Christoph Tepperberg
Bertrand Michael Buchmann/Claudia Reichl-Ham: Habsburger und Osmanen. Eine bilaterale Geschichte.
(= Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums, Bd. 29)
Wien: Heeresgeschichtliches Museum, 2021.
656 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Karten, Pläne, Risse, Euro 29,90.–
ISBN: 978-3-902551-97-5.
Der vorliegende Band ist das Ergebnis der langjährigen intensiven Beschäftigung beider Autoren mit dem Thema „Habsburger und Osmanen“. Eine frühere Publikation Bertrand Michael Buchmanns war namensgebend für den gemeinsamen voluminösen Band: „Österreich und das Osmanische Reich. Eine bilaterale Geschichte“ (1999).
Claudia Reichl-Ham ist Spezialistin für die Geschichte der habsburgisch-osmanischen Beziehungen. Das Quellen- und Literaturverzeichnis der vorliegenden Publikation weist die Autorin zu diesem Themenkomplex mit 30 Einzelbeiträgen aus. Die beiden Autoren ernten damit die Früchte ihrer langjährigen Beschäftigung mit dieser Materie. „Zwischen Erbfeindschaft und Waffenbrüderschaft“ – zwischen diesen beiden Extremen spannt sich der Bogen durch sechseinhalb Jahrhunderte schicksalhafter Beziehungen der beiden Vielvölkerstaaten. Wegen der langen gemeinsamen Grenze waren sie gezwungen, sich den Herausforderungen des Nachbarn zu stellen. Obwohl die beiden Reiche fast gleichzeitig entstanden und auch gleichzeitig untergingen, nahmen sie völlig unterschiedliche, ja konträre Entwicklungen. Die gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Strukturen wiesen diametrale Gegensätze auf. Diese werden in der vorliegenden bilateralen Geschichte ausführlich dargelegt. Zudem wird aufgezeigt, dass dem entsprechend die Nachfolgestaaten der beiden Grossreiche im engeren Sinne, nämlich die Republik Österreich und die Republik Türkei, in vieler Hinsicht einen unterschiedlichen Charakter aufweisen.
Das Buch enthält auch zahlreiche Angaben über das Schicksal der Juden in beiden Vielvölkerstaaten, zum Beispiel über die privilegierte Rechtsstellung von Muslimen gegenüber Christen und Juden im mittelalterlichen Osmanischen Reich (S. 43), über das grosse Pogrom von 1420/21 im Herzogtum Österreich, die sogenannte Wiener Gesera (S. 75–77), eine Häuserstatistik aus dem Jahr 1477 zeigt Konstantinopel mit 9.000 von Türken, 3.000 von Griechen, 1.500 von Juden bewohnten Häusern (S. 91). Wir erfahren über das gängige Klischee in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts: die Lasterhaftigkeit der Sultane, die Verkommenheit der Janitscharen, der verderbliche Einfluss von Griechen, Juden und Armeniern seien schuld am damaligen Niedergang des Osmanischen Reiches gewesen (S. 215), ebenso von der Ausweisung der Juden aus Niederösterreich 1670 und der Auflösung des Ghettos in der Wiener Vorstadt „Unterer Werd“ (S. 266). Wir lesen über die sogenannten Hofjuden wie Samuel Oppenheimer (1630–1703) und Samson Wertheimer (1658–1724), die als Staatsfinanziers eine Fülle von Privilegien genossen (S. 351). Auf den Staatsdomänen des Osmanischen Reiches wurden seit dem Mittelalter die Steuern von eigenen Steuerpächtern eingehoben, wobei die Steuerpacht an den Meistbietenden vergeben wurde; dabei bewarben sich in der Regel reiche Bedienstete der Zentralverwaltung, Offiziere, aber auch vermögende Juden um dieses einträgliche Amt (S. 357). Wir lesen über die von Kaiser Joseph II. (1741–1790) eingeleitete Emanzipation der Juden im Habsburgerreich (S. 395). In Wien lebten um 1850 innerhalb der Linien (entsprach dem Verlauf der heutigen Gürtel-Strasse) 440.000 (S. 455), in Konstantinopel an die 800.000 Personen, darunter 140.000 Griechen, 230.000 Armenier und 30.000 Juden (S. 456). Durch das Erste Osmanische Staatsgrundgesetz von 1876 wurden Muslime und Nichtmuslime rechtlich gleichgestellt. Der Islam blieb Staatsreligion, doch sollten auch den Christen und Juden alle Staatsämter offenstehen, sofern sie die osmanisch-türkische Sprache beherrschten (S. 474). Ein umfangreiches detailliertes Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 587–637), Herrscherportraits in Wort und Bild (S. 638–655) sowie curricula der Autoren (S. 656) ergänzen diesen gelungenen, mit hochwertigen Abbildungen ausgestatteten Band.