Ausgabe

Calmann-Lévy Ein jüdischer Verlag aus Frankreich

Robert Schild

Nicht nur im deutschen Sprachraum traten bedeutende jüdische Verlage wie Ullstein, Samuel Fischer und Kurt Wolff in den Vordergrund – auch eines der grössten historischen Verlagshäuser Frankreichs
ist jüdischen Ursprungs. 

Inhalt

1836 gründete Simon Lévy, ein Hausierer aus Lothringen, gemeinsam mit seinem Sohn Michel in Paris einen kleinen Lesesaal. Der Junior erwies sich schnell als aussergewöhnlicher Herausgeber – und aus diesem bescheidenen Raum sollte später die Librairie Michel Lévy frères werden. Michel ist noch keine zwanzig, als er Théophile Gautier herausbringt, dem nicht viel später einige der grössten Namen in der französischen Literatur folgen sollten, unter anderen Balzac, Baudelaire, Dumas, Flaubert, Hugo, Lamartine, Sand und Stendhal.

 

Als Michel Lévy 1875 starb, war der Verlag bereits einer der führenden in Europa. Sein Bruder Calmann erbte ein Unternehmen mit solidem literarischem Ruf, und die erfolgreiche Arbeit wurde nun unter dem Namen Calmann-Lévy von ihm fortgeführt. 1879 veröffentlichte er Pierre Lotis ersten Roman Aziyadé, der schnell zum Bestseller wurde. 1893 übernahmen die Söhne Georges, Paul und Gaston Lévy seine Stelle. Auch sie sind beispielsweise für die Veröffentlichung von Prousts erstem Buch Les Plaisirs et les Jour verantwortlich. Ausländische Literatur war unter anderem mit Autoren wie Dickens, Gorki, Pirandello, E.A. Poe und D.H. Lawrence vertreten. Ebenso folgte der bahnbrechende Roman Onkel Toms Hütte von H. Beecher-Stowe, zu dem George Sand ein Vorwort schrieb. Calmann-Lévy revolutionierte ausserdem das Verlagswesen mit der Schaffung einer „Ein-Franc“-Kollektion: Erstmals waren hochwertige Bücher in Originalausgaben für jedermann zugänglich. Der Erfolg war enorm und trug sofort zur Entwicklung und Popularisierung des Lesens bei. 

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Eine Studie über die Familie Lévy und Gründung des Verlags Calmann-Lévy; erschienen 1994 ebenda. Quelle: 

https://www.calmann-levy.fr/livre/michel-calmann-levy-ou-la-naissance-de-ledition-moderne-9782702112823/

Während der deutschen Besatzung wurde Gaston Lévy, der damalige Leiter des Verlags, interniert, seine Söhne zogen nach London, und das Unternehmen wurde im Januar 1943 „arisiert“. Nach der Befreiung musste der Verlag wieder aufgebaut werden, profitierte aber vom Reichtum seiner Bestände. Er entdeckte neue Autoren wie Raymond Aron, der als Berater fungierte und seinen Ruf weiter steigerte. 1947 gründete er die Reihe Freedom of Mind, die sich gegen alle Formen des Totalitarismus richtet und die grössten Denker des Jahrhunderts umfasst, wie etwa H. Arendt, A. Koestler und V. Havel. 1950 begründete die Veröffentlichung von Anne Franks Tagebuch eine Tradition von Schriften zum Thema Judentum, die 2005 mit Calmann-Lévys Engagement für die Shoah-Gedenkstätten fortgesetzt wurde. Neben Nobelpreisträgern wie Hermann Hesse und Claude Simon werden unter anderem auch Psychothriller von Patricia Highsmith nicht vernachlässigt. 1993 trat Calmann-Lévy der Hachette Livre-Gruppe bei, dem grössten Verlagshaus Frankreichs, hat aber sein eigenes Renommée nicht verloren.

 

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Eine Studie über die Familie Lévy und die Gründung des Verlags Calmann-Lévy; erschienen 2023 ebenda. Quelle: 

https://www.amazon.de/-/en/%C3%89ditions-Calmann-L%C3%A9vy-%C3%89poque-Seconde-mondiale/dp/2702185347