Ausgabe

„Kulturtechnik Judenhass“ heute

Sabine Mayr

Inhalt

Matthias Naumann (Hg.): Judenhass im Kunstbetrieb. Reaktionen nach dem 7. Oktober 2023. Relationen. Essays zur Gegenwart (Hg. David Jünger, Sebastian Freund), Bd. 19.

Berlin: Neofelis Verlag, 2. Auflage 2025.

211 Seiten, Euro 18,00.-

ISBN 978-3-95808-452-0

 

Der Autor, Übersetzer und Leiter des Berliner Neofelis Verlages Matthias Naumann vereint im 19. Band der „Relationen. Essays zur Gegenwart“ wichtige kulturkritische Analysen gegenwärtiger Erscheinungsformen der biblischen „Kulturtechnik Judenhass“. Ein Jahr nach dem Massaker der Hamas wird eine besorgniserregende Bilanz gezogen.

 

Massive antisemitischen Angriffe und irreführende, fasche Narrative in den verschiedenen Disziplinen des Kunstbetriebs folgten auf den Pogrom, während Empathie mit den Opfern beinahe ganz ausblieb. Nur ein Beispiel für viele antisemitische Postings bietet etwa der/die nicht-binäre Berliner KuratorIn Edwin Nasr, die/der die Flucht in die Wüste Negev während des Massakers am 7. Oktober auf Instagram als „Poetic Justice“ kommentierte.

 

Große Teile des Kunstbetriebes vertreten nach wie vor eine vom Postkolonialismus beeinflusste, vereinfachte, dichotome Sicht von Israel als ewigem Aggressor, solidarisieren sich teilweise offen mit der Hamas und glorifizieren in antisemitisch grundierter Israelfeindschaft deren Verbrechen zu angeblich gerechtfertigter „Resistance“ bei gleichzeitiger Ahnungslosigkeit gegenüber dem Nahostkonflikt. Dies sei ein „falsches Bedürfnis“, Ausdruck einer falschen, autoritären Politisierung des Kunstbetriebs, erläutert Matthias Naumann. Kunstschaffende nutzen öffentliche Aufmerksamkeit oder Social Media, um sich politisch zu geben, wenn auch mit meist nicht argumentativen Äußerungen, oberflächlichen Codes der Zugehörigkeit, antiisraelischem Konformitätsdruck oder Bekenntniszwang. Die antidiskursiven, teils nicht einmal agitatorischen Versuche der Politisierung, mit denen in den vergangenen Jahren im Kunstbetrieb eine einseitig antiisraelische Sichtweise hegemonial gemacht werden sollte, haben aber nichts mit Kunst zu tun, die sich um Reflexion, Vielfalt, Mehrdeutigkeit und die Erweiterung der Wahrnehmungsmöglichkeiten bemüht und sich auch mit Rassismus in den eigenen Reihen auseinandergesetzt hat, sondern fördern im Gegenteil die autoritäre Negation von Kunst, mahnt Matthias Naumann. Für Antisemitismus propagierende und antisemitisch wirkende Kunstwerke und die im Band dokumentierte Atmosphäre des Juden- und Israelhasses, die lange vor dem 7. Oktober erkennbar war, sich aber nach dem 7. Oktober auf erschreckende Weise verstärkt hat, müsse der Kunstbetrieb Verantwortung übernehmen.

 

Die im jeweiligen Bereich künstlerisch, kuratorisch oder journalistisch tätigen AutorInnen beleuchten die Literatur und Bildende Kunst, Musik, Theater, Tanz, die Filmbranche, Karikaturen und Comics. Aus einem historisch fundierten Ansatz werden bekannte Haltungen wie etwa die 2005 von palästinensischen Organisationen, darunter der Hamas, gegründete BDS-Kampagne oder die terrorverherrlichenden Werke der „documenta fifteen“ 2022 aufgezeigt. Ferner unter vielem anderen auch die „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“, mit der sich deutsche KuratorInnen und IntendantInnen 2020 gegen die BDS-Resolution des Bundestages 2019 wandten, der unter missbräuchlicher Anwendung des Antisemitismusvorwurfs das Thema angeblich zu Gunsten der rechten israelischen Regierung politisch instrumentalisiere.

 

Aber auch neue Boykottbewegungen wie der anonyme Aufruf „Strike Germany“ werden kritisch unter die Lupe genommen. „Strike Germany“ fordert KünstlerInnen auf, nicht mehr in Deutschland aufzutreten, wo angeblich eine der McCarthy-Ära vergleichbare Zensur herrsche und Erinnerungskultur zu einem „repressiven Dogma“ geworden sei, was Solidarität mit PalästinenserInnen verhindere. „Strike Germany“ beeinflusste politische Ziele und kuratorische Vorstellungen, personelle und programmatische Entscheidungen im Kunstbetrieb, schüchterte jüdische, israelische oder antisemitismuskritische Kunstschaffende ein, die zur Zielscheibe aggressiven Online-Mobbings oder eines „Silent Boycotts“ wurden, und marginalisierte das Thema NS-Vergangenheit, wie die Ablehnung des Films „Die Ermittlung“ von Rolf Peter Kahl nach dem gleichnamigen Theaterstück von Peter Weiss durch die Berlinale 2024 zeigt.

 

Was an postkolonialen und queerfeministischen Theorien emanzipatorisch wertvoll ist, müsse gegen diejenigen verteidigt werden, die es mit Antisemitismus und autoritärer Dogmatik verraten oder andererseits von rechts schon immer angegriffen haben und nun eine Chance wittern. Denn zu den rechten Methoden gehört die dauernde Imagination, zensiert oder gecancelt zu werden, einer vermeintlichen Meinungsdiktatur zum Opfer zu fallen, während man selbst zum Boykott aufruft und Veranstaltungen stört, schlussfolgert Matthias Naumann im zu Reflexion aufrufenden, der kritischen Theorie verpflichteten, wertvollen Band.

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