Ausgabe

Wisst ihr, woher die Einheit stammt?

Gregor Gatscher-Riedl

Inhalt

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Harald Seewann: „Auf mein Volk, zu edlem Tun ...“.
Rückschau auf das Werden und Wirken der Jüdisch-Akademischen Verbindung „Unitas“ Wien (1893–1938).

Graz: Privatdruck 2023.

392 Seiten, zahlreiche Illustrationen und Faksimiles.

Das Werk kann für 32 Euro plus Porto bestellt werden unter
c.h.seewann@aon.at, postalisch: Prof. Harald Seewann,
Resselgasse 26, A-8020 Graz.

 

„Wisst ihr, woher die Einheit stammt? ...“ fragte Nathan Birnbaum alias Mathias Acher (1867–1934) im Bundeslied der von ihm 1883 mitgegründeten AV „Kadimah“ Wien, der ältesten jüdischen Studentenorganisation, die nach und nach die Form einer farbentragenden, waffenstudentischen Hochschulverbindung angenommen hat. Diese Richtungsentscheidung vollzog sich aber nicht friktionslos, sondern wurde für „Kadimah“ zur Zerreissprobe. Eine Gruppe, die ihrerseits mit der Geschwindigkeit der Umwandlung nicht einverstanden war, scharte sich um den Medizinstudenten Karl Pollak (1871–1935) und gründete am 5. Dezember 1893 die Unitas mit violett-weiss-goldenen Bändern und später lichtgrauen Tuchkappen. Ihre Mitglieder wurden auf Grund des ausgeprägten Renommierbedürfnisses auch als „Frack-Uniten“ bezeichnet, da dieses Kleidungsstück zu besonderen Veranstaltungen angelegt werden musste (und bei den Chargierten die studentische Festtracht der „Wichs“ ersetzte). Der 1937 aufgenommene Arthur (George) Weidenfeld (1919–2016), später Baron Weidenfeld, schilderte die Zusammensetzung der Verbindung, die den Ruf hatte, „weltoffen, gesellig und kämpferisch zu sein“ und den „Rekord an Duellen“ an den Wiener Hochschulen zu halten. 

 

Bannerträgerin der revisionistischen Bewegung 

Obwohl Weidenfeld in Israel zeitweilig zu den engen politischen Mitarbeitern Chaïm Weizmanns (1874–1952) ­zählte, ist das Wirken der Unitas mit einer anderen Richtung des ­Politischen Zionismus verbunden. Die Verbindung verlieh 1924 das Ehrenband an den zuvor in Mitteleuropa kaum bekannten Wladimir Zeew Jabotinsky (1880–1940) und ­stellte sich in die Reihe der engen Mitarbeiter des Begründers und Anführers des Revisionistischen Zionismus. Die ­Uniten und viele andere Studenten erblickten in Jabotinsky d e n Nachfolger Theodor Herzls, und so, wie sich die ­„Kadimah“ drei Jahrzehnte zuvor als Kerntruppe des Politischen Zionismus bewiesen hatte, scharten sich nun die Uniten um den „Nassi“: Arthur Koestler (1905–1983), später Schrift­steller und Kommunist, wirkte zeitweilig als Jabotinskys ­Sekretär und Bundesbruder Wolfgang von Weisl (1896–1974), im Unabhängigkeitskrieg Artilleriekommandant im Negev und später Politiker der „Cheruth“-Partei, baute die revisionistische Organisation mit auf, die als „Neue Zionistische Organisation“ 1935 im Wiener Konzerthaus erstmalig in ­Erscheinung trat. 

Unitas, die einen hohen Anteil an Medizinern in ihren Reihen und bis in die Zwischenkriegszeit stark in Mähren und Österreichisch-Schlesien verwurzelt war, teilte das Schicksal der übrigen jüdischen Korporationen, die nach dem ­Anschluss 1938 aufgelöst wurden. Ihre Burschen und Alten Herren wurden in der Schoah ermordet oder in die ganze Welt vertrieben. Umso verdienstvoller ist Harald Seewanns Veröffentlichung, die das Puzzle an Quellen, Notizen und ­Dokumenten zusammenführt und zugänglich macht. Die Innensicht einer Korporation erwacht damit wieder zum ­Leben, über die ihr Mitglied Arthur Koestler einmal schrieb: 

„Blicke ich heute als ein Veteran zahlloser Fehden und Fraktionskämpfe in den Ghettos der Zeitungsredaktionen, der kommunistischen Zellen und Schriftstellerkongresse auf jene Zeit zurück, scheint es fast unglaublich, dass ich, ein höchst neurotischer junger Mensch, drei Jahre im täglichen engsten Kontakt mit einer Gruppe von jungen Intellektuellen – noch dazu jüdischen – verbracht habe, ohne einen einzigen Streit miterlebt zu haben oder gar in einen solchen verwickelt worden zu sein.“