Berthold Schäffner
Karla Schönebeck: Musik nach dem Todesmarsch. Ein jüdisches Orchester und seine Liberation Concerts im Nachkriegsdeutschland
Theiss im Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2025
288 Seiten, 26 €
ISBN: 978-3-534-61040-2
Drei Wochen nach den Todesmärschen und dem Kriegsende 1945 gaben acht Juden in Häftlingskleidung und auf notdürftig reparierten Instrumenten auf dem Rasen des Klosters Ottilien (Bayern), eigentlich ein Hospital für 2000 Wehrmachtsangehörige, ein „Liberation Concert“. Sie wurden als Zwangsarbeiter aus dem litauischen Ghetto Vilnius, wo sie früher im Orchester in der dortigen Staatsoper musizierten, hierher verschleppt.
Im Publikum sassen ausgehungerte, zerlumpte, sterbende und kranke Juden und hörten jiddische Volksweisen sowie Partisanen- und Ghetto-Lieder, zum Beispiel „Ich bank a Heim“ (Ich sehne mich nach Hause). Die Sängerin Henia Durmashkin konnte sich auf der Bühne vor lauter Schwäche kaum halten. Mit der zionistischen und hoffnungsvollen Hymne Hatikva endete das Konzert.
Ein junger amerikanischer Presseoffizier berichtete darüber für die Armeezeitung: „Auf dem Rasen vor dem Krankenhaus war eine behelfsmässig zusammengezimmerte Bühne aufgebaut, über der ein aus Flecken und Fallschirmseide genähter Baldachin hing.“
Die kleine Musikergruppe ging im Bus auf Tournee und gab immer mehr Konzerte, auch öffentliche. Ein beklemmender Auftritt in KZ-Uniform gab das „Ex-Concentration Camp Orchester“ am 7. Mai 1945 vor Richtern des internationalen Militärtribunals in der Oper Nürnberg (Stadt der Reichsparteitage und Rassegesetze). Dies war der bedeutende Durchbruch des jüdischen Displaced Persons-Orchesters. Kurz vor der Gründung des Staates Israel 1948 musizierten sie in München bei zwei Konzerten mit dem bald berühmten jungen amerikanischen Leonard Bernstein. Viele Juden, darunter die Musiker, wanderten wenig später nach Palästina aus und zerstreuten sich in alle Welt.
Die Autorin und freie Journalistin Karla Schönebeck gehört zum Vorstand des Fördervereins der Liberation Concerts und vermittelt Jugendlichen an Schulen auch jüdische Geschichte. Im Projekt „Liberation Concert“ musizieren zum Beispiel Schülerinnen und Schüler der Musikschule und Mitglieder der Bayerischen Philharmonie Landsberg gemeinsam mit jungen Israelis und hoffen allesamt auf eine bessere Zukunft. Somit bleibt die Erinnerung an das erste jüdische Orchester der Nachkriegszeit wach.