Ausgabe

Kreuz und Götzenbild Jüdisches Deutschkreutz

Michael Bittner

Deutschkreutz im Burgenland war eine der berühmten „Sieben Gemeinden“ der Fürsten Esterházy.1 Im jüdischen Sprachgebrauch nannte sich der Ort Zelem, also „Bild“ oder „Götzenbild“2, weil die Kreuz-Assoziation im Ortsnamen zu schmerzvoll klang. 

Inhalt

Was war nicht alles im Namen des Kreuzes verbrochen worden? Doch dies sind längst vergangene Zeiten, in Deutschkreutz sind wir im „Blaufränkischland“, niemand stört die Idylle und den Hedonismus. Jetzt nicht mehr! Denn Joseph Roth hatte die jüdische Gemeinschaft 1919 so beschrieben: 

„... aus ihren Gesichtern klagte das jahrtausendealte Leid Ahasvers. Sie kennen keinen Tanz, kein Fest und kein Spiel. Nur Beten und Weinen und Fasten.“

 

Eine jüdische Bevölkerung ist schon im Spätmittelalter nachweisbar. Seit der Übernahme der Herrschaft durch den Fürsten Paul Esterházy 16764 gab es zunehmend mehr Juden im Dorf, die meist als Vieh- und Weinhändler tätig waren. Den höchsten Bevölkerungsanteil mit 38 Prozent erreichte man 1857. Dann begann die Abwanderung; im Juni 1938 waren noch 420 jüdische Menschen hier, im November 1938 kein einziger mehr – Tobias Portschy und seine Leute hatten „ganze Arbeit“ geleistet.5 Die Brutalität dieser Aktionen – von der Vertreibung bis zur Zerstörung des Friedhofs – will nicht so recht zum Bild des „gemütlichen“ Burgenländers passen, das von der Fremdenverkehrswerbung präsentiert wird.6 Eine Gottfried-Kumpf-Idylle waren die Nazi-­Jahre eben nicht.

Heute ist man hier stolz auf das „jüdische Erbe“: berühmte Leute wie der Komponist Carl Goldmark (1830–1915) stammten aus dem Dorf, das damals zum Königreich Ungarn gehörte. Man zeigt auf Spaziergängen den Touristen die Häuser der jüdischen Händler, das Haus des Rabbiners, das Goldmark-Museum, die ehemalige Talmud-Schule und den Platz, an dem die Synagoge7 gestanden war, bevor sie 1941 gesprengt wurde.8 Heute findet sich dort eine Putzfirma (das Grundstück hat also immer noch etwas mit Reinheit zu tun).

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Das Ortszentrum von Deutschkreutz.

Nicht so präsent ist das Andenken an den grossen Rabbiner Menachem Katz, genannt Wannfried, aus Prossnitz (um1800–1891). Dieser grosse Schüler des Moses Sofer war der Anführer der orthodoxen Rabbiner beim Schisma der ungarischen Juden 1868, und ein bekannter Wunderrabbi, der in Zelem eine berühmte Talmud-Schule begründete.9

Diese Jeschiwe würde der Dichter Lajos Doczy, der sie als junger Mann besucht hatte10, nicht mehr wiedererkennen. Der Ort hat in den letzten Jahrzehnten fast krampfhaft sein architektonisches Erbe und damit auch seine Geschichte zerstört: selten sieht man ein von unsensiblen Betonbauten völlig ruiniertes Ortsbild. Das Geburtshaus von Carl Goldmark ist eines der wenigen erhaltenen und restaurierten Bürgerhäuser, das Rabbinerhaus an der Tempelgasse steht ebenfalls noch. Doch vieles ist der Wut auf die Vergangenheit zum Opfer gefallen, (Abbildungen 1, 2, 3) – eine absolute Ausnahme unter den Weinorten, die meist stolz auf ihre Vergangenheit sind (Rust, Mörbisch, Krems, Dürnstein und viele andere).

 

Das Tor ins Nichts

Der bedrückendste Ort des Dorfes ist der Friedhof. Er diente der jüdischen Gemeinde Deutschkreutz und den umliegenden Kehillot von 1759 bis 1938 als Begräbnisstätte. (Abbildungen 5, 6) Zu den ursprünglich vorhandenen 1.800 Grabstellen existieren nur noch rund vierzig Grabsteine. Zudem befindet sich auf dem Friedhof ein Massengrab von 256 ungarisch-jüdischen Zwangsarbeitern, die bei Arbeiten zum Südostwall 1944 zu Tode gekommen waren.11

Das Tor zum Friedhof öffnet sich in eine beeindruckende Leere. Fast ein Hektar Nichts, ausser ein paar Fragmenten. Man spürt, wie hier die Nazis eine Gemeinschaft ausradieren wollten und dies auch geschafft haben – anders als an anderen Orten im Burgenland.

Wo sind die vielen Grabsteine geblieben? Einen Hinweis gab der Abbruch eines Wirtschaftsgebäudes im Ort, wo etwa einhundert Fragmente von Grabsteinen wieder auftauchten.12 Vielleicht sind ja noch in Strassen, Brücken oder Bauten aus der NS-Zeit Steinteile vom Friedhof verbaut worden. (Abbildung 4)

Bei meinem Besuch im Juni 2023 stand das Gras über einen Meter hoch, die mitgebrachten Gummistiefel erwiesen sich als nutzlos. Vor dem Besuch hatte ich mir Sorgen gemacht, dass ich auf die Toten treten würde, da ich auf Fotografien sah, dass hier keine Wege markiert sind. Denn der Glaube, dass die Toten im Friedhof auf die Ankunft des Maschiasch warten, impliziert, dass sie ruhig und unbeschadet in der Erde liegen können. Eine schöne Geste des Verständnisses für die jüdische Weltsicht wäre, wenn man die Wege kenntlich machen würde, um die Ruhe der Toten nicht zu stören. Zum Abschied vom Friedhof erhielten wir dann noch vom benachbarten Weinbauern eine Dusche mit der Spritzbrühe.

So ist Zelem – Deutschkreutz jedenfalls eine Reise wert, nicht nur des Blaufränkischen wegen. (Joseph Roth war vermutlich nur seinetwegen da!)

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Ehemaliges Rabbinerhaus.

Anmerkungen

 

1 Brugger, Eveline, Keil, Martha, Lichtblau, Albert, Lind, Christoph, Staudinger, Barbara: Geschichte der Juden in Österreich (Wien 2006) S. 354f.

2 https://www.csv-bibel.de/strongs/h6754. Abgerufen 2023-05-23.

3 Der Neue Tag vom 09,08,1919, zitiert nach https://www.xn--jdische-gemeinden-22b.de/index.php/gemeinden/c-d/123-deutschkreutz-oesterreich. Abgerufen 24.05.2023.

4 Geschichte der Juden in Österreich, S. 359.

5 Klaus-Dieter Alicke: Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum. Band 1: Aach – Gross-Bieberau. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2008, ISBN 978-3-579-08077-2 (Online-Ausgabe) - https://www.xn--jdische-gemeinden-22b.de/index.php/gemeinden/c-d/123-deutschkreutz-oesterreich. Abgerufen 2023-06-01.

6 https://www.xn--jdische-gemeinden-22b.de/index.php/gemeinden/c-d/123-deutschkreutz-oesterreich. Abgerufen 2023-05-22.

7 Die virtuelle Rekonstruktion der Synagoge von Bernhard Braimeier (2015) findet man unter publik.tuwien.ac.at/files/PubDat_242531.pdf

8 http://www.forschungsgesellschaft.at/routes/deutschkreutz.html. Abgerufen 2023-05-23.

9 https://www.jewishvirtuallibrary.org/katz-wannfried-menahem. Abgerufen 2023-05-23.

10 Max Pollak, Geschichte der Juden von Ödenburg (Wien 1929), S. 109.

11 https://www.friedhofsfonds.org/detailansicht/2. Abgerufen 2023-05-23.

12 https://burgenland.orf.at/stories/3065659/. Abgerufen 2023-05-23.

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Das Goldmark-Haus mit dazugehörigem Museum.

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Der jüdische Friedhof in Deutschkreutz.

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Blick über den jüdischen Friedhof Deutschkreutz, wo nur mehr sehr wenige Grabsteine zu finden sind.

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Bruchsteinmauer im Hof des Gemeindeamts.

Alle Fotos: M. Bittner, mit freundlicher Genehmigung.