Ausgabe

Shtetl in Paris, Schmelztiegel der Kunst Zum 50. Todestag des Bildhauers Jacques Lipchitz

Stephan Templ 

Jacques Lipchitz (1891–1973) entstammt einer Bauunternehmerfamilie aus der litauisch-weissrussischen Grenzstadt Druskininkai, damals im Russischen Reich gelegen.

Inhalt

So wie Marc Chagall (1887–1985) und Chaïm Soutine (1893–1943) studierte Jacques Lipchitz an der Kunstschule von Vilnius, und wie jene übersiedelte er nach Paris – ins Mekka aller Jungen, vor allem für die jüdischen Kunsttalente aus dem Russischen Kaiserreich, einem Land, in dem Pogrome und Diskriminierung stets präsent waren.

6_amedeo_modigliani_-_jacques_and_berthe_lipchitz_-_google_art_project.jpg

 Jacques und Berthe Lipchitz. Doppelportrait von Amedeo Modigliani, 1916. Art Institute of Chicago, Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Amedeo_Modigliani_-
_Jacques_and_Berthe_Lipchitz_-_Google_Art_Project.jpg

Paris war ein internationaler Schmelztiegel, „Ausländer“ konnten hier ihren Weg machen: die Spanier Pablo Picasso (1881–1973) und Juan Gris (1887–1927), der Rumäne Constantin Brâncuși (1876–1957), der Amerikaner Man Ray (1980–1976) und die Italiener Amedeo Modigliani (1884–1920) und Giorgio de Chirico (1888–1978) sowie eben Marc Chagall, Jacques Lipchitz und Chaïm Soutine aus dem Russischen Kaiserreich. Ausgestellt wurden sie von den jüdischen Galeristen wie Berthe Weill (1865–1951), Pierre Loeb (1897–1964), den Brüdern Paul Rosenberg (1881–1959) und Leonce Rosenberg (1878–1947), von George Wildenstein (1892–1963), Alfred Flechtheim (1878–1937) und ­Daniel-Henry Kahnweiler (1884–1979).

 

Judenfeindlichkeit war notabene auch in der Kunstszene zu finden – man erinnere sich nur, mit welcher Vehemenz Pierre-Auguste Renoir (1841–1919), Edgar Degas (1834–1917) und auch Paul Cézanne (1839–1906) das willkürliche Fehlurteil gegen den französisch-jüdischen Offizier Alfred Dreyfus (1859–1935) verteidigten. 

6_jacques_lipchitz_birth_of_the_muses_1944-1950_mit_campus.jpg

Geburt der Musen (1944–1950). Massachusetts Institute of Technology Campus, Cambridge, Massachusetts. Foto: Daderot at English Wikipedia. Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Jacques_Lipchitz,_Birth_of_the_Muses_(1944-1950),_MIT_Campus.JPG

Lipchitz‘s bildhauerisches Werk war anfangs stark geprägt vom Kubismus. Zunehmend wichen die harten Kanten immer mehr weich geschwungenen Formen, die sich im Alterswerk zu barock anmutenden Monumentalwerken entwickelten, oftmals biblische Themen darstellend.

Lipchitz konnte 1941 dank der Hilfe des amerikanischen Journalisten Varian Fry (1907–1967) in die U.S.A. flüchten, wo er sich in Hastings-on-Hudson, New York ein Atelier einrichtete. Er kehrte nach dem Kriege nicht mehr dauerhaft nach Paris zurück; viel Zeit verbrachte er in seiner toskanischen Villa Bozio unweit der Carrara-Steinbrüche. 1973 verstarb Lipchitz auf der Insel Capri. In seinen letzten Lebensjahren hatte er sich der Chabad Lubawitsch-Bewegung zugewandt, der er auch seine Villa vermachte und bei der seit 1976 jährlich Sommercamps für Jugendliche stattfinden.

6_lipshitz_1976_philly.jpg

Government of the People. Bronzeskulptur, seit 1976 in Philadelphia. Foto: Smallbones, Quelle: Wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lipshitz_1976_Philly.JPG