthur Schnitzler oder Eduard von Bauernfeld. 
Auch Samuel Ritter von Hahn, Direktor der Südbahn-Gesellschaft, liess – von Otto Wagner – eine Villa in der Weilburgstrasse planen. Weiters treffen wir auf die Namen Todesco,
 Lieben, Diener, Eckstein, Rosthorn oder Friedmann – eine Fülle jüdischer Badener Residenten. 
Die Familie des Gerichtsadvokaten Josef Pick verbrachte viele Male ihre Sommerfrische in Baden – mit ihren später bedeutenden Töchtern Käthe und Valerie. Käthe, verehelicht mit dem Publizisten Otto Leichter, ging als Ökonomin der Arbeiterkammer in die Wirtschafts- und Vally, Frau des Komponisten Karl Weigl, als Pionierin der Musiktherapie in die Bildungsgeschichte ein. Vally konnte sich in die U.S.A. retten, Käthe wurde im KZ Bernburg ermordet. 
Nach dem Ersten Weltkrieg konnte 1926 das Strandbad erbaut werden, denn es gab wieder Sommergäste. 1934 umfasste die jüdische Kultusgemeinde Baden 2.400 Mitglieder; die Kurstadt war somit nach Wien und Graz die Stadt mit der grössten jüdischen Gemeinde Österreichs. Noch herrschte in Baden ein Klima des Zusammenhalts, länger als anderswo, denn die Lebensader einer Kurstadt ist Ruhe und geordnetes Leben. Doch Armut und Arbeitslosigkeit im Zuge der Wirtschaftskrise von 1929 führten zu immer schärferen Formen des Antisemitismus. 
Mit dem Einmarsch Hitlers galten sofort die rassistischen Nürnberger Gesetze. 300 Häuser wurden enteignet, fast die Hälfte des Bestandes, die Besitzer mit Berufsverbot belegt, denunziert, vertrieben und ermordet. Der kultivierte Kurbetrieb sank zu Kraft-durch-Freude-Aktionen herab. 
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg herrschten Chaos und Gewalt. Baden wurde als Zentrum der Kommandatur zum Hauptort der russischen Besatzungszone. Durch Einquartierungen und Devastierung litt die Bausubstanz schwer. An Sommerfrische und Kur war nicht mehr zu denken. Die Wirtschaft lag darnieder. 
Selbst nach dem Abzug der Besatzungstruppen konnte oder wollte man den Schaden nicht mehr reparieren. Die Sprengung der Weilburg mag hier als mahnendes Symbol dieses Umgangs mit Kulturgut dienen. Restituierte Objekte wurden zu Spottpreisen verkauft. Villen mussten Wohnbauten weichen, der einstige Prachtboulevard Weilburgstrasse war ein Schatten seiner selbst. 
Erst der Wohlstand der letzten Jahrzehnte lässt ein Umdenken erkennen. Liebevolle und aufwändige Restaurierungen retteten fast aufgegebene Ruinen und lassen Zeugnisse einer vergangenen Kultur wieder sprechen. Die im Novemberpogrom 1938 schwer beschädigte und von der russischen Besatzung als Mannschaftsküche verwendete Synagoge ist wiedererstanden; ihr angeschlossen ist ein Zentrum für Interkulturelle Begegnung. Grund zur Hoffnung! 
Das Buch von Lisa Fischer macht eine vergangene Welt lebendig und verführt uns in den Zauber der Quellen. Aber bei Weitem nicht nur das, es entreisst einen wichtigen Beitrag des jüdischen Bürgertums zu unserer Kultur dem Vergessen. 
Begeben wir uns wieder auf jüdische Spuren in Niederösterreich! Das nächste Mal vielleicht zum jüdischen Friedhof bei Oberstockstall, versteckt mitten im Wald, verwachsen, verwunschen, von einer Mauer umgeben… 


Lisa Fischer: Im Zauber der Quellen 
Wien in Baden - Eine Hausgeschichte
Edition MoKKa, Wien 2018
176 Seiten, gebunden, Euro 28,50
ISBN: 978-3902693754