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Der Komponist Erich Zeisl

Karin Wagner

Am 18. Mai 1905 wurde Erich Zeisl in Wien geboren, er war jüdischer Herkunft, seine Eltern betrieben inder Leopoldstadt das Café Tegetthoff

 

Inhalt

Früh zeigte Erich Zeisl (18.05.1905 Wien–18.02.1959 Los Angeles) Begabung für Komposition und Improvisation am Klavier, fünfzehnjährig trat er gegen den Willen der Eltern 1920/21 an der Akademie für Musik und darstellende Kunst Wien in die Klasse Richard Stöhrs (1874–1967) ein. Musik spielte im Hause Zeisl zwar eine wichtige Rolle, der Weg des angehenden Komponisten jedoch schien nicht zukunftstauglich zu sein. Stöhr aber erkannte die Fähigkeiten des Jugendlichen und unterrichtete ihn fortan privat. Weitere Lehrer Zeisls waren Joseph Marx (1882–1964) und Hugo Kauder (1888–1972). 

Im Kreis der moderaten Wiener Moderne konnte Erich Zeisl sich an der Seite von Komponisten wie Franz Mittler (1893–1970), Julius Chajes (1910–1985), Marcel Rubin (1905–1995) und Ernst Kanitz (1894–1978) erfolgreich etablieren. Als Mitglied der interdisziplinären Gruppierung „Junge Kunst“ stand er in Austausch mit dem Dichter und Psychoanalytiker Alfred Farau (geb. Fred Hernfeld) (1904–1972). Daneben unterhielt er eine tiefe Freundschaft mit der Literatin Hilde Spiel (1911–1990) und war durch künstlerische Zusammenarbeit mit dem Librettisten Hugo F. Königsgarten (1904–1975) und den Dirigenten Kurt Herbert Adler (1905–1988) und Karl Oskar Alwin (1891–1945) verbunden. Bezugnehmend auf Zeisls bis dahin bereits stark angewachsenes Œuvre (Kunstlieder, Kammermusik-, Chor- und Orchesterwerke, eine frühe Oper und das zeittypisch von „­Jazziness“ durchsetzte Ballett Pierrot in der Flasche [1929]) rezensierte Paul Amadeus Pisk (1893–1990) diesen im Jahr 1934 als „eine der stärksten Persönlichkeiten der noch nicht dreissigjährigen Wiener Komponisten“.

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Sigmund Zeisl, Kaffeehausbetreiber in Wien, mit den Söhnen Erich (links), Egon, Walter und Wilhelm, um 1920.

 

Im Januar 1938 schrieb Zeisl mit Komm süsser Tod sein letztes Lied in deutscher Sprache – ein Abgesang an die Welt des deutschen Kunstlieds, resignativ und vielsagend im Typus Schubert-Lied gehalten. Im März 1938 brach Zeisls aufstrebende Karriere dann jäh ab. Die für April/Mai 1938 unter Kurt Herbert Adlers Dirigat geplante Aufführung des Singspiels Leonce und Lena (1937) im Schönbrunner Schlosstheater konnte nicht mehr realisiert werden, der Name „Erich Zeisl“ verschwand von den Spielplänen und fand sich in den Listen verfemter Künstlerinnen und Künstler wieder. Im Frühjahr und Sommer 1938 wich die Familie Zeisl vor dem aggressiven Naziterror nach Baden bei Wien aus. Auch dort spitzten sich die Repressalien gegen die jüdische Bevölkerung ins Unerträgliche zu. Nach der „Reichspogromnacht“ im November 1938 gelang den Zeisls die Flucht aus Österreich. Erich und Gertrud Zeisl (1906–1987) sowie der Bruder ­Wilhelm Zeisl (1907–1972) verfügten über Affidavits eines New Yorker Namensgleichen. Zeisls Schwiegermutter Ilona Jellinek (1884–1971) konnte ebenso aus Wien flüchten, ­seine Eltern musste Zeisl zurücklassen. 

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Egon Zeisl, Hilde Spiel, Gertrud Jellinek (Zeisl), Hedi Gägerli mit Ehemann, Erich Zeisl, um 1935.

Erste Station des Exils war Paris. Hier traf Erich Zeisl die bereits früher geflüchteten Brüder Egon Zeisl (1901–1964) und Walter Zeisl (1902–1949) wieder, er begegnete Darius Milhaud (1892–1974) und war über die Pariser Exilzirkel mit Paul Stefan (1879–1943), Marcel Rubin (1905–1995), Alma Mahler-Werfel (1879–1964), Franz Werfel (1890–1945), Georg Moenius (1890–1953) und Hans Kafka (1902–1974) verbunden. Sowohl biographisch als auch stilistisch bedeutete das Pariser Zwischenexil einen Wendepunkt: Zeisl betonte seine jüdischen Wurzeln und verdeutlichte dies über die Bühnenmusik zu Hiob erstmals öffentlich. Anlässlich des Todes von Joseph Roth (1894–1939) kam der Stoff mit Mitgliedern des Wiener Reinhardt-Ensembles am 3. Juli 1939 auf die Bühne des Théâtre Pigalle. Zunächst im Pariser Hotel Perey untergebracht, konnten die Zeisls ab Juni 1939 gemeinsam mit Hans Kafka, dem Librettisten der späteren Oper Hiob, ein Haus im ausserhalb von Paris gelegenen Le Vésinet mieten. Der neue Wohnort mit der symbolträchtigen Adresse „39, route de l’Asile“ wurde zum Ort der Begegnung für die deutschsprachige Exilgemeinde.

Noch vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verliessen die Zeisls Europa und landeten im September 1939 in New York. Trotz ärmlicher Verhältnisse erlebte Zeisl eine Zeit des Aufschwungs, unerwartet erbrachten Radioausstrahlungen, Zeitungsberichte und Aufführungen ihm einige Popularität. Auch gab die Geburt der Tochter Barbara im Mai 1940 neue Impulse. Ein gesichertes Einkommen durch Arrangements für das Radio ermöglichte der nun dreiköpfigen Familie die Übersiedlung nach Mamaroneck im Staat New York. 

Mit Unterstützung der Freunde Hans Kafka und Hanns Eisler (1898–1962), welche beide bereits in Hollywood unter Vertrag standen, folgte Zeisl 1941 einer vielversprechenden Einladung von Metro-Goldwyn-Mayer und startete in Los Angeles seine Tätigkeit als Filmmusikkomponist. Neben der Arbeit an den populären Landschaftskurzfilmen Fitzpatrick Traveltalks schrieb er Musik zu Filmen wie Journey for Margaret (1942), Reunion in France (1942) oder The Postman Always Rings Twice (1946). Enge Vertraute wurden die ebenfalls im „movie business“ tätigen Komponisten Erich Wolfgang Korngold (1897–1957), Ernst Toch (1887–1964), Alexandre Tansman (1897–1986) und Mario Castelnuovo-Tedesco (1895–1968). Nach nur achtzehn Monaten löste die Filmcompany allerdings den Vertrag. 

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Eric(h) Zeisl - Filmkomponist in Hollywood, frühe 1940er Jahre.

Zeisl erlebte die Schattenseiten einer von Kalkül bestimmten Glamour-Welt, in der Musik ohne jeden künstlerischen Anspruch produziert wurde. Ironisch doppelbödig bezeichnete er Hollywood als „Schein-Heiligenstadt“: Die in die „Traumfabrik“ gesetzten Hoffnungen blieben gänzlich unerfüllt, vielmehr verursachte die Hollywood-Tristesse eine tiefe Schaffenskrise. 

In der intensiven Hinwendung zu „jüdischer“ Musik schliesslich fand Zeisl neue Ausdruckssphären. 1944/45 schrieb er mit dem Requiem Ebraico ein im Gegensatz zu früheren Werken tiefreligiöses Stück, das er seinem in Treblinka ermordeten Vater und den Opfern des Holocaust widmete. Heute gilt das Requiem als eine der ersten musikalischen Reaktionen auf die Tragödie in Europa. 

Erich Zeisl verstarb 1959 nach einer Vorlesung am Los Angeles City College an den Folgen eines Herzinfarkts. Meinte er 1946 im Brief an Hilde Spiel noch, dass Wien „viel mehr entnazt sein“ müsste, „ehe“ er sich „hintraute“,2 so machte sein unerwartet früher Tod eine Rückkehr in die Heimatstadt unmöglich. 

Anmerkungen

 

1 Pisk, Paul Amadeus: Erich Zeisel [sic!]. Stunde österreichischer Komponisten am Mittwoch 31. Jänner, 17.20 Uhr, in: Radio Wien. Wochen-Programm, Jg. 10, Heft 18, Österreichische Radio-Verkehrs-A.-G. (Hg.), 26. Jan. 1934.

2 Erich Zeisl an Hilde Spiel, undatiert. Zit. n. Wagner, Karin (Hg.): ... es grüsst Dich Erichisrael. Briefe von und an Eric Zeisl, Hilde Spiel, Richard Stöhr, Ernst Toch, Hans Kafka u. a.. Wien 2008, S. 232.

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Eric(h) Zeisl, 1950er Jahre.

 

Nachlese

 

Karin Wagner: Fremd bin ich ausgezogen. Eric Zeisl. Biografie. Czernin Verlag Wien 2005.

Dies.: ...Es grüsst dich Erichisrael. Briefe von und an Eric Zeisl, Hilde Spiel, Richard Stöhr, Ernst Toch, Hans Kafka u.a. Czernin Verlag Wien 2008.

 

 

Alle Abbildungen: Nachlass Erich Zeisl, Barbara Zeisl-Schoenberg, Los Angeles. Mit freundlicher Genehmigung: K. Wagner.