Ausgabe

Josef Bermann und seine Familie in Karlsbad

Richard J. Bloomfield

Josef Bermann eröffnete am 1. Mai 1881 gemeinsam mit seinem 32-jährigen Schwiegersohn Nathan Pisk aus Wien sein „streng koscheres“ Restaurant im Kurort Karlsbad (heute Karlovy Vary, Tschech. Republik)

Inhalt

Das Restaurant befand sich in der Egerstrasse im Lincoln-Gebäude neben dem Hotel Bairischer Hof. Der Eingang zum Hotel ist hinter dem Polizisten im Bild unten zu sehen. Das Gebäude gehörte Samson Neubauer, der im Erdgeschoss ein Lebensmittelgeschäft hatte.1 Zwischen 1888 und 1896 erwarben Nathan Pisk und Sigmund „Selig“ Kirsch das Gebäude an der Egerstrasse. Selig Kirsch hatte Josef Bermanns Tochter Johanna am 20. April 1882 in Wien geheiratet und war spätestens 1896 nach Josef Bermanns Tod als Partner im Karlsbader Geschäft tätig.2 Der Restaurationsbetrieb wurde durch ein Hotel ergänzt. In einem Inserat in Der Israelit vom 15. Mai 1893 preisen Bermann und Pisk „schöne möblirte Wohnungen“ an. Bis Ende der 1890er Jahre heisst der Betrieb Hotel Lincoln.3 Ein Gast aus Darmstadt beschreibt das Hotel Lincoln in einem Leserbrief im Jahr 1902: 

„Das mit prachtvollen Speise­sälen und komfortabler Einrichtung ausgestattete Etablissement bietet nicht nur vorzügliche, reichliche Verpflegung zu civilen Preisen, sondern ist auch in ritueller Hinsicht vollkommen vertrauenswürdig und allen Ansprüchen genügend. Ausserdem findet in der im Hause befindlichen Synagoge täglich zweimal G‘ttesdienst statt.“4

 

selig-und-johanna-pisk.jpg

Nathan Pisk und Rosa Pisk-Bermann. Fotos: Kevin J. Lawrence, mit freundlicher Genehmigung.

 

Laut Karlsbader Adressbüchern verkaufte Nathan Pisk zwischen 1904 und 1906 seinen Anteil am Hotel Lincoln an Selig Kirsch. Er pachtete das Hotel Terminus in Karls­bad und führte dort laut Inserat ein „erstklassiges“ koscheres Restaurant mit „einem offiziell anerkannten polnischen Shochet“.5 Nach Juni 1907 erschien kein Inserat ­mehr für das Hotel Terminus geführt von N. Pisk. Es ist anzunehmen, dass Nathan Pisk sich seinen Geschäften6 in Wien widmete, wo er und seine Familie auch wohnten. Dort starb Rosa Pisk-
Bermann
am 5. Juni 1925, und Nathan Pisk sechs Jahre später am 5. Oktober 1931. Nach dem Ausscheiden von Nathan Pisk führten Selig Kirsch und Johanna Bermann das Hotel Lincoln allein weiter. In einem Interview mit der USC Shoah Foundation im März 1998 beschreibt Selig und Johanna Kirsch-Bermanns Enkelin Alice Roth Pless7 das Hotel: „Mein Grossvater hatte dort [in Karlsbad] ein koscheres Hotel und Restaurant, das in ganz Europa und Amerika ziemlich berühmt war, weil viele Leute dorthin zur Kur reisten. Wir hatten viele berühmte Leute aus Hollywood, wie Mayer und [?], Leute wie diese, die zu einem schönen Freitagsessen in unser Restaurant kamen.“ Alice Pless fügte hinzu, dass am Schabbat kein Geld gezahlt wurde. Die Gäste zahlten am Sonntag. 

 

abbildung-1.jpg      hotel-lincoln.jpg

Annonce, Der Israelit, 13 April 1881.                                     Hotel Bayrischer Hof. In: Karlsbad im Bilde, Teplufer auf und abwärts in 4 Heften, 1909. Foto: Public Domain.

 

Aus verschiedenen Inseraten geht hervor, dass die Familienmitglieder Zionisten waren oder die Bewegung zumindest unterstützten.8 Auch Alice Roth Pless erinnert sich in ihrem Interview daran, dass „alle“ ihrer Familienmitglieder Zionisten waren. Im ersten Jahr des Ersten Weltkriegs organisierte Selig Kirsch auf eigene Kosten eine Chanukka-Feier für verwundete Soldaten, die in Karlsbad stationiert waren. Laut Zeitungsbericht waren nicht nur ­Soldaten anwesend, sondern auch „Hunderte von Flüchtlingen.“ „Am Schlusse der Feier wurden die Soldaten reichlich mit Zigaretten, wollenen Strümpfen, Pulswärmern und Jägerwäsche beschenkt.“9

 

selig-und-johanna-kirsch-bermann-enhanced.jpg

Selig Kirsch und Johanna Kirsch-Bermann. Fotos: Kevin J. Lawrence, mit freundlicher Genehmigung.

 

Johanna Kirsch-Bermann starb in Karls­bad am 8. April 1927. Selig Kirsch starb am 22. Dezember 1936.10 In einem Nachruf in Der Israelit vom 31. Dezember 1936 wird er als ein Mann „von seltener jüdischer und allgemein menschlicher Kultur“, „von bezwingendem Zauber der Persönlichkeit“ gewürdigt. Der in den Text eingebaute hebräische Ausdruck „Tora im derech eretz“ bedeutet anständiges, höfliches, respektvolles, rücksichtsvolles und zivilisiertes Verhalten und bezieht sich auf die Verbindung der Lehren der Thora mit dem zeitgenössischen Leben. Die letzten Anzeigen für das Hotel erschienen 1938 in jüdischen Zeitungen und weisen darauf hin, dass das Hotel zumindest bis zu diesem Zeitpunkt weiter betrieben wurde. Das Hotel Lincoln und andere Gebäude in der Umgebung wurden 1967 abgerissen, um den Bau des Hotels Thermal zu ermöglichen.

 

abbildung-5-kopie.jpg

Nachruf, erschienen am 31. Dezember 1936 in Der Israelit.

 

karlsbad.jpg

Annonce Restaurant Kirsch Hotel Linkoln. In: Jüdisches Gemeindeblatt und Nachrichtenblatt der Gemeindeverwaltung der israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig, 25 März 1938.

 

stadtplan-1885.jpg

Dieser Stadtplan aus dem Jahr 1885 zeigt den Standort des Hotels Lincoln. Der Plan wurde vom Museum Karlovy Vary zur Verfügung gestellt.

 

Anmerkungen

Die Serie zur Geschichte der Familie Bermann in Meran ist in Heft 142, Rosch Haschana 5785/September 2024 sowie in Heft 143, Chanukka 5785/Dezember 2024 erschienen.

1  Josef Bermanns Tochter Rosa heiratete Nathan Pisk am 21. August 1876 in Wien-Leopoldstadt. Matriken der Israelitischen Kultusgemeinde, 1784-1938, Trauungsindex 1858-1891. In: FamilySearch. Adressbuch Karlsbad 1883, S. 62 und S. 114.

2  Jüdische Matriken Wien. In: genteam.at, Nummer 275592 und 275751. Adressbuch Karlsbad 1883, 1888 und 1896.

3  Inserat, Der Israelit, 31. Mai 1899.

4  Leserbrief, Der Israelit, 25. September 1902, S. 1630.

5  Inserat, Der Israelit, 15. Februar 1906, S. 15.

6  Restaurant, Geflügelhandel und Branntweinschenke.

7  Alice Pless-Roth, geboren im Hotel Lincoln am 17. August 1917, war die Tochter von Regina Kirsch und Moritz Roth. Regina war die Tochter des Hotelbesitzers Selig Kirsch und seiner Frau Johanna Bermann. Alice starb in New York am 19. Mai 2018.

8  Die Welt, 25. Mai 1906, Neue Jüdische Presse, 1. Mai 1908 und 28. Juli 1911, und weitere Ankündigungen in der Jüdischen Zeitung, der Jüdischen Rundschau, dem Jüdischen Echo, der Wiener Morgenzeitung, dem Jüdischen Volkblatt und der Jüdischen Volksstimme.

9  Dr. Blochs Österreichische Wochenschrift, 25. Dezember 1914, S. 51.

10  Genealogie Hohenems; Die Bermann-Dynastie: Eine Familie schreibt Meraner Tourismusgeschichte. In: Thomas Albrich (Hg.): Von Salomon Sulzer bis „Bauer & Schwarz“, S. 301. Aus den Online-Informationen zum Hotel Lincoln geht nicht hervor, wer das Hotel nach Selig Kirschs Tod geführt hat.