Ausgabe

Ein altersschwacher Raddampfer auf der Flucht durch Europa

Liselotte Beran

Inhalt

John Bierman: Odyssee 1940–44. Vier Jahre auf der Flucht durch Europa. Stationen einer dramatischen Reise.

Frankfurt am Main: Ullstein Verlag 1985.

Pappeinband mit Schutzumschlag, 304 Seiten, Euro

ISBN: 3550071957

 

Als ich das erste Mal nach Israel flog, mit einem vierjährigen Kind auf dem Schoss, bat ich meinen Nachbarn, einen älteren Herrn, mir die undeutlichen Durchsagen der Flugzeug-Crew zu übersetzen. So kam man ins Gespräch. Er hatte gerade in Linz seine Schwester getroffen, die mit ihm 1940 aus der Tschechoslowakei (damals „Protektorat“) nach Israel geflüchtet war. Dieser Mann, Zoltán Schalk, hatte seine Schwester gut dreissig Jahre nicht mehr gesehen, denn sie vertrug damals das Klima in Israel nicht und fuhr nach ein paar Jahren wieder „heim“. Ich traf ihn 1980. Damals konnte man – in Ermangelung diplomatischer Beziehungen – von Israel keine Päckchen in die Tschechoslowakei schicken. Also kamen wir überein, dass ich das in seinem Auftrag von Wien aus machen würde. Es entstand eine sehr anregende Freundschaft, auch zwischen seiner Schwester und mir, die in Pilsen lebte und ihren beiden Söhnen, einem Archäologen und einem Journalisten. Viel später bekam ich das Buch des Journalisten John Bierman Odyssey, The Last Great Escape From Nazi-Dominated Europe – The story of those Jews who gambled their lives for freedom … and won geschenkt. Die englische Ausgabe: „Odyssey: The Last Great Escape From Nazi-Dominated Europe – The story of those Jews who gambled their lives for freedom … and won“ ist 1984 bei Simon & Schuster, New York erschienen.

 

Dieses Buch erzählt die Geschichte der Pentecho und von deren jüdischen „Mitreisenden“. Dieser altersschwache Raddampfer war wegen des grossen Andranges gefährlich überfüllt. Die Ausreisevisa hatte Zoltán Schalk auf „aussergewöhnlichen Wegen“ organisiert, was er schon lange in der Tschechoslowakei praktiziert hatte, um seinen jüdischen Bekannten zu helfen. Die Pentecho startete die Flucht über die Donau ins offene Meer mit ungefähr fünfhundert Juden aus Bratislava und Europa. Die Fahrt war für ungefähr vier Wochen geplant, dauerte aber vier Jahre. John Bierman beschreibt diese vier Jahre dauernde Exilbewegung, den Verlauf der Flucht sowie auch einzelne Schicksale, den Überlebenswillen dieser „Passagiere“, deren Mut und menschlichen Zusammenhalt. Diese beispiellose Odyssee führte von Pressburg (Pozsony, Bratislava) über Ungarn, Jugoslawien, Griechenland, die Türkei, den Libanon, Syrien, Zypern bis nach Nordafrika und Italien. In vielen Ländern waren sie unerwünscht, wurden als illegale Einwanderer, Unruhestifter oder gar Spione verdächtigt, mehrfach interniert und von einem Ort zum nächsten abgeschoben. Zwischendurch gerieten sie durch Schiffbrüchigkeit der Pentecho auf See in Lebensgefahr. Aber auch britische Blockaden, deutsche U-Boote, Hunger und Krankheiten behinderten diese unbeschreibliche Irrfahrt. Geleitet wurde die Fahrt von Alexander Citron, einem jungen jüdischen Aktivisten, und eben von Zoltán Schalk, einem langjährigen Funktionär der zionistischen Bewegung. Die spannende Erzählung steht exemplarisch für ähnliche illegale Flüchtlingsrouten, die aus heutiger Sicht relativ wenigen Menschen verhalfen, Hitlers Vernichtungsmaschinerie zu entkommen.

 

Der Autor

John David Bierman (geb. 1929 in London; gest. 2006 in Paphos, Zypern) war ein bekannter britischer Journalist (BBC Reporter), Autor und Historiker. Sein Buch über den „Gerechten unter den Völkern“ Raoul Wallenberg (1981) fand internationale Anerkennung.

 

 

 

 

 

 

Coverfoto der englischen Ausgabe

 

 

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Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung: L. Beran.