Ausgabe

Verloren, wiedergefunden und erneut vergessen? Ein einzigartiger Fund von Grabsteinen des Alt-Neuen Jüdischen Friedhofs in Bratislava

Daniel Polakovič/Tomáš Stern

Inhalt

Im Herbst 1943, zwei Jahre nach mehreren Deportationswellen der jüdischen Bevölkerung aus Bratislava in Arbeits- und Konzentrationslager, schritt die Stadtverwaltung zur Liquidierung des alten jüdischen Friedhofs am Podhradie-Ufer. Die Leitung der Jüdischen Gemeinde Bratislava bemühte sich, Zeit zu gewinnen und die amtlich beschlossene Zerstörung des jahrhundertealten Friedhofs aufzuhalten. Nach langen Verhandlungen – in bedrückender Atmosphäre der Deportationen, der physischen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in der Slowakei und unter erheblichen finanziellen Opfern – gelang es schliesslich, den sogenannten „Rabbinischen Bezirk“ (einschliesslich der Gräber des bedeutenden Rabbiners Moses Schreiber, genannt Chatam Sofer) unter dem Niveau der neuen Fahrbahn unversehrt zu bewahren, die Exhumierung vorzunehmen und die übrigen sterblichen Überreste auf den neuen orthodoxen Friedhof zu übertragen.

 

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Der gegenwärtig beklagenswerte Zustand eines Teils der in den Jahren 2021–2022 sortierten und für die schrittweise Restaurierung vorbereiteten Funde. Zustand vom 8. August 2025.

 

Auf der so erhaltenen, stark begrenzten Fläche blieben lediglich dreiundzwanzig Gräber rabbinischer Persönlichkeiten unangetastet, zusammen mit weiteren einundvierzig ausgewählten Grabsteinen und Fragmenten. In den Jahren 2000 bis 2002 entstand nach einer umfassenden Rekonstruktion dieses so stark reduzierten Areals des ursprünglichen Friedhofs eine Anlage, die den Vorstellungen würdevoller Nachhaltigkeit und Präsentation der verbliebenen Teile des ursprünglichen sepulkralen Raumes entsprach – bis heute etwas unglücklich unter der offiziellen Bezeichnung „Mahnmal des Chatam Sofer“ bekannt.

 

Die Gründung des alten beziehungsweise „Alt-Neuen“ jüdischen Friedhofs (Anmerkung: der genaue Standort des mittelalterlichen jüdischen Friedhofs ist bis heute unbekannt) fällt in das letzte Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts, also in die Zeit der formellen Wiederkonstituierung der Jüdischen Gemeinde in Pressburg (dem heutigen Bratislava). Die ursprüngliche mittelalterliche Gemeinde war durch die Vertreibung der jüdischen Einwohner aus der Stadt „intra muros“ im Jahr 1526 untergegangen. Nach mehr als einem Jahrhundert ist uns dank der erhaltenen Protokolle der Stadtratssitzungen ein Eintrag aus dem Jahr 1692 überliefert, in dem es heisst: „(…) das Gesuch der Juden (…) einen Platz auszuwählen, wo sie ihre Toten begraben können.“ Im Jahr 2025 begehen wir somit den 333. Jahrestag des formalen Beginns dieser Bemühungen. Doch erst volle vier Jahre später, im Jahr 1696, wurde endgültig ein Vertrag zwischen der Stadt Pressburg und der neuen jüdischen Gemeinde in Podhradie über die Nutzung der Friedhofsfläche für die Dauer von dreissig Jahren und gegen eine jährliche Abgabe von sechzig Rheinischen Gulden an die Stadtkasse geschlossen. Gleichzeitig wurde die jüdische Bruderschaft für Krankenpflege und Bestattung (Chevra Kadischa) gegründet.

 

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Ursprüngliches Aussehen des Alt-Neuen Friedhofs am damaligen Donauufer, festgehalten auf einer Fotografie aus den 1930er Jahren.

 

Die Friedhofsfläche wurde mehrfach erweitert, und zwar in den Jahren 1726, 1739 und 1790. Im Jahr 1811 musste die jüdische Gemeinde zur Aufschüttung der Friedhofsfläche greifen, da der Stadtrat eine weitere Vergrösserung ablehnte. Diese Massnahme musste nach wiederholten Ablehnungen insgesamt viermal durchgeführt werden. Im hinteren Teil des Friedhofs entstanden dadurch sogar drei bis vier Grablagerschichten – ähnlich wie beim alten jüdischen Friedhof in Prag. Schliesslich erwarb die jüdische Gemeinde 1846 ein grosses Grundstück mit Weingarten für einen neuen Friedhof (den heutigen orthodoxen), der ein Jahr später in Gebrauch genommen wurde. Die letzte Beisetzung auf dem Alt-Neuen Friedhof fand am 16. Februar 1847 statt. Der Alt-Neue Jüdische Friedhof diente in der Vergangenheit zahlreichen Forschern auf dem Gebiet der rabbinischen Genealogie und der alten Pressburger jüdischen Familien. Isaak Z. Weiss (1874–1942), Rabbiner in Russovce, veröffentlichte eine kleine hebräische Monografie, in der er fünfundachtzig Beschreibungen von Grabsteinen rabbinischer Persönlichkeiten, die auf diesem Friedhof bestattet waren, sowie Biogramme zu diesen publizierte. An seine Arbeit knüpfte später Max Schay (1894–1979) an, ebenfalls Absolvent der Pressburger Jeschiwa und seit 1926 Rabbiner in New York. Während seines Studiums beschrieb er weitere eimhundertzwanzig Grabsteine des Alt-Neuen Friedhofs.

 

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Visualisierung eines Teils des ausgearbeiteten und genehmigten architektonischen Projekts zur Wiederaufstellung der gefundenen Grabsteine im ursprünglichen Friedhofsareal, wodurch ihm weitgehend sein ursprünglicher Charakter und sein Aussehen zurückgegeben würden.

 

In der Mitte der 1930er Jahre initiierte die Leitung der orthodoxen Jüdischen Gemeinde Bratislava unter dem Vorsitz von Isidor Pappenheim (1879–1942) ein gross angelegtes Inventarisierungsprojekt auf dem Alt-Neuen Friedhof. Das Vorhaben umfasste nicht nur die vollständige Erfassung der erhaltenen Grabsteine, sondern widmete auch den hebräischen Grabinschriften und deren Übersetzungen ins Deutsche besondere Aufmerksamkeit. Dieser Teil des Projekts wurde dem Administrator der Kanzlei der orthodoxen Gemeinde, Josef Grüns­feld jun. (1891–1944), übertragen. Er brachte nicht nur die Erfassungsarbeiten und Übersetzungen erfolgreich zu Ende, sondern erstellte zu sämtlichen 1.542 Grabsteinen übersichtliche Register und schloss das Projekt mit einem Orientierungsplan ab. Leider blieben von dieser umfangreichen Arbeit lediglich die deutschen Übersetzungen (mit kleinen Textverlusten) erhalten, darunter auch ein Torso einer überarbeiteten Version in chronologischer Ordnung. Die ursprünglichen hebräischen Beschreibungen der Grabinschriften, zusammen mit den Registern und dem Plan, sind bis heute verloren. Eine ähnliche Inventarisierungsaktion fand auch auf dem neuen orthodoxen Friedhof statt, wo die Chevra Kadischa ihr Mitglied Alois Hirschler damit beauftragte, ein Grabregister anzulegen. Bezüglich der Beschreibungen hebräischer Inschriften und etwaiger Übersetzungen stehen jedoch keine weiteren Informationen zur Verfügung.

 

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Visualisierung des Lapidariums, dessen Bau gemäss dem genehmigten architektonischen Projekt aus den gefundenen und unleserlichen Grabsteinfragmenten an der Stelle des Massengrabs auf dem orthodoxen Friedhof realisiert werden sollte.

 

Vor rund zwanzig Jahren nahm sich Rabbiner Mosche Alexander Zosha Künstlicher (1949–2021) der erhaltenen deutschen Übersetzungen der Grabsteine vom Alt-Neuen Friedhof an. Er war Autor mehrerer bio-bibliographischer Arbeiten auf diesem Gebiet. Unter anderem verfasste er zwei monumentale Werke zum Leben und Wirken von Rabbiner Moses Schreiber (Chatam Sofer), ein biographisches Lexikon seiner Schüler sowie ein enzyklopädisches Wörterbuch auf Grundlage eines Beschneidungsbuches (Mohelbuch), in dem er die intellektuellen Eliten des jüdischen Pressburgs im 19. Jahrhundert vorstellte. An den Kontrollarbeiten bei der Liquidierung des grössten Teils des Alt-Neuen Friedhofs war auch Robert Neumann (1894–1975) beteiligt, der als Sekretär der Chevra Kadischa tätig war. Zwar griff er auf die ursprünglichen Verzeichnisse von J. Grüns­feld zurück, doch während der „Deponierung“ ausgewählter Grabsteine auf dem neuen orthodoxen Friedhof kam es bei der Inventarisierung zu einer abweichenden Anordnung der Steine in den neuen Listen.

 

Die Nachkriegssituation brachte andere Prioritäten als die Wiederherstellung der dezimierten jüdischen Gemeinde mit sich, und der anschliessende politische Wandel war einer Revitalisierung jüdischer Denkmäler nicht förderlich. 1957 fanden Verhandlungen über die Enteignung des Geländes des ehemaligen Alt-Neuen Friedhofs zwecks Anpassung der Karloveská-Strasse und der Freifläche vor dem Westportal des Tunnels unter der Pressburger Burg statt. Zwar kam es zu einem Versuch, die finanziellen Aufwendungen der Jüdischen Gemeinde Bratislava aus der Zeit der erzwungenen Liquidierung des Friedhofs zu kompensieren, doch scheiterten die Restitutionsbemühungen letztlich, und dieser Zustand hielt bis in die 1990er Jahre an. Nach 1989 begannen langwierige Verhandlungen zwischen der Jüdischen Gemeinde und dem Magistrat Bratislava über die weitere Zukunft des Ortes, über die Möglichkeit einer Umlegung der Strassenbahntrasse bis hin zur pietätvollen Neugestaltung des Ortes der letzten Ruhestätte des Chatam Sofer. Schliesslich kam es zu einem positiven Wendepunkt, als es möglich wurde, mit teilweiser Unterstützung des Staates und vor allem durch private Investoren eine moderne Rekonstruktion des „Mahnmals des Chatam Sofer“ in Angriff zu nehmen, die in den Jahren 2000–2002 durchgeführt wurde.

 

Im Jahr 2020 entwickelte der damalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Bratislava, Tomáš Stern, nach langen Jahren der Vorbereitung ein umfassendes Projekt und veranlasste eine geodätische Vermessung der ursprünglichen Fläche des Alt-Neuen Friedhofs, basierend auf historischen Katasterkarten. Bei gleichzeitigen geophysikalischen Untersuchungen des Untergrunds ausserhalb des ursprünglichen Areals des Friedhofs – an den Orten, an denen damals die Rekonstruktion der benachbarten Strassenbahntrasse stattfand – wurden Sondierungsgrabungen durchgeführt. Diese brachten Bruchstücke der ursprünglichen Steinmauer des Friedhofs zutage, ebenso Fragmente von Grabsteinen sowie menschliche Gebeine, die anschliessend unter ritueller Aufsicht beigesetzt wurden. Durch die anschliessende Entfernung von Wildbewuchs und teils über meterhohen Schichten von Ablagerungen konnte nach fast achtzig Jahren endlich der Bereich der östlichen Umfassungsmauer des neuen orthodoxen Friedhofs vollständig freigelegt werden. Dabei wurde ein Depot von Grabsteinen des Alt-Neuen Friedhofs entdeckt, das ursprünglich nur auf einige Dutzend Stücke geschätzt worden war. Im Zuge der weiteren Freilegung kamen auch Grabsteine zum Vorschein, die in der Nachkriegszeit entwürdigend in Stützmauern und Fundamenten verbaut worden waren.

 

Im Sommer desselben Jahres wurden die Inventarisierungsarbeiten fortgesetzt, und die ursprünglich angenommene Zahl der Grabsteine erhöhte sich überraschend auf über 430, von denen die Mehrheit aus dem 18. Jahrhundert stammt! Es folgte die Digitalisierung der Funde (einschliesslich 3D-Scans und virtueller Aufbereitung des Areals des sogenannten Mahnmals des Chatam Sofer) sowie ein fortlaufender Vergleich der Grabsteine mit Archivaufnahmen des Friedhofs. In diesem Zusammenhang wurde eine mehrere Monate dauernde, umfangreiche Archivforschung in in- und ausländischen Archiven durchgeführt. Unterdessen fand im oberen Hof des neuen orthodoxen Friedhofs eine aufwändige Sortierung der Grabsteinfragmente nach Materialart und Segment statt, was eine gezieltere Auswahl und eine einfachere Identifizierung, insbesondere bei seltenen barocken Grabsteinen, ermöglichte. Daniel Polakovič erarbeitete in Zusammenarbeit mit Tomáš Stern auch ein Arbeitsverzeichnis aller Grabsteine auf Grundlage der verfügbaren Vorkriegsquellen, das heisst, der deutschen Übersetzungen von J. Grüns­feld und der hebräischen Beschreibungen von J. Weiss und M. Schay. Anschliessend erfolgte eine Korrektur der Daten anhand erhaltener sepulkraler Inschriften sowie eine heuristische genealogische Untersuchung in Verbindung mit dem Studium von Archivmaterial.

 

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Vorläufige Statistik der gefundenen und bereits identifizierten Grabsteine.

 

In dieser Projektphase begannen die Hauptautoren eine bis heute andauernde Zusammenarbeit mit Randol Schoenberg (Genealoge und Jurist, weltweit bekannt vor allem durch die Rückführung von Klimts Gemälde von Adele Bloch-Bauer („Die Frau in Gold“) an die rechtmässigen Eigentümer), sowie mit der internationalen genealogischen Plattform Geni.com. In einem eigenständigen Projekt wurde zudem die Korrektur fehlerhaft eingesetzter Grabsteine im „Mahnmal des Chatam Sofer“ ausgearbeitet, die sowohl in der Nachkriegszeit als auch während der Rekonstruktion in den Jahren 2000–2002 erfolgt waren. Die erhaltenen Grabsteine und ihre Fragmente, die im „Mahnmal des Chatam Sofer“ aufbewahrt werden, machen zusammen mit den jüngsten Funden nur etwa ein Drittel ihrer ursprünglichen Zahl aus. Die Vorkriegsinventarisierung verzeichnete insgesamt 1.542 Grabsteine, wobei die tatsächliche Zahl noch etwas höher lag.

 

Die wertvollsten Funde, die bereits zu Beginn der Arbeiten im Jahr 2021 zutage traten, stammen aus der Zeit kurz nach der Gründung des jüdischen Friedhofs. Der älteste zuverlässig datierte Grabstein gehört einem Mann namens Lipmann, Sohn des Petachja Sg“l, und stammt aus dem Jahr 1699 (!), also aus den ersten drei Jahren nach der Anlage des Friedhofs. Zwar war dieser Grabstein in keiner Vorkriegsdokumentation erfasst, doch örtliche Belege zur Familie des Verstorbenen reichen bereits in die 1650er Jahre zurück. Weitere Grabsteine stammen aus den ersten beiden Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts. Einige von ihnen waren in den ursprünglichen Verzeichnissen fälschlich in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts datiert – eine Zeit, in der es für Juden in Podhradie noch keine Begräbnisstätte gab. Ihre letzte Ruhe fanden sie damals in benachbarten jüdischen Gemeinden (Wien, Kittsee, Stupava und anderen).

 

Der Grabstein von Mosche aus Schlaining (gest. 1705) war in älteren Quellen als der älteste Grabstein des Alt-Neuen Friedhofs geführt (angeblich bereits aus dem Jahr 1655). Durch den neuen Fund konnte diese „problematische“ Datierung verifiziert werden. Auch andere entdeckte Grabsteine weisen auf die Herkunft der Verstorbenen aus Niederösterreich hin, etwa Mirjam, Tochter des Ascher ha-Levi aus Zurndorf (gest. 1719).

 

Zu den aussergewöhnlichsten Funden gehört zweifellos der Doppelgrabstein der früh verstorbenen Kinder des Pressburger Rabbiners Binjamin Wolf Jokerls aus dem Jahr 1719 (Mordechai und Siskind) mit einzigartiger figuraler Symbolik von Kinderfiguren. Jokerls gehörte zu den ersten Rabbinern der Pressburger Gemeinde und zu den Mitbegründern der später weltweit berühmten Tradition des rabbinischen Lehrens in dieser Stadt. Unter den einzigartigen Funden befindet sich auch der Grabstein seiner Ehefrau Mirjam (gest. 1758), und im Mahnmal des Chatam Sofer ist im örtlichen Lapidarium sogar ein Fragment des Grabsteins ihres Sohnes Lejb (gest. 1721) erhalten. Der Grabstein des Rabbiners selbst fiel höchstwahrscheinlich schon im Laufe des 18. Jahrhunderts den häufigen Überschwemmungen des Friedhofs zum Opfer.

 

Unter den barocken Grabsteinen ragen reich profilierte Steine von Angehörigen der Wiener Hofjuden hervor. Einige Familien hatten ihren Ursprung in Prag. Dazu gehörten die Familien Bondy, Broda, Dukes, Gerstl, Grotte, Prager und Spira. In der Zeit des Exils des Prager Judentums (1746–1748) fand hier auch die Ehefrau des führenden Vertreters der Prager Gemeinde, Abraham Pressburger, ihre letzte Ruhe. Er zählt zu den direkten Vorfahren von Heinrich Heine und Karl Marx.

 

Eine Reihe von Grabsteinen verweist auch auf mährische Wurzeln. Enge familiäre Bindungen nach Trebitsch (Třebíč) hatte die Familie Lemberger (Lwow), weitere Familien stammten aus Nikolsburg (Mikulov), Hranitz, Eibenschütz (Ivančice), Gewitsch (Jevičko) und Prossnitz (Prostějov). In zeitgenössischen Verzeichnissen der jüdischen Gemeinde von Podhradie aus dem 18. Jahrhundert wird bei vielen ein Ursprung aus Deutschland angegeben, was auch durch jüngste Identifikationsfunde bestätigt wird. Einige stammten aus Metropolen mit grossen jüdischen Gemeinden (Hamburg, Frankfurt am Main, Worms), andere aus Orten mit wesentlich kleinerem jüdischen Bevölkerungsanteil (zum Beispiel Kitzingen, Koblenz, Rheinburg und anderen).

 

Auch auf eine polnische Herkunft verweist eine kleinere Zahl erhaltener Grabsteine, wobei sich auch hier interessante Zusammenhänge mit der ursprünglichen Bindung an Pressburg zeigen. Ein Beispiel ist der Lehrer Reuven Zelig ha-Levi Bettelheim aus Szydłowiec (gest. 1759), dessen Familie zu den ältesten jüdischen Familien im historischen Podhradie gehörte.

Ende 2021 wurden auf Grundlage der Priorisierung durch die Projektautoren unter der fachlichen Aufsicht von Doz. Mgr. Art. Gabriel Strassner die ersten barocken Grabsteine restauriert und konserviert. Anschliessend erfolgte die Überführung der wertvollen Grabsteine in den überdachten Bereich des „Mahnmals“. Parallel dazu fand in Zusammenarbeit von Tomáš Stern und Studierenden der Hochschule für Bildende Künste Bratislava (VŠVU) die Sortierung und Komplettierung der Grabsteinfragmente auf dem Areal des neuen orthodoxen Friedhofs statt, ein Prozess, der über drei Monate intensiver Verifizierung de visu beanspruchte.

 

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Daniel Polakovič bei der Untersuchung der Epigraphik von Grabsteinen.

 

Tomáš Stern erarbeitete 2022 in Kooperation mit dem Architekturbüro F.O.R., assoziiert mit Architekt Martin Kvasnica (dem Autor der bereits erwähnten Rekonstruktion des „Mahnmals des Chatam Sofer“ aus den Jahren 2000–2002), in Zusammenarbeit mit dem Restaurierungsatelier von Doz. Strassner, dem Landesdenkmalamt und der Organisation Asra Kadisha eine Studie und ein technisches Konzept für die weitere Restaurierung und vor allem für die Rückführung der entdeckten Grabsteine in das ursprüngliche Areal des Friedhofs. Der Vorstand der Jüdischen Gemeinde (ŽNO) genehmigte in diesem Zusammenhang auch die Finanzierung des Vorhabens, das überwiegend aus Mitteln des Förderprogramms ÚZ ŽNO (Zentralverband der jüdischen Religionsgemeinschaften in der Slowakei) – “Moreshet” stammen sollte. Diese Mittel hätten den gesamten geplanten Umfang der Realisierung abgedeckt, einschliesslich der erwähnten Rückversetzung der Grabsteine und der Einleitung des Prozesses zur Aufnahme des Alt-Neuen Friedhofs in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes. Schliesslich war auch die Errichtung eines würdigen Lapidariums vorgesehen, das aus den gefundenen, unleserlichen Grabsteinfragmenten entstehen sollte. Dieses Lapidarium sollte im Einklang mit halachischen Prinzipien auf dem orthodoxen Friedhof, am Ort des Massengrabs der in den Jahren 1942–1943 exhumierten Verstorbenen des Alt-Neuen Friedhofs, errichtet werden.

 

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Ursprüngliches Werbebanner für die Rettung der Grabsteine des Alt-Neuen Friedhofs.

 

Erwähnenswert ist auch, dass im selben Zeitraum im Jahr 2022 die Fachkommission dem Projekt „Restaurierung und Erneuerung einzigartiger Grabsteine des Alt-Neuen Jüdischen Friedhofs in Bratislava“ die renommierte Auszeichnung Phönix – Kulturdenkmal des Jahres verlieh.

 

 

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Fundort von ca. 430 Grabsteinen und Fragmenten nach der Entfernung von Wildbewuchs und Abfallschichten, 2021.

Im zweiten Quartal 2023 stoppte und annullierte die damalige neue Leitung der Jüdischen Gemeinde das Projekt in seinem gesamten Umfang, wobei lediglich bereits begonnene Restaurierungsarbeiten an ausgewählten Grabsteinen fertiggestellt wurden. Im Frühjahr 2024 kam es während des sogenannten Mitzvah Day, organisiert von der Jüdischen Gemeinde, jedoch ohne Beteiligung der Projektinitiatoren, zu einer konzeptlosen und unfachmännischen Rückverlagerung eines Teils der vorsortierten Sandsteinfragmente an den Ort ihres ursprünglichen Fundes. Damit wurde nicht nur die monatelange systematische Sortierung dieser Fragmente zunichtegemacht, sondern infolge dieses Eingriffs kam es leider auch zu deren irreversibler Beschädigung.

 

Die wertvollen Grabsteine, die ein bedeutender Torso der verlorenen und beinahe wundersam wiedergefundenen Geschichte der örtlichen jüdischen Gemeinde aus ihrer Zeit grösster Blüte und überregionalen Ausstrahlung dokumentieren, liegen nun seit über achtzehn Monaten im Bereich des orthodoxen Friedhofs, ohne dass ein fachgerechter Eingriff möglich gewesen wäre. Die fragilen Steine sind somit ungeschützt, unkonserviert und der Erosion durch Witterung und sauren Regen ausgesetzt. Mehrere Grabsteine, einschliesslich wertvoller Epitaphe und Ornamentik, sind inzwischen unwiederbringlich beschädigt.

 

Die Gesamtsituation eskalierte durch das anhaltende Desinteresse und die Nachlässigkeit sogar so weit, dass im August dieses Jahres (2025) vom Landesdenkmalamt eine staatliche Denkmalaufsicht angeordnet wurde.

 

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Grabstein von Zimele (Semle) Jofe-Margulies (geb. Pressburger, 1685–1744), Tochter des Vorstehers der Jüdischen Gemeinde in Pressburg Simon Michel Pressburger (1656–1719) und direkte Vorfahrin von Heinrich Heine und Karl Marx. Vergleich mit Archivfoto und ursprünglichem Standort des Grabsteins. Zustand vor der Restaurierung. Der Grabstein konnte als einer der wenigen noch 2022 in den überdachten Bereich des „Mahnmals des Chatam Sofer“ überführt werden.

 

Einige Arbeiten kamen trotz alledem nicht völlig zum Erliegen. Die Autoren und Initiatoren des Projekts, Tomáš Stern und Daniel Polakovič, setzen bis heute ihre Arbeit an der Sammlung historischer Unterlagen fort. Vor allem arbeiten sie weiterhin an der anspruchsvollen Inventarisierung und Identifizierung der gefundenen und inzwischen (aufgrund des Projektstopps) stark degradierten Grabsteine und Fragmente – sowohl der jüngsten Funde als auch der im „Mahnmal des Chatam Sofer“ befindlichen Bruchstücke.

 

Im Jahr 2024 konnte im Rahmen des jüdischen Kulturfestivals Mazel tov auf den Pressburger Stadtmauern eine inzwischen sehr populäre Ausstellung der Autoren Martin Bandžák (mehrfacher Träger des Czech Press Photo Award) und Tomáš Stern eröffnet werden, die mittels einzigartiger Fotografien die Geschichte des Alt-Neuen Friedhofs und insbesondere die einzelnen Etappen der ersten Phase der Rettungsarbeiten von 2021 dokumentierte.

 

Das eindeutige Ziel der beiden Hauptautoren des Projekts – Tomáš Stern und Daniel Polakovič – bleibt jedoch weiterhin der Versuch, die fehlenden Mosaiksteine der Geschichte der Jüdischen Gemeinde zu rekonstruieren und dem alten Pressburger jüdischen Friedhof neues Leben einzuhauchen.

 

333 Jahre Geschichte am Rande des Vergessens? Trotz aller Bemühungen bleibt die Geschichte des Alt-Neuen Friedhofs und das Schicksal der verlorenen, wiedergefundenen und nun wohl erneut vergessenen Grabsteine – eines der bedeutendsten Projekte zur Rettung jüdischen Kulturerbes in der Region und in Europa – weiterhin tragisch ungewiss.

 

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Der damalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Tomáš Stern, nimmt die renommierte Auszeichnung Phönix – Kulturdenkmal des Jahres für das Projekt „Restaurierung und Erneuerung einzigartiger Grabsteine des Alt-Neuen Jüdischen Friedhofs in Bratislava“ entgegen, 2022.

 

Alle Fotos: Tomáš Stern, Daniel Polakovič, mit freundlicher Genehmigung.