Ausgabe

Von der Mal-akademie in Vilnius zur École de Paris In memoriam Chaïm Soutine

Stephan Templ 

Inhalt

Die „weissrussische“, jiddisch sprechende Malergruppe um Chaïm Soutine (1892 Smilawitschy, Russisches Kaiserreich/heute Belarus–1943 Paris), Michel Kikoïne (1892 Retschyza–1968 Cannes) und Pinchus Krémègne (1890 Schaludok–1981 Céret), Marc Chagall (1887 Witebsk–1985 St. Paul-de-Vence) und Ossip Zadkine (1888 Witebsk–1967 Neuilly-sur-Seine) war fester Bestandteil des Pariser „Bienenkorbs“ von La Ruche, dem legendären Atelierbau nahe dem Montparnasse. Alle waren sie einst Schüler der Mal-Akademie in Vilnius gewesen und emigrierten – um nicht zu sagen flohen – nach Paris. 

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Amedeo Modigliani: Portrait von Chaïm Soutine, 1917. Foto: Chester Dale Collection. National Gallery of Art artwork ID 46522. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Amedeo_Modigliani_-_Chaïm_Soutine_(1917).jpg

Ihre Namen gingen in die Kunstgeschichte ein, doch die Gruppe jener jüdischen Künstler, die nach Paris zogen und in den 1920er und 1930er Jahren hier wirkten, war noch viel grösser – der Holocaust hat ihre Namen begraben. 1951 brachte Hersch Fenster (1892 Baranów, Westgalizien/heute Polen–1964 Paris), einstens Journalist für die Wiener Abendpost, einen Erinnerungsband für dreiundachtzig umgekommene Künstler auf Jiddisch unter dem Titel Undzere farpaynikte kinstler heraus.

 

Sie alle bildeten die sogenannte École de Paris, was weniger eine Stilrichtung bedeutet (alles war vertreten: Spätimpressionismus genauso wie Fauvismus, Kubismus und Surrealismus) als vielmehr, dass sie, aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen kommend, hier im „Bienenkorb“ emsig wie Bienen in ihren fünfzig Atelierwaben Paris ihren Stempel aufprägten.

 

Schwerlich wird sich eine Gemeinsamkeit zwischen dem aus sefardischer Familie kommenden Italiener Amedeo Modigliani (1884 Livorno–1920 Paris) und Chaïm Soutine (den er gerne porträtierte) ausmachen lassen. Beide haben ihre ganz eigene Sprache entwickelt, Modigliani seine flach- flächigen, ruhigen „Landschaftsfiguren“, Soutine hingegen seine pastosen, expressiv geladenen Ölbilder.

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Chaïm Soutine: Selbstportrait, ca. 1918. Foto: Henry and Rose Pearlman Collection, Princeton University Art Museum. Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:1918,_Soutine,_Self_Portrait.jpg

Soutine lebte jahrelang in bitterer Armut, holte sich vom nahe gelegen Schlachthof seine Modelle, seine Sujets: Rinderbäuche, die er, von Rembrandts Gemälde Geschlachteter Ochse inspiriert, malte. Erst das Mäzenaten-Ehepaar Marcellin und Madeleine Castaing (Pariser Innenausstatterin und Antiquarin, 1894–1992) ermöglichte dem Künstler den Durchbruch, 1935 richteten die beiden eine Solo-Ausstellung für ihn in Chicago aus.

Zur Zeit der Deutschen Besatzung flüchtete Soutine aus Paris aufs Land. Ein schwerer Magendurchbruch erzwang eine Operation, heimlich wurde er in ein Pariser Krankenhaus gebracht, die Operation misslang, Soutine starb am 9. August 1943.

Heute zählt er zu den teuersten Künstlern der „École de Paris“.

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Chaïm Soutine: Portrait von Madeleine Castaing, ca. 1924/25. Foto: Metropolitain Museum Of Art. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Portrait_of_Madeleine_Castaing.jpg

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Chaïm Soutine: Chemin de la Fontaine de Tins at Céret, ca. 1920. Foto: Henry and Rose Pearlman Collection, Princeton University Art Museum. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:1920,_Soutine,_Chemin_de_la_Fontaine_des_Tins_at_Céret.jpg 

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Chaïm Soutine: Stilleben mit Rochen, ca. 1929. Foto: Metropolitain Museum Of Art, The Mr. and Mrs. Klaus G. Perls Collection, 1997. The Met object ID 486836. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Still_Life_with_Rayfish_MET_DT4177.jpg