Christoph Tepperberg
Michael Wolffsohn: Wem gehört das Heilige Land? Die Wurzeln des Streits zwischen Juden und Arabern. Aktualisierte Taschenbuchausgabe.
München: Piper Verlag, 1. Aufl. 2002, 22. Aufl. 2024 [Die Erstausgabe ist 1992 bei Goldmann in München erschienen.]
304 Seiten, Euro 12,95.- (Paperback), Euro 11,99.- (eBook)
ISBN: EAN 978-3-492-23495-5
Der Autor
Michael Wolffsohn, geboren 1947 in Tel Aviv als Sohn deutschjüdischer Emigranten, lebt seit 1954 in Deutschland. 1975 Promotion, 1980 Habilitation. Er war 1981–2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr München. Seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Einschlägige Publikationen: Wem gehört das Heilige Land? Die Wurzeln des Streits zwischen Juden und Arabern (1992, 2024), Deutschjüdische Glückskinder. Die Weltgeschichte meiner Familie (2018, 2023), Tacheles: Im Kampf um die Fakten in Geschichte und Politik Antisemitismus heute (2020), Michael Wolffsohn im Gespräch (2020), Eine andere Jüdische Weltgeschichte (2022, 2023), Nie wieder? Schon wieder!: Alter und neuer Antisemitismus (2024), Feindliche Nähe. Von Juden, Christen und Muslimen (2025).
Wem gehört das Heilige Land? Diese Frage ist heute aktueller denn je. Die Debatten zu diesem Thema sind vielfach von Ignoranz und starken Emotionen begleitet, noch immer verstellen Parteilichkeit und Machtinteressen den Blick auf die wahre politische Lage im Nahen Osten.
Der Autor unterscheidet zwischen wissenschaftlich nachvollziehbarem Wissen und tradierten jüdischen und muslimischen Mythen, und das insbesondere im Zusammenhang mit neuen archäologischen Forschungen. Als Wissenschafter ist das Resultat der Forschungen und seiner Schlussfolgerungen daraus begreiflicherweise mit einer Entmythologisierung von tradierten Narrativen verbunden, jedoch stets mit dem Bemühen um Verständnis für die jüdischen Traditionen. Wolffsohn meint, dass vieles in der jüdischen Tradition mit den wissenschaftlichen Ergebnissen, insbesondere der Archäologie, nicht in Einklang zu bringen sei: „Manch Heiliges ist auch nur Mythos, also sagenhafte und eben keine nachweisbare Geschichte. Das gilt zum Beispiel für die biblische, alttestamentliche Landnahme. Es gab sie nicht. Zumindest nicht so, wie in der Bibel erzählt. Auch das vermeintlich so grosse Königreich unter David und Salomon war anders, ganz anders, nämlich klein, um nicht zu sagen, winzig.“ Entlang dieses wissenschaftlichen Anspruchs präsentiert Wolffsohn eine detaillierte Geschichte des Heiligen Landes, wobei auch Geschichte und Position der Muslime mit dokumentiert sind. Wolffsohn versteht sein Buch zugleich als Handreichung zum besseren Verständnis der Geschichte Israels.
Die Grobstruktur des Bandes: Information durch Agitation, Heiliges Land? Israel? Palästina? I. Religiosität und Politik, II. Das Heilige Land, die Religionen und die Politik, III. Die Geschichte der Besitzwechsel. Hinter diesen Abschnitten verbirgt sich eine detaillierte Geschichte des Heiligen Landes, basierend auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen.1 Sie beginnt mit dem Jahr 1220 v.Chr. und endet mit den Gewaltakten des Jahres 2023. Zuletzt referiert der Autor den unglückseligen Krieg in Nahost mit seinen wechselnden Friedensbemühungen und Intifadas, mit Schlägen und Gegenschlägen – und das mit ständig zunehmender Brutalität, insbesondere seit dem Sieg der Hamas gegen die Fatah (2007).
Dadurch ist ein friedliches Miteinander von Israelis und Palästinensern in weite Ferne rückt. Wolffsohn ist für die Probleme beider Seiten offenen. Auf seine Frage „Wem gehört das Heilige Land?“ antwortet er: „Es gehört niemandem, es gebührt allen. Allen die überlebt haben, allen, die dort leben wollen oder dort leben müssen.“ Alle bisherigen Lösungsversuche in Nahost blieben ohne Erfolg. Also müsse man das Problem völlig neu denken. Entsprechend auch die Schlussbemerkung: „Unrecht gegen Unrecht“, gefolgt von seinem Lösungsvorschlag „Frieden durch Föderalismus“. Diese „praktikable föderative Friedenslösung“, wie er sie nennt, ist allerdings mehrstufig und in sich höchst kompliziert. Sie klingt angesichts der gegenwertigen Zustände utopisch und scheint nach menschlichem Ermessen kaum realisierbar. Das ist dem Autor durchaus bewusst, wenn er meint: Alles sei besser als Krieg, und zitiert dazu den Esel von den Bremer Stadtmusikanten: „Etwas besseres als den Tod finden wir überall.“
Eine Zeittafel, Leseempfehlungen (Literaturauswahl) sowie ein Orts-, Personen- und Sachregister vervollständigen diese bemerkenswerte Publikation.
Anmerkung
1 Vgl. auch Michael Wolffsohn: Eine andere Jüdische Weltgeschichte. Freiburg im Breisgau: Verlag Herder 2023.