Sabine Mayr
Gabriel Herlich: Freischwimmer.
Bielefeld: Pendragon Verlag 2023.
262 Seiten, Euro 24,00.–
ISBN 978-3-865-32830-4
In seinem Debütroman „Freischwimmer“ fängt Gabriel Herlich die Stimmungsberg- und -talfahrt eines Jugendlichen im Laufe eines prägenden Sommers ein. Donatus Frey hat in der Schule keine Freunde gefunden und zieht zu Studienbeginn mit zwei Rechtsextremen in eine Wohnung. Donnie studiert Malerei und malt Porträts. Sein Vater Ludwig Frey hat die Kunstgalerie seines Grossvaters, eines NS-Mitläufers und -Profiteurs, übernommen. Ludwig weiss, dass es sich bei ihrem im Wohnzimmer hängenden Lieblingsbild, das ein Mädchen zeigt, das auf einer Steinmauer sitzt und zum Meer blickt, um Raubkunst handelt, die Nazis als „entartete Kunst“ aus Galerien und Museen entfernten und privat plünderten. Donnie weiss es nicht. Marlon, Alwin und Donnie terrorisieren ihre Nachbarn, pöbeln und kratzen Hakenkreuze in Autos, was nicht ohne Folgen bleibt. Als Donnie Meggie kennen lernt und beim Sozialdienst im Altersheim deren Grossmutter Teofila Rosen begegnet, beginnt er erwachsen zu werden und Verantwortung zu übernehmen. In einem spannenden Coming-of-Age-Roman thematisiert Gabriel Herlich die Problematik der vielen nicht restituierten, in Privatbesitz befindlichen NS-Raubkunstwerke. Mit knappen Beschreibungen setzt der einfallsreiche Autor einen überraschenden Handlungsverlauf und Donnies fortschreitende Erkenntnis in Gang, ohne belehrend zu wirken.
Ähnlich geglückt und zu empfehlen ist Johannes Herwigs 2021 publizierter Debutroman „Bis die Sterne zittern“ über Jugendliche aus Leipziger Arbeiterfamilien, die ab 1936 öffentlich gegen die HJ opponierten und dem Nazi-Wahn eine Gegenkultur entgegenstellten. Mit sprachlicher Kreativität veranschaulicht Herwig jungen Lesern und Leserinnen packend, wie oppositionelle Jugendliche für ein selbstbestimmtes Leben eintraten und sich eine Zeit lang die Strasse zurückerobern konnten. In keiner anderen Stadt habe es Ende der 1930er Jahre zahlenmässig derart starke, untereinander vernetzte, informelle Cliquen gegeben, welche die NS-Herrschaft kritisch hinterfragten, wie in Leipzig, erklärt Herwig im Postskriptum. Ohne zu moralisieren, gestaltet Johannes Herwig dem historisch erforschten Widerstand Jugendlicher ein literarisch überzeugendes Denkmal.
Zum Autor
Gabriel Herlich wurde 1988 in Frankfurt am Main geboren. Nach dem Besuch einer jüdischen Schule studierte er Betriebswirtschaftslehre in Wien und Grenoble. Seit 2014 arbeitet er in der Tech-Branche. Gabriel Herlich lebt mit seiner Familie in Hamburg. „Freischwimmer“ ist sein Debütroman.