Ein Blick anlässlich des Jubiläumsjahrs auf die Arnstein und Eskeles-Mäzenatenfamilie und die Musik bis zur Ära des Wiener Walzerkönigs zeigt den Sprung in die Multikulturalität der zukünftigen Millionenmetropole Wien
Fanny von Arnstein und ihre Tochter Henriette Pereira-Arnstein sind heute noch bekannt, weil sie die Verbreitung adeliger Musikvorstellungen in den bürgerlichen Schichten, einer am Adel und seinen Herrschaftsformen orientierten „Hochkultur“ förderten. Als Mitbegründerin der Gesellschaft der Musikfreunde war es der Salonière wie auch ihrer Schwester Cäcilie Eskeles, die mit aufklärungsaffiner Bildung und Kulturverständigkeit ihren Hofjuden-Männern gesellschaftliche Anerkennung verschaffen konnten, ein Anliegen gewesen, erstklassige musikalische Aufführungen einem breiteren Publikumskreis zu eröffnen, der über die geschlossenen Privatveranstaltungen des Adels hinausreichte. Wie sich die Aufführungspraxis in den nächsten Jahrzehnten weiterentwickeln sollte, konnten sie dabei nicht einmal erahnen. Ihren Töchtern liessen die Itzig-Schwestern eine umfangreiche Musikerziehung angedeihen, der von Mozart empfohlene Muzio Clementi in London wurde extra als Klavierlehrer engagiert. Vom jungen Mozart, der sich mit Wiegenliedern unter die hippe Wohngemeinschaft des Arnstein-Eskeles-Nachwuchses im Haus am Graben gemischt hatte, bis zum greisen Joseph Haydn, den Jahrzehnte später Mutter und Tochter im Braunhirschen-Gartenpalais bewirteten, wenn er im Salettl von seinem Spaziergang aus der Wohnung vor die „Linie“ zu den Freunden und Förderern ausruhte, spannt sich der Bogen Arnsteinscher hochkultureller Musikförderungserfahrungen.
Mit dem Wiener Kongress ging eine Epoche zu Ende, Fanny verstarb 1818, ihre Schwester Cäcilie folgte ihr 1836 auf den jüdischen Friedhof Währing, die Ehemänner Nathan Adam 1838 und Bernhard Eskeles schliesslich 1839. Das Bankhaus hatten längst die Kinder übernommen, der adoptierte Schwiegersohn Heinrich Pereira-Arnstein und sein Cousin Denis Eskeles. Wenige Jahre nach dem Ende der Aufklärungsgeneration war aus dem Braunhirschengrund mit dem Adelspalais bereits ein industrialisierter Arbeiterbezirk geworden. In mittlerem Alter und frisch verwitwet, beschloss Henriette – die Gastgeberin von Cousin Mendelssohn, von Beethoven und Liszt – das Schlössl mangels Interesses der Nachkommen aufzulösen. Als Pächter, später dann Käufer, zeigte sich der Gastronom Karl Ludwig Schwender aus der Nachbarschaft interessiert. Das Caféhaus samt Bierhalle, Kegelbahn, Ballsaal und Theater namens Schwenders Colosseum sollte sich sukzessive bis übers Gelände des einst Arnsteinschen Anwesens ausdehnen; zur Unterhaltung der Ballgäste wurde bald auch Johann Strauss Sohn samt Capelle aufgeboten. Die Pereira-Arnstein-Kinder indes waren weitergezogen, näher zum kaiserlichen Schloss Schönbrunn, ins prestigeträchtige Hietzing zu einem repräsentativen Palais samt riesigem Garten. Auch Johann Strauss Sohn zog es dort-
hin. Nach seiner Heirat mit Eduard Todescos Ex-Zweitfrau Jetty Treffz, seiner energischen Managerin, konnte das Ehepaar sich 1868 eine Villa beim Schönbrunner Schlosspark leisten.
Henriette Pereira-Arnstein und ihre Tochter Flora. Portrait, Friedrich von Amerling, 1833. Österreichische Galerie Belvedere Object ID 8393. Quelle: wikimedia commons, gemeinfrei: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Friedrich_von_Amerling_-_Henriette_Baronin_Pereira-Arnstein_mit_ihrer_Tochter_Flora_-_2593_-_Österreichische_Galerie_Belvedere.jpg
Als Henriette 1859 starb, zugleich das Stammkapital der längst katholisch konvertierten Hofjuden-Familie mit der Pleite ihrer Arnstein & Eskeles Privatbank unterging und der Grundbesitz verkauft werden musste, bot sich erneut die Unternehmerfamilie Schwender zur Übernahme an: aus dem Hietzinger Traumschloss der Pereiras liess Schwender 1861 die Neue Welt werden, einen mit dem amerikanischen Disneyland vergleichbaren Vergnügungspark. Von Kamelientreibhaus und Feuerwerksplattform über eine hölzerne Alhambra, Restaurants und Cafés bis zu mehreren Musikpavillons, wo vier Orchester zur gleichen Zeit auftreten konnten, reichte die Bandbreite der Attraktionen. Gespielt wurde Pop-Musik im besten Sinne des Wortes, eine Mischung aus Marsch- und Tanzmusik, inspiriert von Anleihen aus der bunten Volkskultur des habsburgischen Vielvölkerstaats, deren Exponenten inzwischen massenweise in die Hauptstadt migriert waren. „Drausst in Hietzing gibts a Remasuri! Dui, Dui, Duri“, textete der verständige Librettist Victor Léon, ein Anrainer, in Johann Strauss’ Operettenpotpourri Wiener Blut; der Komponist selbst präsentierte dort in Schwenders „Weltausstellungs-Concert-Arena“im Mai 1872 seine eigens kreierte Polka Eine neue Welt. Nicht mehr Haydn und Mozart erklangen bei Arnstein-Pereira und Eskeles im Salon; stattdessen zog die Tanzmusik Tag für Tag abertausende Besucher aus den breiten unteren Mittelschichten – jene, die es geschafft, sich integriert, als Handwerker, kleine Beamte etabliert hatten – samt ihren Firmlingen ins vormalige repräsentative Domizil der Pereira-Arnstein. Die Stadtbevölkerung Wiens war seit den Hofjuden-Zeiten nicht nur sprunghaft angewachsen, sie hatte sich auch kaleidoskopartig aufgefächert: zwei Generationen nach Fanny entfaltete sich hier eine komplett neue Welt.
Henriette Pereira-Arnstein als Pomona, 1798. Portrait, Josef Grassi. Quelle: Artnet Auktion, https://www.artnet.com/artists/josef-grassi/a-portrait-of-henriette-freiin-von-pereir-aa-vJ28keMWF9yoYq1qBpV-Ug2
Johann Strauss (Sohn) und seine erste Ehefrau Jetty Treffz, 1862. Quelle: Projekt Gutenberg, gemeinfrei: https://www.projekt-gutenberg.org/decsey/strauss/bilder/01021.jpg
Teil I dieser Serie, Tina Walzer: The Next Generation. Die Nachkommen der Arnstein und Eskeles ist in DAVID, Heft 141, Sommer 2024, S. 38f erschienen.
Teil II dieser Serie, Tina Walzer: Mit ihrem Herrn. Sozialstrukturen im Haus der Familie Arnstein ist in DAVID, Heft 142, Rosch Haschana 5785/ September 2024, S. 50f erschienen.
Nachlese
Tina Walzer: Mozart war kein Antisemit. Eleonora Eskeles und ein Brief Mozarts an seinen Vater. In: DAVID, Heft 131, Chanukka 5782/Dezember 2021, S. 76f.
Tina Walzer: Fanny von Arnstein und die Emanzipation. In: DAVID, Heft 135, Chanukka 5783/Dezember 2022, S. 52f.
Tina Walzer: Die Familie Arnstein in Wien. In: DAVID, Heft 133, Sommer 2022, S. 58f.
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