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Wer machte die Fotos? Lozelach aus dem Hause Todesko Teil III

Michael Bittner

Julius Leth hatte im „Todesko Bazar“ sein Fotoatelier, aber die Todesko-Oppen­heimers gingen nicht einfach zu ihrem Mieter hinunter, sondern suchten qualitativ hochwertiges Handwerk – wie auch bei der Ausstattung ihres Palastes.

Inhalt

Das hätten die Todesko-Oppenheimers von einer jüdischen Fotografin auch haben können, Adele Perlmutter führte das mondäne Atelier Adèle als k.u.k. Hof-Photographin.2 Doch die jüdische Solidarität war damals offenbar sehr schwach entwickelt, die Familie Todesko bevorzugte den berühmten Photographen Ludwig Angerer, später seinen Bruder Victor (1839–1894)3 (Abbildung 1); über Jahrzehnte liessen sich die Familienmitglieder von den Angerers ablichten. Die Brüder waren für die Qualität ihrer Fotografien berühmt, die Aufnahmen sind technisch perfekt, die Schärfe ist unbestechlich, die Beleuchtung raffiniert. Angeblich fotografierte Victor Angerer prinzipiell nur in seinem eigenen Atelier und selbst der Kaiser und dessen Gemahlin Sisi mussten sich dorthin bemühen.

Oftmals wird behauptet4, dass die Fotos der Lebenden Bilder nach Hofmannsthal von Victor Angerer gemacht worden seien; dafür gibt es aber bei den erhaltenen Fotos in Wien und London keinen Hinweis. Ganz offensichtlich sind die Aufnahmen im Palais Todesko von verschiedenen Fotografen hergestellt worden – zu unterschiedlich sind die Beleuchtung, die Belichtungszeit, die Komposition. Einzig die Siesta nach Makart5 erreicht die Qualität von Angerers Bildern, eine hervorragende Aufnahme. Perfekt ausgeleuchtet, mit tiefen Schatten und einer kleinen Blende fotografiert, die langes Stillhalten der Modelle erforderte, aber dafür optimale Schärfentiefe brachte.

Ganz anders die überbelichteten Aufnahmen Xanthe und Phaon, Hochzeitszug und auch das Schlussbild6, die weder schön komponiert noch scharf sind. Leider hat der Fotograf nicht gesehen, dass sich das Mädchen neben Hugo von Hofmannsthal bewegt hatte oder dass etliche der jungen Damen so sehr wegschauen, dass sie unkenntlich sind. Diese Fotos sind so schlecht, dass sie an den Sketch von Karl Valentin (Im Photo-Atelier)7 erinnern, wo die Kardinalfrage gestellt wird: „Soll der Kopf auch drauf sein?“ 

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Abb. 1: Victor Angerer, 1894. Quelle: Photographische Correspondenz.

Einen Sonderfall stellt Romeo und Julia nach Hans Makart dar: eine perfekte Nachstellung, die allerdings mit einer offenen Blende fotografiert ist, die einen Grossteil des Bildes in Unschärfe versinken lässt, leider auch das Gesicht des Felix von Oppenheimer, des Sohnes der Hausherrin. Dafür ist der Polster, den er sich unters Knie geschoben hat, damit er nicht so leiden muss, umso schärfer geraten. Ganz links, leider auch unscharf, sieht man ein Schmiedeeisengitter, das dem des Stiegenhauses im Palais in der Kärntnerstrasse gleicht. 

 

Möglicherweise war dort der „Tatort“, auf dem mit Hilfe von reichlich Staffage aus Pappmaché der Balkon der Capuleti ins Bild gesetzt wurde. (siehe Abbildungen 2 und 3)

Die aufwändig auf Kulissenleinwände gemalten Hintergründe sind individuell angefertigt, also vermutlich nicht aus dem Fundus von Bernhard Wachtl, dem Ausstatter der Wiener Fotoateliers.8 Wachtl (1852–1920)9 war ein erfolgreicher jüdischer Unternehmer, dessen Versatzstücke auf fast jedem alten Familienfoto zu sehen sind – Säulen, Geländer, Möbel, Rahmen und so weiter. Es bleibt ein eigenartiger Gegensatz zwischen der Szenerie, den opulenten Kostümen und der eher lieblosen Inszenierung durch die Fotografen, die oft nicht auf die „Gunst des Augenblicks“ gewartet hatten.

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Abb. 2: Detail Stiegenhaus, Palais Todesko. Foto_ M. Bittner, mit freundlicher Genehmigung

Die Lebenden Bilder wurden nicht bei der Aufführung fotografiert, sondern davor oder danach – bei der Aufführung hätten die Fotografen den Kunstgenuss gestört. Dabei musste es offenbar schnell gehen: Auf der Siesta sieht man deutlich die zusammengezimmerte Bühne, nur teilweise durch einen Perserteppich verdeckt, auf der Ländlichen Unterhaltung nach Jean Baptiste Pater10 steht ein Schaf aus Papiermaché mit anhängendem Blumenbüschel in vorderster Reihe, links musste der Hintergrund leider angestückt werden. Dazu kommt, dass in der unberührten Natur ein Teppich liegt, den man nicht niedergenagelt hat (siehe Abbildung 4). Das Schlussbild11 ist das schlechteste von allen Fotos, in der Mitte Yella von Oppenheimer, rund um sie unscharfe und überbelichtete Gestalten, in der Bildmitte sieht man die Fuge zwischen den Brettern, die die Welt bedeuten.

Der berühmte Fotograf machte solche Fehler, und das bei einem Auftrag der Baronin Oppenheimer? Dies wird aus der Biografie Angerers erklärbar. Angerer litt in seinen letzten Jahren an den Folgen eines Beinbruchs, den er sich 1890 beim Angeln zugezogen hatte und der seinen Bewegungsradius einschränkte. Offenbar engagierte er Gehilfen, vielleicht auch seinen Nachfolger. Ein Jahr nach dem grossen Fest, 1894, starb er mit fünfundfünfzig Jahren an einer Gehirnblutung. Ab 10. Juni 1894 war sein Schwiegersohn Johann Moritz Winter Inhaber der Firma V. Angerer, er suchte erfolgreich um den Titel eines „k.u.k. Hof-Photographen“ an.12

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Abb. 3: Romeos Kniepolster. Abbildung: M. Bittner, mit freundlicher Genehmigung.

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Abb. 4: Detail Ländliche Unterhaltung. Abbildung: M. Bittner, mit freundlicher Genehmigung.

So blieb von dem glanzvollen Ereignis nur eine einzige eindrucksvolle Fotografie zur Erinnerung übrig – die Siesta am Hofe der Medici nach dem Gemälde von Hans Makart mit Anna von Lieben (Freuds „Cäcilie M.“) als eindrucksvoller Hauptfigur.13

Anmerkungen

 

1 Siehe Abbildung 4

2 https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Adele_Perlmutter, abgerufen 1.12.2022

3 https://www.biographien.ac.at/oebl/oebl_A/Angerer_Victor_1839_1894.xml, abgerufen 2.12.2022 – Victor Angerer in seinem Todesjahr 1894 siehe Abbildung 1 (Public domain) https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/59/Victor_Angerer_1894_Photographische_Correspondenz.jpg

4 Folie, Sabine; Glasmeier, Michael: Tableaux Vivants. Lebende Bilder und Attitüden in Fotografie, Film und Video (Text Mara Reissberger), Kunsthalle Wien, 2002, S. 194

5 https://onb.wg.picturemaxx.com/?16756386081222671803, abgerufen 1.12.2022

6 TGA-20129-6-7-1-2-1_9; TGA-20129-6-7-1-11-1_9; TGA-20129-6-7-1-12-1_10

7 https://www.youtube.com/watch?v=cdbgy9d8xMI, abgerufen 3.12.2022

8 Herzlichen Dank an Dr. Monika Faber für den Hinweis; manche Teile der Staffage, besonders die künstlichen Steine auf der „Kriegsbeute“ nach Czermak (TGA-20129-6-7-1-9-1_10), sehen wie Produkte der Firma Wachtl aus

9 https://billiongraves.com/grave/Bernhard-Wachtl/23489123 abgerufen 1.12.

10 https://onb.wg.picturemaxx.com/?16756386081222671803

11 In der ÖNB nicht vorhanden, TGA-20129-6-7-1-12-1_10

12 https://docplayer.org/109786446-Diplomarbeit-titel-der-diplomarbeit-victor-angerer-momentfotografie-in-oesterreich-verfasserin-laura-tomicek-angestrebter-akademischer-grad.html, abgerufen 2.12.2022

13 TGA-20129-6-7-1-7-1_10, NB 10D79571