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Ich habe von damals bis heute keinen Moment bereut, es getan zu haben In memoriam Daniel Ellsberg s.A (1931–2023)

Monika Kaczek

Der US-Whistleblower und Friedensaktivist wurde Anfang der 1970er Jahre durch die Pentagon-Papiere bekannt, wodurch geheime VietnamKriegspläne der U.S.-Regierung enthüllt wurden. Daniel Ellsberg starb am 16. Juni 2023 im Alter von
92 Jahren.

Inhalt

Daniel Ellsberg wurde am 7. April 1931 als Sohn von Harry und Adele (geb. Charsky) Ellsberg in Chicago geboren. Seine Eltern, die beide aschkenasischer Herkunft waren, konvertierten zur Christian Science-Lehre, bei der auch Daniel Mitglied wurde. Nach seinem Bachelor in Wirtschaftswissenschaften an der Harvard University 1952 studierte Daniel ­Ellsberg am King’s College der Universität Cambridge. Von 1954 bis 1957 diente er für drei Jahre als Offizier der U.S.-Marine. Anschliessend wurde er Fellow in Harvard, wo er 1962 seine Dissertation verfasste, die den Titel Risk, Ambiguity and Decision trug. Im Jahre 1959 wurde Ellsberg Analyst bei der RAND Corporation, einem Think-Tank, der seit Ende des Zweiten Weltkriegs die U.S.-amerikanische Armee berät. Parallel dazu arbeitete er seit 1964 im Büro des U.S.- Verteidigungs­ministers Robert McNamara, der als fanatischer Antikommunist bekannt war. Während eines zweijährigen Aufenthalts als ziviler Mitarbeiter des Ministeriums erkannte er wie viele andere KollegInnen, dass der Vietnamkrieg für die U.S.A. nicht zu gewinnen war. Einzig Minister McNamara hielt an der falschen Behauptung fest, die U.S.A. würden im Krieg schnell und ohne grosse Verluste siegen.

Während seiner Tätigkeit im Pentagon vervielfältigte ­Daniel Ellsberg heimlich Geheimdokumente im Umfang von 7.000 Seiten, die er Anfang 1971 an die New York Times sowie die Washington Post weiterleitete. Diese so genannten Pentagon-Papiere behandelten Details zur Kriegsführung der Vereinigten Staaten und belegten, dass diverse U.S.- Regierungen – besonders unter Präsident Lyndon
B. Johnson – die amerikanische Bevölkerung über Einsätze in Vietnam belogen hatten. Der Whistleblower stellte sich selbst der Justiz, die ihn wegen Landes­verrats zu 115 Jahren Haft verurteilte, doch 1973 verwarf ein Richter die Anklage, da im Rahmen der Water­gate-Affäre bekannt wurde, dass Präsident Richard Nixon ihn illegal hatte abhören lassen und Mitarbeiter des Geheimdienstes in die Praxis von Daniel Ellsbergs Psychiater einbrechen liess, um belastende Aufzeichnungen zu finden.1

Daniel Ellsberg, der zum Friedensaktivisten wurde, nannte als Motivation für seine Aktion die Hoffnung, dass die Veröffentlichung der Dokumente ein Ende des Krieges bewirken könnten.2 In einem Interview mit dem Guardian im vergangenen Jahr betonte er sein Engagement bezüglich der Enthüllungen: 

„’Oh, ich habe es von damals bis heute keinen Moment bereut, es getan zu haben,’ sagt er (...) ‘Ich bedauere einzig und allein, und das Bedauern wächst, dass ich diese Dokumente nicht viel früher veröffentlicht habe, weil ich denke, dass sie viel effektiver gewesen wären.’“3

Abgesehen davon wurde Daniel Ellsberg durch ein nach ihm Ellsberg-Paradoxon benanntes Phänomen auch als Ökonom anerkannt. Dabei dienen Entscheidungen, die Postulate der subjektiven Erwartungsnutzen-Theorie verletzen, als Grundlage von deskriptiven Modellen. Ellsberg wählte die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Risiko und Ungewissheit (ambiguity). Eine Erkenntnis des Experiments zeigt auf, dass Menschen in vielen Situationen ein oft vorhersehbares Risiko einer Situation von Ungewissheit vorziehen.4

In den folgenden Jahrzehnten betätigte Ellsberg sich als Buchautor, Redner und Antikriegsaktivist. Für seine Enthüllungen erhielt er zahlreiche Ehrungen, darunter den Gandhi Peace Award, den Dresden-Preis sowie den Olof-Palme-Preis.Bis zuletzt setzte sich Ellsberg für Julian Assange ein, den „Begründer der Aufdeckerplattform Wikileaks. Wikileaks hat mithilfe der Whistleblowerin Chelsea Manning amerikanische Kriegsverbrechen im Irakkrieg offengelegt. Manning kam anders als Ellsberg vor Gericht, wurde in der Zwischenzeit aber begnadigt. Gegen Julian Assange läuft noch immer ein Auslieferungsbegehren der amerikanischen Justiz an Grossbritannien, ­weshalb Assange seit 2019 im Gefängnis sitzt. (...) Das Ableben ­Daniel Ellsbergs erinnert die westliche Welt daran, was sie Whistleblowern alles zu verdanken hat. Assange sollte seine Freiheit endlich zurückbekommen.“5

Anfang März 2023 informierte Daniel Ellsberg Freunde und Bekannte, er sei an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt und habe eine Chemotherapie abgelehnt. Am 16. Juni starb er im Kreis seiner Familie im kalifornischen Kensington. 

foto_daniel_ellsberg_2020_06.jpg

Daniel Ellsberg, 2020.Quelle:
Wikimedia commons, gemeinfrei:

https://de.wikipedia.org/wiki/Daniel_Ellsberg#/media/Datei:Daniel_Ellsberg_2020_06.jpght ; https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/

Anmerkungen

 

1 https://www.spiegel.de/politik/ausland/whistleblower-daniel-ellsberg-sorgt-sich-um-ukraine-informant-a-1290068.html (11.07.2023).

2 https://www.zeit.de/gesellschaft/2023-06/daniel-ellsberg-whistleblower-pentagon-papers-tot (11.07.2023).

3 https://www.theguardian.com/world/2021/jun/13/daniel-ellsberg-interview-pentagon-papers-50-years (11.07.2023).

4 https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/daniel-ellsberg-gestorben-whistleblower-der-pentagon-papiere-18970625/daniel-ellsberg-ende-april-18971329.html (11.07.2023).

5 https://www.falter.at/maily/20230619/warum-die-welt-daniel-ellsbergs-braucht (11.07.2023).vv