Ausgabe

Jüdische Spurensuche im Kurort Bad Tatzmannsdorf

Gert Polster

Der Kurort Bad Tatzmannsdorf im südlichen Burgenland kann auf eine 400-jährige Kurtradition zurückblicken. 

Inhalt

Bereits bei der ersten Nennung von Tatzmannsdorf (ung. Tarcsafürdő) in einer Predigt des protestantischen Pfarrers Johannes Mühlberger 1620 wurden die Trinkkuren und Bäder sowie die medizinische Wirkung der Heilquellen und deren Gebrauch beschrieben. Im 18. und 19. Jahrhundert erfolgte ein kontinuierlicher Ausbau der Kuranstalten, die bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts verstärkt jüdische Kurgäste anzogen. In zwei Bäderschriften aus dem Jahr 1834 lesen wir erstmals: 

Für die Juden, die diese Anstalt am häufigsten besuchen, bestehen eigens abgesonderte Wohnungen, und ein eigener Speisewirth.1 

 

sowie 

Beim Juden-Traiteur sind 2 Betten in einem einzigen Zimmer, da ohnediess die Juden in den vorerwähnten Gebäuden wohnen. [...] Ausser diesen Gebäuden befindet sich hier ein Wirthshaus, ein Traiteur für Christen, und einer für Juden.“2 

 

Für die jüdischen Kurgäste stand demnach eine koschere Küche zur Verfügung. Über die Betreiber des Restaurants findet sich keine Nachricht. Im Ort Bad Tatzmannsdorf kann von Beginn des 19. Jahrhunderts bis in die 1880er Jahre lediglich eine einzige sesshafte jüdische Familie nachgewiesen werden. Bereits in einer Konskription aus dem Jahr 18093 wird Moses Herzer (Moises Herczer) genannt, der mit seiner Frau, drei Söhnen und zwei Töchtern ein Haus im Kurort bewohnte. Der in Komorn (Komárom, Komarno) geborene Handelsmann starb am 21. Februar 1842 in Bad Tatzmannsdorf im hohen Alter von neunzig Jahren und wurde im jüdischen Friedhof in Schlaining beerdigt. Seine Frau Rosalia folgte ihm 98-jährig am 26. Oktober 1855.4 Während sich ihre übrigen Kinder später anderswo, vor allem in Kroatien, ansiedelten, blieb der Sohn Markus Heinrich Herzer in Bad Tatzmannsdorf. Mit seiner Gattin Josefa Rosenberger hatte er drei Söhne und vier Töchter. In der allgemeinen Landeskonskription des Jahres 1828 wird er als Heinrich Herczer aufgelistet.5

Bei Anlage des Grundbuchs der Gemeinde Bad Tatzmannsdorf wird sein Sohn Bernhard Herzer mit seiner Ehefrau Karolina geb. Hochsinger als Besitzer des Hauses Nr. 42 mit Hof und Garten angeführt. Er hatte die Liegenschaft zuvor von der Grundherrschaft erworben. Das damals schon in Tschakaturn (Csáktornya, Cakovec) wohnhafte Paar übertrug 1860 den Besitz an den Vater Heinrich Herzer. Nach dessen Tod am 14. Februar 1874 erbte die Tochter Franziska (Fanni), Gattin des Albert Hoffmann aus Stadtschlaining, das Haus und bewohnte es mit ihrer Familie, bis sie es 1904 an ihre Töchter Laura, verheiratet mit Hermann Heinrich, und Hermine, Frau des Adam Fischer, verkaufte. Sie lebten, wie der grösste Teil ihrer übrigen Familie, bereits in Oberwart und veräusserten das Haus in Bad Tatzmannsdorf 1906 endgültig.6

 

Etwa um die Zeit, als die Familie Herzer bzw. Hoffmann Bad Tatzmannsdorf verliess, siedelte sich der bereits zweimal verwitwete Ignaz Heinrich (1841–1905) im Kurort an. Beide Ehefrauen hiessen Rosalia Hacker und stammten aus Lackenbach, hatten jedoch einen Altersunterschied von fünfzehn Jahren. Aus diesen Ehen gingen insgesamt elf Kinder hervor. Die Familie hatte zuvor in der Nachbargemeinde Mariasdorf (ung. Máriafalva) gelebt. 

 

Der älteste Sohn Benjamin, genannt Benő, war Wirt und Fleischhauer und zum Zeitpunkt der Übersiedlung nach Bad Tatzmannsdorf in seinen Dreissigern. Hier betrieb er den Gasthof „Zur Krone“ („Korona-Vendéglő“) mit der Hausnummer 85. 1907 heiratete er die aus Jánosháza gebürtige Paula Zollner und hatte mit ihr zwei Söhne, Ludwig und Leopold, sowie die Tochter Rosa. 1927 erwarben Benjamin Heinrich, seine Frau Paula und seine Schwester Laura die Liegenschaft Nr. 93 mit Villa, Gasthaus und Fleischhauerei von Karl Beigelböck.7 Dieser hatte den Gasthof erst kurz zuvor unter dem Namen „Zur deutschen Eiche“ am 22. Februar 1925 eröffnet. Die Bezeichnung für die Gaststätte erhielt sie vom gleichnamigen Bad Tatzmannsdorfer Männergesangsverein, dem sie als Vereinslokal diente.8 

 

Dieses Gasthaus betrieb die Familie Heinrich bis zum Anschluss 1938. Im Zuge eines Arisierungs-Verfahrens war die Familie Heinrich gezwungen, das Gasthaus, zu dem auch eine Tankstelle („Benzinpumpe“) gehörte, inklusive zweier Waldgrundstücke zu verkaufen. Der am 2. Mai 1938 mit der Gemeinde Bad Tatzmannsdorf als Käuferin abgeschlossene Vertrag weist einen Kaufpreis von 17.333,33 RM aus.9 Benjamin und Paula Heinrich übersiedelten anschliessend zunächst nach Wien. Aus Wien wurden sie 1942 zuerst nach Theresienstadt (tschech. Terezín) und dann weiter nach Treblinka deportiert. Dort wurden sie ermordet.10

 

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs hatte Graf Gábor Batthyány 1918 das Kurbad an eine mehrheitlich jüdische ­Finanzgruppe verkauft, die eine Aktiengesellschaft gründete. Präsident war der in Stadtschlaining geborene Moritz Heinrich jun., der zusammen mit den Brüdern Béla Holzer und Oskar Holzer aus Pinkafeld die Mehrheitsaktionäre stellte. Seit 1926 führte der Ortsname den Zusatz „Bad“. 

1938 wurde die Gesellschaft mittels Übernahme der Aktien in das Eigentum des Landes Burgenland arisiert (enteignet) und fortan als „Landesbad“ geführt.11

 

In den zwanzig Jahren des Badebetriebs durch die Aktiengesellschaft zwischen 1918 und 1938 erfuhr Bad Tatzmannsdorf einen weiteren Zuzug von jüdischen Einwohnern, die in den Kurbetrieben beschäftigt waren. Dazu gehörten neben dem bereits genannten Präses Heinrich unter anderem der aus Krefeld stammende Prokurist Fritz Vasen, der Geschäftsführer Josef Lipsitz aus Mátészalka, der aus Budapest zugezogene Privatbeamte Hermann Armin Kalmár, der Restaurantangestellte Emanuel Barth aus dem polnischen Smolnik oder der aus Zalaegerszeg gebürtige Apotheker Georg Rechnitz mit ihren Familien. Die dadurch angewachsene kleine jüdische Gemeinschaft richtete im oberen Stock des sogenannten „Grossen Kastells“ für sich und die jüdischen Kurgäste einen Gebetsraum ein. Sie waren ab 1930 Mitglieder der neu errichteten Israelitischen Kultusgemeinde Oberwart. Auch diese Gemeinschaft fand in den Märztagen des Jahres 1938 ein jähes Ende.

 

Anmerkungen

 

1 Mathias Macher: Die den Gränzen der Steiermark nahen Heilwässer in Ungarn, Kroatien und Illyrien. Grätz 1834, 8.

2 Franz Hoffer: Verhaltungsregeln bei dem Trink- und Badegebrauche des Tazmannsdorfer Mineralwassers. Güns 1834, 8.

3 Komitatsarchiv Vas, Conscriptiones Judaeorum 1767-1838, Ö 281/21.

4 Matrikenabschriften der Jüdischen Gemeinde Stadtschlaining: Anyakönyvek - Film Nr. 007952689 (familysearch.org) (21.06.2023).

5 Magyar Nemzeti Levéltár, Archivum Palatinale, Landeskonskription 1828, Comitatus Castriferrei, Nr. 558.

6 Burgenländisches Landesarchiv, Grundbuch Oberwart, Bad Tatzmannsdorf, EZ 35.

7 Burgenländisches Landesarchiv, Grundbuch Oberwart, Bad Tatzmannsdorf, EZ 243.

8 Oberwarther Sonntags-Zeitung, 8.3.1925, S. 2; Der freie Burgenländer, 8.3.1925, S. 5.

9 BLA, Arisierungsakten Steiermark, 9994/a und b.

10 Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer (yadvashem.org) (21.06.2023).

11 Gerhard Baumgartner / u.a.: „Arisierungen“, beschlagnahmte Vermögen, Rückstellungen und Entschädigungen im Burgenland, Wien/München 2004, 53-59.