Ausgabe

Vom ersten Weltstar, den ersten Mimodramen und einer Love Story

Tina Walzer

Sarah Bernhardt, Marcel Marceau 

und Arthur Hiller 

Inhalt

Sarah-Marie-Henriette-Rosine Bernardt kam am 22. Oktober 1844 in Paris als uneheliche Tochter einer niederländisch-jüdischen Mutter, Judith-Julie Bernardt, und eines katholischen Rechtsanwalts aus Le Havre zur Welt. Dessen Familie drängte auf die Taufe des Kindes, liess Sarah eine solide Erziehung zukommen und sorgte mit einer ansehnlichen finanziellen Ausstattung für ihre berufliche Zukunft vor. Einflussreiche Kontakte der Mutter unterstützten eine vorbildliche schulische und schauspielerische Ausbildung der jungen Frau, deren künstlerisches Talent sie erkannten. Da auch berühmte Schriftsteller in diesen Kreisen verkehrten, erhielt Sarah bald erste Rollen, unter anderem von Victor Hugo, der ihre „goldene Stimme“ lobte, 1872 in Ruy Blas. Ihren Durchbruch auf der Bühne hatte Bernhardt mit François Coppées Le Passant am théâtre de l’Odéon 1869 als Troubadour Zanetto, ab 1880 feierte Bernhardt in Hauptrollen wie der Kameliendame (Alexandre Dumas Sohn) Triumphe. In den Jahren der feindseligen, aufgeheizten öffentlichen Stimmung rund um den Prozess gegen Alfred Dreyfus, als auch in Frankreich Antisemitismus den Alltag bestimmte, stellte sie sich an die Seite von Dreyfus‘ literarischem Verteidiger Emile Zola und stand fest zu ihrem jüdischen Erbe: 

„No, I’m a Roman Catholic, and a member of the great Jewish race. I‘m waiting until Christians become better.“

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Sarah Bernhardt. Foto: Félix Nadar, 1864. Sammlung Getty Center, Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sarah_Bernhardt,_par_Nadar,_1864.png

Sarah Bernhardt, ein weiblicher Max Reinhardt

Ab 1880 gründete Bernhardt Theater sowie ihre eigenen Schauspieltruppen, 1899 übernahm sie sogar das Pariser théâtre des Nations (umbenannt in théâtre Sarah-Bernhardt). Mit gigantischen Shows (heute denkt man an André Heller oder den Cirque du Soleil) tourte sie um die Welt. Ihr perfektes Marketing profitierte vom Talent des tschechischen Malers und Grafikers Alfons Mucha (1860 Eibenschütz/Ivančice, Mähren–1939 Prag), der viele ihrer Plakate gestaltete. Bernhardt ging mit ihren geschäftlichen Grossunternehmungen immer wieder pleite und baute mehrmals alles wieder auf. Jede Neuerung im Unterhaltungsbusiness setzte sie um, trat in Stummfilmen auf (darunter in eigenen Produktionen wie Sarah Bernhardt à Belle-Île, 1912) und investierte in die ersten Experimente mit Tonspuren im Film (Le Duel d‘ Hamlet, 1900). Die umtriebige Impresaria tätigte auf fünf Kontinenten extrem hohe Investitionen; in Peru waren ihre Aufführungen binnen 48 Stunden ausverkauft. Jean Cocteau prägte für sie den Ausdruck „monstre sacré“, Anton Tschechov nannte sie anlässlich einer ihrer Russland-Tourneen eine „idée fixe hysterischer Journalisten“. Sehr erfolgreich war ihre Zusammenarbeit mit Oscar Wilde, der für sie dichtete („Comme ce monde commun doit sembler fade et ennuyeux à quelqu‘un comme toi“, 1879) und sie „la divine Sarah“ nannte. In späteren Jahren wurde ihr Unternehmen von ihrem Sohn Maurice Bernhardt geführt, während sie selbst noch bis zu ihrem Tod auf der Bühne stand. Nach einer schweren Tuberkulose-Erkrankung und einem Bühnenunfall (als Tosca in der Schluss-Szene, dem berühmten Sprung in den Tod, hatte sie sich aufgrund eines Bühnenfehlers ein Knie zertrümmert, das Bein musste ihr 1915 amputiert werden) konnte sie ihre Auftritte nur mehr sitzend absolvieren und liess sich dazu auf die Bühne tragen, trotz grosser Schmerzen. Bernhardt verstarb am 26. März 1923 in ihrer Heimatstadt Paris und ruht seither in einem Ehrengrab der berühmten cimetière Père Lachaise. Zu dem nach ihr benannten théâtre Sarah-Bernhardt hatte die vielseitige Künstlerin auch eine Schauspielschule gegründet, ähnlich wie später Max Reinhardt in Wien, aus dessen Initiative das heutige Reinhardt-Seminar hervorgehen sollte. Bernhardts Pariser Schauspielschule wurde nach dem Zweiten Weltkrieg unter anderem auch von Marcel Marceau besucht.

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Sarah Bernhardt als Troubadour Zanetto in François Coppées Theaterstück Le Passant, 1869. Historische Postkarte. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sarah_Bernhardt_-_Le_Passant.png

Marcel Marceau

Geboren am 22. März 1923 in Strassburg als Sohn des dortigen Koscher-Fleischhauers und Synagogen-Kantors Kalman Karl Mangel aus dem schlesischen Bendzin (heute Będzin, Polen) und der Anna geb. Werzberg aus Jabłonów (heute Ukraine), zeigte Marcel bald Interesse an der Schauspielkunst. Eine entsprechende Ausbildung vereitelte der Kriegsausbruch; die Familie musste 1940 nach der Okkupation Frankreichs vor den Nazis fliehen, sein Vater wurde in Auschwitz ermordet. Ab 1942 war Marcel in einer jüdischen Widerstandsgruppe aktiv; er begleitete gefährdete Kinder in die Schweiz, um sie in Sicherheit zu bringen. Damit die Kinder sich nicht verrieten und in Gefahrensituationen mucksmäuschenstill blieben, spielte er ihnen stumme Geschichten vor. Nach dem Krieg, ab 1946, erhielt Marcel dann am théâtre Sarah-Bernhardt in Paris seine Ausbildung; in der Tradition von Bernhardts Schauspielkunst lernte er, Gefühle klar auszudrücken, ohne Worte dafür zu benutzen: 

“...their eye, their hand, the position of the chest, the tilting of the head...The exterior form of the art is often the entire art; at least, it is that which strikes the audience the most effectively.” [...] “Work, overexcite your emotional expression, become accustomed to varying your psychological states and translating them....”

Aus seinen Kriegserfahrungen entwickelte Marceau, in Anlehnung an den Film Die Kinder des Olymp (1945, Musik: Joseph Kosma, Drehbuch: Jacques Prévert), Mimodramen.3 Seit 1947 spielte er seine Rolle als Bip (tragikomischer Clown) und kreierte in weiterer Folge einen ganz speziellen Stil der Pantomime. Berühmte Regisseure wie Alain Resnais, Jean Cocteau, Roger Vadim und Mel Brooks verarbeiteten ihre Faszination an der neuen Darstellungsform filmisch; Marceaus darin festgehaltene Auftritte sind heute wichtige Zeugnisse der Schauspielkunst. In späteren Jahren begründete Marceau eine eigene Schauspielschule. Sein grosses Vorbild blieb sein Leben lang das Idol seiner Kindheit, Charlie Chaplin. Bekanntester Vertreter der Pantomime heute ist Samy Molcho, der am Wiener Reinhardt-Seminar sein Können der jungen Generation weitergibt. Marcel Marceau starb am 22. September 2007 in Cahors, Frankreich.

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 Marcel Marceau. Werbeaufnahme für einen Auftritt in Seattle, Washington, 1974. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Marcel_Marceau_-_1974.jpg

Arthur Hiller

Am 22. November 2023 wurde Arthur Hiller in Edmonton, Alberta in eine Familie polnisch-jüdischer Flüchtlinge geboren, die 1912 nach Canada gekommen waren. Sein Vater führte ein Geschäft für gebrauchte Musikinstrumente; beide Eltern engagierten sich in der jüdischen Gemeinde insbesondere beim Organisieren jiddisch-sprachiger Theateraufführungen. Die Teilnahme daran weckte im Sohn das Interesse an Theater, Musik und Literatur und beeinflusste ganz wesentlich seine spätere Entscheidung, in Film und Fernsehen Regie zu führen. Während des Zweiten Weltkriegs diente Hiller in der kanadischen Luftwaffe als Bomberpilot und flog Einsätze über Europa. Der Film Rome, Open City (1945) über den Widerstand im NS-besetzten Italien beeindruckte ihn so sehr, dass er sich zum Ziel setzte, den Schwerpunkt seiner Arbeit als Regisseur auf die Vermittlung „guter moralische Werte“, wie er sie in seiner Erziehung kennengelernt hatte, zu legen:

„Storytelling is innate to the human condition. Its underpinnings are cerebral, emotional, communal, psychological. One of the storyteller’s main responsibilities is to resonate in the audience’s psyche a certain something at the end of it all, to emotionally move the audience, to compel the audience to “get it” on a visceral level.”4

Hiller wurde einer der bekanntesten Regisseure Hollywoods und Präsident der Academy of Motion Picture Art and Sciences, die jährlich begehrte Preise (Oscars) vergibt. Sein bekanntester Film ist Love Story (1970) mit Ryan O’Neil und Ali MacGraw in den Hauptrollen. Am 17. August 2016 starb Hiller in Los Angeles, knapp zwei Monate nach seiner Frau Gwen Pechet. Die beiden waren achtundsechzig Jahre verheiratet gewesen.

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Alfons Mucha, Theaterplakat für Alexandre Dumas’ (Sohn) Stück Die Kameliendame mit Bernhardt in der Hauptrolle der Marguerite Gautier, 1896. Sammlung Library of Congress, Bildbearbeitung: Adam Cuerden. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://en.wikipedia.org/wiki/File:Alfons_Mucha_-_1896_-_La_Dame_aux_Camélias_-_Sarah_Bernhardt.jpg

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Sarah Bernhardt vor ihrem Theaterzelt in Dallas, Texas, am 26. März 1906. Library of Congress,  https://cdn.loc.gov/master/pnp/cph/3b00000/3b06000/3b06300/3b06365u.tif Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sarah_Bernhardt,_1844-1923,_full_length,_standing,_facing_right,_in_front_of_her_tent_at_Dallas,_Texas,_Mar._26,_1906_LCCN2005692238.tif

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Marcel Marceau in Dresden, 2004. Foto: Brücke-Osteuropa. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Marcel_Marceau_in_Dresden_2004.jpg

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Arthur Hiller 2011. Foto: Jesse Grant, Bearbeitung: Skeezix1000. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Arthur_Hiller_2011.jpg

 

Anmerkungen

 

 

1 vgl. Skinner, Cornelia Otis (1967). Madame Sarah. New York: Houghton-Mifflin.

OCLC 912389162, S. 13.

2 Bernhardt, Sarah (2017) [1923]. L’art du théatre: la voix, le geste, la prononciation. Paris: la Coopérative. ISBN 979-10-95066-08-8. OCLC 981938318, S. 66f.

3 Nach der Französischen Revolution, Anfang des 19. Jahrhunderts eingeführte,

wegen der strengen Zensurbestimmungen nur stumme, dramatische Einlagen in

Vorstellungen des Cirque Olympique, Paris.

4 Wright, Kate: Screenwriting Is Storytelling. The Berkeley Publishing Group 2004, Vorwort.