In Wien werden erstmals die Bauten Heinrich Kulkas gezeigt
Adolf Loos verbrachte seine letzten Jahre grossteils in Sanatorien, um sich von seiner lebensbedrohenden Krankheit zu erholen. Seine Spätwerke, wie das Landhaus Khuner am Kreuzberg, die Villa Müller in Prag oder die Häuser in der Wiener Werkbundsiedlung wurden von seinem Bürochef Heinrich Kulka gezeichnet. Daneben beginnt der junge Architekt Kulka, der im Jahre 1900 im mährischen Litovel geboren wurde, seine eigenen kleineren Projekte. Nach dem Tod von Loos (1933) entstehen vor allem in der Tschechoslowakei während der sechs Jahre bis zu seiner Flucht nach Neuseeland Wohnbauten, die seine ganz eigene Handschrift zeigen: die Atmosphäre ist sanfter und legerer als bei Loos, statt Steinverkleidungen gibt es Holztäfelungen, und die bereits für das Landhaus Khuner entwickelte Polychromie ist stets präsent.
Hervorgehoben werden sollte die Wohnung des Nadelfabrikanten Oskar Semler in Pilsen: in ein bestehendes Mietshaus baute Kulka eine 500 Quadratmeter grosse Residenz ein. Er durchbrach die existierenden Geschossebenen, um den Weg in die Wohnung, die Halle, die Bibliothek und die Kaminnische auf verschiedenen Ebenen zu einer transparenten Raumskulptur zu vereinen – was kurz „Raumplan“ genannt wird. Das bis dato wenig bekannte Meisterstück wird wohl eines Tages in einem Atemzug mit viel bekannteren Ikonen der Moderne genannt werden, wie die Villa Tugendhat von Mies van der Rohe in Brünn, die Villa Schminke von Hans Scharoun in Löbau (bei Bautzen) oder die Villa Savoye von Le Corbusier in Poissy.
Das Schicksal der Wohnung Semler ist auch jenes der weiteren Bauten Kulkas: die Villa Holzner in Hronov, das Haus Teichner im Böhmerwald und das Haus Weismann am Wiener Küniglberg wurden alle von den Nazis enteignet. Niemand von den Bauherren-Familien kehrte nach dem Krieg zurück. Heinrich Kulka nannte sich dann in Neuseeland Henry, arbeite dort für den grössten Baukonzern als Chefarchitekt und konnte – hauptsächlich für jüdische Emigranten – seine in Europa entwickelte Methode legerer, hochstehender Wohnkultur weiter verwirklichen. Ein einziges Mal, im Jahre 1966, fünf Jahre vor seinem Tod, besuchte er Wien und hielt einen Vortrag. Seine Witwe übergab einen Teil seines Nachlasses der Wiener Albertina, in der Hoffnung, eine Ausstellung zum Werk ihres Mannes zustande zu bekommen. Mehr als ein halbes Jahrhundert später ergriff die Galerie Architektur im Ringturm die Initiative und zeigt nun zum ersten Mal in Europa Kulkas Werk.
Heinrich Kulka: Haus Semler, Pilsen/Plzeň 1933–35, Klatovská třída 110, Innenansicht. Foto: Gallery of West Bohemia in Pilsen, Semler Residence, mit freundlicher Genehmigung: Ausstellungszentrum im Ringturm.
Ausstellung, bis zum 7. November 2025
Ausstellungszentrum im Wiener Ringturm
Schottenring 30, 1011 Wien
Montag bis Freitag 09.00 – 18.00 Uhr, Eintritt frei
Link: www.airt.at/projects/kulka/
Katalog
Heinrich Kulka. Der Raumplan als Entwurfsmethode. Hg. v. Adolph Stiller. (= Architektur im Ringturm LXVIII). Müry Salzmann Verlag, Wien–Salzburg 2025. 204 Seiten, broschiert, Deutsch/Englisch, Euro 38,00.- ISBN 978-3-99014-271-4