Dr. tech. Ferenc Olti ist eine singuläre Erscheinung. Als Absolvent mehrerer Studienzweige erreichte er führende Stellungen in der Wirtschaft, an Universitäten und im Bankwesen, und ab 1998 wurde er zum Nonplusultra der jüdischen Gemeinschaft in Ungarn als Multifunktionär in vielen Organisationen.1 Er ist Mitglied des Europäischen Jüdischen Parlaments und CEO der grössten IT-Beratungsfirma Ungarns.2
Ferenc Olti ist der Erste, der es schaffte, die 18 jüdischen Organisationen Ungarns zu vereinigen – eine herkulische Aufgabe, wenn man an den Spruch „Zwei Juden, drei Meinungen“ denkt. So konnte er sein Herzensprojekt verwirklichen: das weltweit erste Museum3, das jüdische Wissenschaftler, Sportler und Künstler vorstellt, die einen wesentlichen Beitrag zur heutigen Lebenssituation geleistet haben. Menschen, die es nicht geben hätte sollen, wäre der teuflische Plan der Nazis aufgegangen, elf Millionen Juden zu ermorden4. Die Welt wäre so viel ärmer geworden – das zeigt Olti eindrucksvoll mit diesem Museum. Es wirkt durch positive Botschaften, da Olti die negativen des Holocaust-Gedenkens für nicht mehr wirksam hält.
Synagoge Balatonfüred, Aussenansicht: rechts historisches Synagogengebäude, links Museums-Neubau.
In diesem „Palast der Gedanken“ fand ich meine entfernte Tante Gerty Cori und einige meiner Lieblingskünstler, wie Sergej Eisenstein, Mark Rothko oder Marcel Breuer. Etwa 400 jüdische Prominente sind im Museum abrufbar, fünf davon kann man auswählen und im Obergeschoss die Informationen dazu anschauen, Bilder, Texte und Videos. Dazu gibt es in der benachbarten ehemaligen Synagoge, die schön restauriert worden ist, Vorträge, Konzerte und andere Veranstaltungen, die ein grosses Publikum ansprechen. Die Synagoge als solche wieder einzuweihen, wäre sinnlos gewesen. Die jüdische Gemeinde von Balatonfüred wurde in Auschwitz vernichtet, zwei Menschen überlebten: die Eltern von Ferenc Olti. Also ist er heute der letzte Vertreter der einst bedeutenden jüdischen Gemeinde von Balatonfüred.
Eingangsportal zum neuen Museum, „Zsidó kiválóságok háza“, zu Deutsch etwa „Haus der jüdischen herausragenden Persönlichkeiten“.
Er ist der letzte Jude, aber was für einer! Neben der Schaffung des Museums ist es ihm in zähen Verhandlungen seit 2011 gelungen, das Bildungsministerium zu veranlassen, den Antisemitismus durch Information und Erziehung zu bekämpfen. In den neuen curricula und Schulbüchern konnte er mit seiner Organisation gezielt Informationen über jüdische Geschichte, Kultur und Tradition in die Lehrstoffe einbringen, statt wie früher die Juden nur als Opfer des Holocaust darzustellen. Ein Projekt, das in Österreich wiederholt werden sollte, nur fehlt es hier an Menschen wie Ferenc Olti, die, wie er es ausdrückt, beim Fenster rausgeschmissen werden und bei der Tür wieder hereinkommen. Nur jammern ist zu wenig, sagte er, man muss handeln. Jetzt! Dr. Olti empfing mich am 25. Juni 2023 in seinem ästhetisch perfekten und technisch sowie inhaltlich grossartigen Museum. Hier ein Auszug aus dem Interview.
DAVID: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, den Antisemitismus durch dieses einzigartige Museum zu bekämpfen?
Ferenc Olti: Das hat sich so ergeben. Die Synagoge war in einem schrecklichen Zustand – es war sogar einmal ein Restaurant drinnen, das Schweinefleisch verkochte – und die Stadtgemeinde wollte das Gebäude revitalisieren. Man wollte aber kein Holocaust-Memorial daraus machen, weil die Stadt schon drei hatte. Als einzigen Juden hier fragten sie mich. Mir war die Aufgabe sehr recht, die Mehrheitsbevölkerung nicht mit Horrorgeschichten von Tod und Vernichtung, sondern mit positiven Botschaften über das Judentum zu informieren. Nachdem ich im IT-Bereich tätig bin, ergab sich auch die einzigartige Form der Präsentation.
Interaktive Informationstafeln im Museum, im Bild: Gerty Theresa Cori.
DAVID: Gab es viele Hindernisse und Schwierigkeiten beim Aufbau des Museums?
Ferenc Olti: Eigentlich nicht, auch die Regierung steuerte etwas bei, Herr Lázár5 gab mir 30 Millionen Forint und es lief alles bestens. Das Gebäude gehört der Stadtverwaltung, die auch die Basiskosten trägt, die Renovierung zahlte eine norwegische Stiftung. Das Museum wird von einer Organisation unter meiner Führung betrieben, die aus MAZSIHISZ, EMIH, MAZSIKE und der Faith Church6 besteht. Die Kosten trägt die Stadtgemeinde.
DAVID: Welche Rolle spielte die Regierung?
In österreichischen Medien wird Fidesz als rechte Partei und daher als antisemitisch dargestellt.
Ferenc Olti: Diese Regierung ist schrecklich, sie zerstört unsere Demokratie, unser Gesundheitssystem, sie macht dauernd törichte Aktionen, ich hasse viele ihrer Massnahmen! Aber sie ist nicht antisemitisch und sie ist pro-Israel. Sie hat in Brüssel schon 16 Mal Anti-Israel-Beschlüsse der EU verhindert. Mein Verhältnis zur Orbán-Regierung ist also ambivalent.
Von links: Dr. Ferenc Olti im Gespräch mit Mag. Michael Bittner.
DAVID: Wie reagierten die jüdischen Gemeinden? Beteiligten sie sich am Aufbau des Museums?
Ferenc Olti: Das ging alles gut, der Jüdische Dachverband hat mitgeholfen, auch der MAZSIHISZ7 und die Lubawitscher8, alle waren dafür, alle haben mitgemacht.
Blick von der Museums-Cafeteria in den Hof der Synagoge.
DAVID: Nach welchen Kriterien suchten Sie die Persönlichkeiten aus den Naturwissenschaften aus und warum schlossen Sie die zweite Sektion an, nämlich Künstler aus allen Sparten?
Ferenc Olti: Zunächst werden für jede Sparte Experten gebeten, Listen zu erstellen, wer die wichtigsten Erfindungen, Entdeckungen und Werke geschaffen hat, die unser Leben heute prägen. Dann gibt es pro Liste sechshundert Namen, dann wird gestrichen, denn eine Dokumentation kostet 1.000$ inklusive der Bildrechte.
DAVID: Sind Sie mit der Technik im Museum zufrieden? Wie werden die Veränderungen durch die Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz sein?
Ferenc Olti: Klarerweise wird es Weiterentwicklungen geben. Die Universität von Györ stellt eine Kopie unseres Museums in die Universität, deren Präsident Palkovics9 finanzierte unsere Sport- und Kulturabteilung. Natürlich wird bei der Weiterentwicklung auch KI eine wesentliche Rolle spielen, wir verwenden sie jetzt schon für die Übersetzungen ins Englische und Hebräische.
Der Garten des Synagogengebäudes (rechts im Bild), aktueller Zustand. Quelle: https://www.zsidokivalosagok.hu/, mit freundlicher Genehmigung: F. Olti.
DAVID: Was wäre ein Indikator dafür, dass Ihr Museum eine positive Auswirkung hat und die Einstellung gegenüber Juden und dem Judentum sich positiv verändert?
Ferenc Olti: Wir müssen manche Veranstaltungen zweimal machen, weil so viele Leute kommen, ist das ein Erfolg? Alle Schulklassen der 5. Stufe aus den benachbarten Schulsprengeln müssen einmal im Jahr das Museum besuchen. Manchmal kommen nur fünfzehn Leute am Tag, darunter sehr viele Junge, manchmal vierzig Personen, letztes Jahr waren es insgesamt 12.000 – unsere Stadt hat 13.000 Einwohner. Auf unserer Mailing-List stehen 5.000 Adressen – ich glaube, man kann von einem Erfolg sprechen.
DAVID: In Österreich und Deutschland tarnt sich der Antisemitismus oft als Anti-Israel-Bewegung. Ist diese auch schon in Ungarn angekommen?
Ferenc Olti: Nein, das gibt es hier nicht. Die Sowjets waren immer für die Araber und gegen Israel, also drehte sich das nach der Wende um, die Mehrheit der Ungarn ist seitdem für Israel und gegen die Araber.
Blick in den Innenraum des Synagogengebäudes, heute ein Veranstaltungsraum. Quelle: https://www.zsidokivalosagok.hu/, mit freundlicher Genehmigung: F. Olti.
DAVID: Möchten Sie unseren Lesern in Österreich noch etwas Besonderes mitteilen?
Ferenc Olti: Tut etwas! Redet mit der Regierung, setzt sie unter Druck! Ich glaube, dass manche in der österreichischen Regierung, zum Beispiel die Bundesministerin Karoline Edtstadler, für ein Projekt wie das meine zu begeistern wäre. Jammern bringt nichts, man muss etwas tun, das ist das Problem der Juden. Man braucht nur einen, der etwas tut! Und: Kommt alle nach Balatonfüred! (Lacht)
DAVID: Sehr geehrter Herr Dr. Olti, herzlichen Dank für das Gespräch! 10
Weiterführende Informationen
Vor einem Besuch in diesem einzigartigen Museum konsultieren Sie die Website für weitere Informationen: www.houseofjewishexcellences.com und laden Sie sich die App „ZsKH“ aufs Handy, dort kann man alle Persönlichkeiten aussuchen (an den Touchscreens im Museum ist dies zeitaufwendig). Es gibt auch einen Audioguide, der wichtig ist, weil man sonst bei den Videos im Obergeschoss Lippen lesen muss. Adresse:
H - 8230 Balatonfüred, Bajcsy-Zsilinszky u. 32. Öffnungszeiten täglich ausser Montag 10 bis 18 Uhr.
Anmerkungen
1 https://ejassociation.eu/eja/doctor-ferenc-olti/ https://ejp.eu/members/ferenc-olti/ abgerufen 11.06.2023
2 https://ejp.eu/members/ferenc-olti/ abgerufen 01.07.2023
3 https://www.zsidokivalosagok.hu/kiallitas/:https://infovilag.hu/haus-der-judischen-prominenten-in-balatonfured/http://www.icomos.hu/datas/icomos-dij/2019/Balatonfured.pd abgerufen am 12.06.2023
4 https://www.vienna.at/vor-70-jahren-wannseekonferenz-beschliesst-endloesung/3146388 abgerufen 01.07.2023
5 https://ungarnheute.hu/news_tags/janos-lazar/ abgerufen 30.06.2023
6 Neben den drei jüdischen Organisationen beteiligte sich diese in Ungarn zugelassene „Pfingstkirche“ an der Finanzierung:
https://www.faithchurchhungary.com
7 MAZSIHISZ ist die neologe jüdische Gemeinschaft in Ungarn mit etwa 80.000 Mitgliedern. Siehe https://mazsihisz.hu/.
8 https://chabadhungary.com/en/ abgerufen 30.06.2023
9 https://admissions.sze.hu/construction-begins-szechenyi-istvan-university-creates-a-science-and-innovation-park abgerufen 30.06.2023
10 Aus Platzgründen musste das Manuskript erheblich gekürzt werden. Das gesamte Interview in englischer Sprache ist auf der Website des DAVID nachzulesen, www.davidkultur.at, Heft 138.
Alle Abbildungen: I. Bittner, mit freundlicher Genehmigung.