Ausgabe

Das Flüchtlingslager in Ivančice 1939–1942

Věra Jelínková

Dem früheren Vorsteher der mährisch-jüdischen Gemeinde Ivančice (dt. Eibenschütz), Mořic Goldmann, gelang es Ende 1938, in der aufgelassenen Gerberei Sinaiberger ein Flüchtlingslager einzurichten. Nach der Besetzung durch das Dritte Reich in ein Internierungslager umgewandelt, wurde es 1942 aufgelassen, seine Insassen wurden ins KZ deportiert.

Inhalt

Die Existenz der jüdischen Gemeinde in Ivančice (dt. Eibenschütz) wird durch die Unterschrift ihrer Vertreter auf einer Urkunde aus dem Jahr 1490 dokumentiert. Damals schloss Wilhelm von Pernštejn mit den mährischen Juden einen Vertrag, um ihnen, gegen eine Gebühr von fünfzig ungarischen Goldstücken, in ihren Angelegenheiten mit Schutz und Rat zu helfen. Der Vertrag wurde von elf Personen unterzeichnet, davon fünf aus Ivančice. Die Juden erhielten im nördlichen Teil der Stadt innerhalb der Mauern Platz zugewiesen und so entstand hier das jüdische Viertel. Auf diesem abgegrenzten, recht grossen Gebiet lebten dann bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts Juden. 

Nachdem die Eibenschützer Juden Mitte des 19. Jahrhunderts das Bürgerrecht erlangt hatten (und damit die Freizügigkeit1) und sich ihre finanziellen Möglichkeiten verbesserten, begannen sie, auch Häuser in anderen Teilen der Stadt zu kaufen. Nach 1848 wurden in den österreichischen Ländern eigenständige jüdische Gemeinden gegründet. Auf dem Gebiet Mährens mit seinen jüdischen Ghettos verwalteten sich diese Gemeinden selbst und wählten dazu ihre Vertreter.2 Die Juden hatten ihre eigene Synagoge, eine Mikwe (Ritualbad), einen Friedhof und eine Beerdigungsbruderschaft (hebr. Chewra Kadischa). Im Ort lebte ein Rabbiner, es gab eine Schule, eine Jeschiwa und andere Einrichtungen. Die Selbstverwaltung der jüdischen Gemeinde existierte in Ivančice bis zur Gründung der Tschechoslowakei im Jahr 1918. Ab diesem Zeitpunkt bestand nur noch die jüdische Religionsgemeinschaft, die in gutem Einvernehmen mit den Vertretern der Stadt lebte. Den jüdischen Bewohnern von Eibenschütz ging es recht gut.

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Mořic Goldmann mit seiner Frau Anna.

Bestimmte Veränderungen zeichneten sich bereits während des Ersten Weltkriegs und dann insbesondere in den 1930er Jahren ab. Dies hing mit dem Aufstieg des Faschismus zusammen. Die Stadt Ivančice musste Flüchtlingsströme bewältigen. Juden flohen aus den nach und nach von Hitler besetzten Ländern in die damals noch freie tschechoslowakische Republik. Menschen aus den Nachbarregionen in Deutschland, Österreich, der Slowakei sowie dem Sudetenland versuchten, unter anderem bei Verwandten und Glaubensgenossen in Eibenschütz unterzukommen.

Im September 1938, nach der Besetzung des Sudetenlandes durch Nazideutschland, wurde Ivančice zur Grenzstadt. Juden aus dem besetzten Grenzgebiet mussten ihre Heimat verlassen; wenn sie Verwandte in Ivančice hatten, konnten sie bei ihnen wohnen. Viele ausländische Vertriebene aber wurden an den Grenzen von der Gendarmerie aufgehalten und in jene Länder zurückgeschickt, aus denen sie geflohen waren. Zunächst übernachteten jene, die es über die tschechoslowakische Grenze geschafft hatten, in Wäldern und auf Feldern unter ärmlichen Bedingungen. Erst nach einer Intervention des britischen Konsuls wurde eine Gruppe dieser Personen nach Ivančice verlegt. Die Nachkommen des Lederfabrikanten Max Sinaiberger stellten für ihre Unterbringung Nebengebäude der ehemaligen Gerberei zur Verfügung. Die Flüchtlinge kamen meist nur mit dem, was sie trugen, hier an und waren körperlich und psychisch in einem erbärmlichen Zustand. 

 

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Die ehemalige Lederfabrik Sinaiberger, in deren Halle das Lager untergebracht war.

Bald wurde im Hintergebäude der geschlossenen Gerberei ein regelrechtes Flüchtlingslager eingerichtet. Das Verdienst seiner Gründung gebührt dem letzten Oberhaupt der jüdischen Religionsgemeinde, Mořic Goldmann. Er sicherte sich die Unterstützung des Landesamtes in Brünn, finanzielle Hilfe kam von der Internationalen Jüdischen Liga. Den Flüchtlingen wurde auch von der örtlichen jüdischen Gemeinde und deren Mitgliedern geholfen. Für die Milchversorgung der Kinder sorgte Mořic Goldmann hauptsächlich aus eigener Kraft. In der Fabrikhalle der ehemaligen Gerberei befanden sich das Büro des Lagers, Küche, Wäscherei und ein Badezimmer, weiters eine Arztpraxis mit einem Krankenhausbett. Der Speisesaal und die Unterkunftsräume befanden sich im ersten Stock.

Einige Flüchtlinge konnten die Republik noch verlassen. Am 15. März 1939 besetzte das Dritte Reich Böhmen und Mähren. An diesem Tag wurde das Flüchtlingslager in ein Internierungslager umgewandelt und der Verwaltung der Brünner Gestapo unterstellt. Die Männer aus dem Lager mussten in der Kukla-Mine im nahe gelegenen Oslavany arbeiten, die Frauen waren in der Küche und der Wäscherei beschäftigt und mussten unter anderem Arbeitskleidung für die Häftlinge des Gefängnisses am Brünner Špilberk nähen. 

Das Internierungslager von Ivančice war bis März 1942 in Betrieb. Am 11. März ging auf Anordnung des Bezirksamtes Brünn der erste Transport in das Konzentrationslager Brünn – Merhautova-Strasse ab. Weitere Transporte fanden am 15. und 16. März statt, der letzte am 5. April 1942. Auf die Transporte wurden nicht nur Menschen aus dem Lager, sondern auch einheimische Juden aus Ivančice geschickt. Während der Zeit seiner Existenz durchliefen achthundertein Menschen das Lager Ivančice. Fünfundvierzig Menschen, die im Lager oder im Krankenhaus starben, wurden auf dem Eibenschützer jüdischen Friedhof beigesetzt. Auf ihren Gräbern errichtete die Gemeinde einfache Betondenkmäler mit Namen, Ortsangaben, Geburts- und Sterbedaten.

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Denkmal am jüdischen Friedhof von Ivančice/Eibenschütz.

Mořic Goldmann und seine Frau Anna überlebten den Krieg in Theresienstadt (tschech. Terezín). Nach dem Krieg kehrten sie nach Ivančice zurück, wo Mořic versuchte, die jüdische Gemeinde mit ihren Einrichtungen wiederherzustellen. Dies scheiterte jedoch. 

Nach 1948 übersiedelten die Goldmanns nach Venezuela zu ihrem Sohn Karl, der dort als Tierarzt arbeitete. An das schwierige Leben der Flüchtlinge im Lager erinnerten im Jahr 2017 Vertreter Niederösterreichs, der jüdischen Gemeinde in Brünn und der Stadt Ivančice im Rahmen einer Feierstunde: auf dem Friedhof wurde ein Gedenkstein in Form der Gesetzestafeln aufgestellt.

 

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 Gräber von Lagerinsassen auf dem jüdischen Friedhof von Ivančice/Eibenschütz

 

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Enthüllung des Denkmals; Bildmitte links: Erhard Busek.

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An dem ehemaligen Lagergebäude ist eine Gedenktafel angebracht.

Alle Abbildungen: Mit freundlicher Genehmigung V. Jelínková.

 

Anmerkungen

 

 

1 Das heisst, Grunderwerb bzw. Wohnungen waren nicht mehr auf die Ghettobezirke beschränkt; Anm. d. Red.

2 Deren politische Funktionen entsprachen jenen eines Bürgermeister und seines Gemeinderats; Anm. d. Red.